Neonmerika. Ralph Gotta. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralph Gotta
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742760326
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Ich mag es, meine Innenwelt in Zeiten des Alleinseins zu erforschen, worauf seine Beine zu zittern begannen.

      Trotzdem wagte er den zweiten und hörte sich zu sich sagen: Mein Wohlstand beginnt im Geist. Ich bin der Überfluss, der mich erschaffen hat, worauf in seinem Kopf ein Vakuum entstand.

      Dennoch ging er weiter und flößte sich beim dritten Schritt ein: Ob meine Probleme real oder eingebildet sein mögen, stets gehe ich realistisch und positiv denkend mit ihnen um, worauf er zu schluchzen begann.

      Doch auch davon ließ er sich nicht abhalten und flüsterte sich während des vierten Schritts zu: Fülle und Schönheit der Natur spiegeln mein eigenes Wesen, worauf ein zerborstenes Eismeer vor ihm erschien.

      Aber so sehr ihn von nun an fröstelte, er riskierte den fünften Schritt und versicherte sich dabei: Es gibt nichts zu fürchten, worauf er spürte, wie sie ihm eine Schlinge um den Hals legten und mit einem Strick so festzogen, dass er daran zu ersticken drohte.

      Trotzdem reichte sein Atem für den sechsten Schritt, während dessen er sich soufflierte: Ich verfüge über die natürliche Fähigkeit, mich jederzeit wieder aufzubauen und zu heilen, worauf er sich im Lotossitz zwei Pistolen an die Schläfen halten sah.

      Aber er drückte nicht ab, sondern rappelte sich auf und erklomm schließlich den Gipfel der Glückseligkeit, wo er mit letzter Anstrengung zu sich sprach: Ich bin ein strahlendes Lichtwesen und fühle ein verzehrendes Feuer himmlischer Liebe in mir, worauf er sich in einem sich selbstverbrennenden ZEN-Buddhisten wiedererkannte.

      Es war ein Tag zum Genießen, einer, an dem man die Seele locker durchschwingen lassen konnte. Zum ersten Mal während seiner Tortur schien die Sonne. Offenbar war er in einer neu erschaffenen, reinen Welt auf ebenjene gekommen. Vielleicht hatte er eine Reinkarnation erfahren, die ihn zwar die alten Leiden nicht vergessen, ihn aber keine weiteren durchleben ließ. Womöglich hatte er all die von seiner nun spürbaren Seele wie weggestrichenen Qualen und Ängste erdulden müssen, um der zu werden, der er wirklich war.

      So fuhr er denn in Zufriedenheit fort, bis sie ihn schließlich brachte an einen erwartungsvollen Ort. Es war das Land der Verführung, und kaum an dessen Zentrum angekommen, wurde er von einem Schokoladenmädchen in Empfang genommen. Sie schenkte ihm ihre wunderschöne rote Rose, doch sooft er sie auch begoss, es trat niemals ein, was sie ihm eingangs versprochen hatte, die Erfüllung seiner nicht geträumten Träume zu sein. Stattdessen überkam ihn mit einem weiteren Male eine sonderbare Pein, hörte er sich plötzlich: «Donna», schreien und stürzte in eine tiefe Schlucht hinein.

      Er lag noch immer am Boden, fühlte sich wie in Scheiben geschnitten, und er war klar genug bei Verstand, um zu wissen, dass er sehr verwirrt war. Nun strömten Bilder durch seinen Kopf, die in ihm eine Flut von Emotionen verursachten und die Frequenz seines Herzens bis zum Anschlag erhöhten. Er bemühte sich, eine Synthese zwischen seiner Reise durch Neonmerika und dem davor Geschehenen herzustellen, aber immer dann, wenn die Fäden zusammenzulaufen begannen, verlor er sie wieder. Er war schlichtweg noch zu aufgewühlt, um all die irgendwie miteinander verflochtenen Erlebnisse logisch aufzulösen, und der Grund für diesen inneren Aufruhr trug vor allem zwei Namen: Donna und Louisa. Nun, da ihm sein Gedächtnis verriet, dass es in seinem Leben einmal eine Frau und eine gemeinsame Tochter gegeben hatte, war es ihm kaum mehr möglich, an etwas anderes zu denken. Im Prinzip drehte sich fortan in seinem Gehirn alles um die beiden Menschen, die er liebte, und die Frage, ob sie noch am Leben waren.

      Die Möglichkeit, dass sie nicht mehr auf der Welt zugegen waren oder in einer anderen zu Hause als er, lähmte ihn zunächst. Dann aber sagte er sich, dass er schließlich nichts zu verlieren habe. Wenn Louisa und Donna tot waren, waren sie, so furchtbar das auch wäre, tot. Wenn sie noch lebten, er sie aber nicht fände, wäre das kaum minder traurig. Am schlimmsten jedoch wäre gewesen, wenn er erst gar nicht versucht hätte, nach ihnen zu suchen. Und vielleicht, machte er sich Mut, war das Schokoladenmädchen ja ein zerschmelzender Traum gewesen, der allein dazu bestimmt war, ihn zurück in seine Vergangenheit zu führen und damit in eine bessere Zukunft. Sich an dieser Deutung festhaltend, stand er auf, und nachdem ihm die ersten Meter noch große Mühe bereitet hatten, nahmen mit jedem weiteren Dynamik und Zuversicht zu. Wenn du dich von dem führen lässt, was für dich Herz, Verstand und Sinn hat, wirst du Erfolg haben, hörte er seine innere Stimme sagen. Und dieses Mal hatte er das untrügliche Gefühl, dass sie ihn nicht betrog. In dem Glauben, dass alles, was bisher schiefgelaufen war, seine Richtigkeit hatte, dass sämtliche Unverständlichkeiten die unverzichtbaren Bestandteile einer am Ende schlüssigen und glücklichen Geschichte waren, irrte er unbeirrt durch ein Labyrinth von Wegweisern, bis er schließlich dort ankam, wohin er sich immer gewünscht hatte.

