In einer Wehenpause wandern meine Gedanken in den Kreißsaal. Wenn ich es mir wünschen könnte, möchte ich unbedingt Mara als Hebamme haben. Leider kostet die Buchung einer Beleghebamme einen Aufschlag, also musste ich darauf verzichten. Da ich schon mal mit dem Universum liebäugele, habe ich mir einfach gewünscht, dass Mara am Tag meiner Entbindung zufällig Dienst hat. Die meisten Menschen halten einen für verrückt, wenn sie von der Bestellung beim Universum hören, daher rede ich eigentlich gar nicht darüber. Doch ich bin fest davon überzeugt, dass man seine Herzenswünsche an eine höhere Stelle – wie auch immer man sie nennen möchte – abschicken kann und darauf vertrauen soll, dass sie in Erfüllung gehen. Bei der Besichtigung des Kreißsaales habe ich nur beiläufig gefragt, wie hoch denn die Wahrscheinlichkeit sei, Mara anzutreffen. Die Antwort der amüsierten Kollegin war: „Das können Sie vergessen, sie hat nur 8 Tage im Monat Dienst.“ OK, zugegeben, eine Herausforderung, aber nicht unmöglich.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir in der Klinik an. Vor Schmerzen zusammengekrümmt eile ich – nein, besser trifft es: eiere ich - zum Kreißsaal und meine erste Frage an Schwester Beate ist ungeduldig: „Ist Mara da?“ „Nein“, antwortet Beate. Hmm, schade, ich hatte so darauf vertraut, dass mir dieser Wunsch erfüllt wird. Und ich war mir so sicher. „Gleich beginnt das Fußball-Länderspiel. Schaffen wir das bis dahin?“ richtet Paul seine erste Frage an Schwester Beate. So langsam fehlt mir nun doch das Verständnis für seinen Humor und ich sehe ihn entgeistert an. Schwester Beate erwidert humorvoll – oder höre ich da einen süffisanten Unterton? –: „Nein, erste Halbzeit nicht, aber zweite Halbzeit könnte klappen!“ Paul ist glücklich. Sicher, weil jemand seinen Scherz gut fand.
Einen Augenblick später zwinkert Beate mir zu und sagt: „Aber Mara muss jeden Augenblick kommen, sie löst mich um 20.00 Uhr ab.“ JA! Jackpot! Mir fallen gar keine Worte ein, so sehr freue ich mich. Bis die nächste Wehe kommt. Das haben schon Millionen Frauen vor mir ausgehalten. Das halte ich auch aus! Ja, ich will ja, aber diese Schmerzen… Ob die auch jede Frau so schlimm hat? Bestimmt nicht!
Na gut, ich weiß schon, dass jede Frau diese Schmerzen durchstehen muss, aber verdammte Scheiße nochmal, wozu hat man denn Schmerzmittel erfunden? Ich will jetzt sofort was gegen die Schmerzen haben. In einem klaren Augenblick sage ich das auch schnell Schwester Beate: „Bitte geben Sie mir sofort eine PDA. SOFORT.“ Beate bleibt ganz ruhig. „Ich bereite schon mal alles vor.“ „Aber bitte schnell.“
Als ich das nächste Mal hochsehe, steht Mara lächelnd neben mir. „Na, da hat sich dein Wunsch ja doch erfüllt!“ Ich freue mich so sehr. Da wir aber wenig Zeit für Smalltalk haben, informiere ich sie schnell über den Stand der Dinge. Meine Stimme überschlägt sich förmlich, weil ich ahne, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt, bis mich die nächste Schmerzwelle überrollt. „Schwester Beate hat schon die PDA vorbereitet, die musst du mir SOFORT setzen.“ Aber Mara legt mir beruhigend die Hand auf den Arm. „Ich mache mir erst mal selbst ein Bild der Lage und dann sehen wir weiter, okay?“ Außerdem kann sie sich einen Kommentar an Paul – ach ja, wo ist der eigentlich? – nicht verkneifen. „Am meisten liebe ich die Väter, die mit der Zeitschrift in der Hand warten, bis alles vorbei ist!“ Er sitzt tatsächlich auf dem Stuhl neben der Türe und hat die Autobild in der Hand. Mir schießen gerade tausend Gedanken durch den Kopf.