      Die Begegnung

      Sicherlich existierten in seiner Vorstellung weitaus idyllischere Orte als der, den er vor sich sah. Weil hier aber nun seine einzige Liebe lebte, eignete ihm in seinen Augen gar etwas Romantisches. Er konnte Gott, den er einst ungezählte Male verflucht hatte, nur reuevoll danken, dass er Donna in dieser Ungastlichkeit nicht im Stich gelassen hatte und ihm die Richtung zu ihr gewiesen. Nun war es ihm ein leichtes, all die durchgestandenen Schwierigkeiten als tatsächlich unabdingbare Prüfungen auf dem Weg zum lohnenswerten Ziel zu betrachten: wer so lange durch die Hölle gegangen war wie er, auf den konnte am Ausgang nur das Paradies warten.

      Aber wenn es jetzt auch in Sichtweite war, so durfte er nicht blindlings in sein Glück stolpern, sondern musste sich in Umsicht und Besonnenheit üben. Innerlich schien er zwar wieder der alte zu sein, sein Gedächtnis mit dem Auffinden Donnas sogar völlig intakt. Doch Gesicht und Körper, Motorik, Mimik und Gestik sowie Stimme und ihr Tonfall hatten mit Jack Gabriel so wenig gemein, dass seine Frau bewusst niemals ihren Mann in ihm erkannt hätte.

      Dass er ihr als ein völlig anderer erscheinen würde, betrachtete er allerdings insgeheim als Vorteil. Denn da er nach Boscos Mitteilungen damit rechnen musste, dass seine Frau das komplette Erinnerungsvermögen hatte einbüßen müssen, wäre nicht auszuschließen gewesen, dass sie durch ein Wiedersehen mit ihm in seiner ursprünglichen Gestalt einen Schock erlitten hätte. Dann wären all die damaligen Geschehnisse mit einem Male wieder in ihr hochgekommen und sie hätte ihn verwünscht, noch ehe er Gelegenheit bekommen hätte, ihr den wahren Hergang zu erklären. In seiner neuen Haut konnte er sich indes sicher fühlen, dass Donna nicht gleich in verzweifelte Hysterie ausbrach, und zugleich vage hoffen, dass mit der Zeit ihr Unterbewusstsein zunehmend auf ihre grundsätzlich positiven Gefühle ihm gegenüber reagierte. Und wenn der richtige Augenblick gekommen wäre, dann würde er ihr verraten, wer sich hinter Tom Pitcock verbarg. Und vielleicht erhielte er dann endlich die Chance, ihr die Wahrheit zu erzählen. Und vielleicht würde sie ihm dann glauben und vergeben. Und vielleicht würden sie dann zusammen die Entschlusskraft aufbringen, nach Louisa zu suchen. Und vielleicht könnten sie dann bis ans Ende ihrer Tage miteinander glücklich sein. Nachdem er ein allerletztes Mal seinen Argwohn überzeugt hatte, dass sich in dieser Unwirtlichkeit niemand aufhielt außer Donna und ihm (von Teufel Diam drohte ihnen keine Gefahr, das wusste er schließlich selbst am besten), nahm er seinen ganzen Mut zusammen und stellte sich ihr vor als ein müder Vagabund mit dem Wunsch nach ein wenig Ruhe und menschlicher Wärme. Und von dem Moment an, als sie ihn nach einem kritischen Mustern zum Verweilen in ihrem Haus einlud, bestimmte die Melodie der Harmonie überraschend schnell den Takt ihrer Herzen. Es war für ihn wie einst im Frühling ihrer Gefühle, als sie gemeinsam den Tau frischer Verliebtheit auflasen, und scheinbar nur noch eine Frage von nicht mehr allzu langer Zeit, bis Donna ihrer neuen Leidenschaft erläge, ohne zu wissen, dass es ihre alte war.

      Doch ausgerechnet dann, als die in seinen Augen einfache Rechnung Einsamkeit und Einsamkeit plus seelischer Verbundenheit ist gleich vollendete Zweisamkeit fantasievoll ineinander aufzugehen schien, wurde es kompliziert. Abrupt brach Donna ihr intimes Zusammenspiel ab und in Tränen aus.

      Als er nach dem Grund ihres plötzlichen Ablassens von ihm fragte, bekam er zu hören, dass sie nur mit ihrem Mann schlafen könne und sonst mit niemandem, auch nicht mit ihm, so gern sie ihn habe.

      Er musste schlucken und noch einmal nachfragen: «Du hast einen Mann?» «Ja», sagte sie weinend und seinem Blick ausweichend. «Oder sagen wir besser: Ich habe mal