Irgendwie schafft es Mara, dass ich etwas ruhiger werde, und nachdem sie mich untersucht hat, sagt sie mit warmer Stimme, immer noch ein Lächeln im Gesicht: „Ich mache dir einen anderen Vorschlag. Du presst jetzt zwei Mal, und dann ist dein Kind da.“
Und sie hat wirklich Recht. Noch ein paar Mal überrollt mich der Schmerz und wie in Trance spüre ich, wie sie keine fünf Minuten später ein warmes, weiches, quiekendes Bündel Mensch auf meine Brust legt. Ich bin überwältigt vor lauter Glück und schließe sanft das Tuch um den kleinen Körper, nehme vorsichtig die kleine Hand in meine, und schmiege meine Wange an das Köpfchen mit den flaumigen, dunklen Haaren. Der Duft dieses kleinen Menschenkindes ist einzigartig und so liege ich eine ganze Weile und genieße einfach nur den Augenblick, fest entschlossen, diesen kleinen Menschen für den Rest seines Lebens zu beschützen. Nicht ein einziger Moment in meinem Leben ist vergleichbar mit diesem einzigartigen Wunder. Das ist es, was meinem Leben das größte Glück und die größte Erfüllung gibt.
Auf glückliche Kinder, einen vollen Kühlschrank und guten Sex
Zehn Jahre später…
„Auf ein schönes Zuhause, glückliche Kinder, einen vollen Kühlschrank und guten Sex!“ Mit diesen Worten poltert meine beste Freundin Lissy lautstark und ausgelassen in meine Einweihungsparty. Ich freue mich riesig, als meine älteste Freundin mich stürmisch in den Arm nimmt und mir die wunderschönen Wildrosen aus ihrem Garten beinahe um die Ohren haut. Nicht umsonst hat sie den Spitznamen Die wilde Lissy! Wir beide sind so verschieden und manchmal beneide ich sie um ihre unbeschwerte Art zu leben, das muss ich schon zugeben.
„Ja, das hört sich gut an, einen guten Teil davon haben wir ja jetzt schon, an dem Rest arbeiten wir noch“, antworte ich fröhlich. Die letzten Wochen vor dem Umzug in unser neues Zuhause waren wirklich sehr anstrengend und so freue ich mich, dass wir heute so richtig genießen können, diesen Stress hinter uns gebracht zu haben.
Genau in diesem Augenblick kommt meine Schwester Maike mit drei Sektgläsern in der Hand auf uns zu. „So, dann lasst uns mal anstoßen auf das neue Leben! Ich hab Dir Deinen Lieblingssekt mitgebracht“, lächelt sie mich an. „Jetzt sag nicht, dieses klebrig süße Zeug?“, fragt Lissy leicht angewidert nach. „Na klar“, antwortet Maike, „heute ist Annies Tag und da muss es einfach Asti sein. Da musst Du jetzt durch.“ „Oh Mann, nun gut, ein Glas werde ich verkraften, aber dann will ich etwas Richtiges trinken!“ So stoßen wir an und ich genieße den köstlichen, süßen Tropfen, der meine Kehle hinunter rinnt und mich an schöne Zeiten erinnert. „Ahh, tut das gut!“
„Sag mal Annie, wie bist Du denn überhaupt auf diesen tollen Hof gekommen?“, fragt mein Schwager Thomas, der mit einem kühlen Bier in der Hand um die Ecke kommt. „So viel Glück ist doch schon unnormal!“ Meine Gedanken wandern zurück an den Tag, an dem Frau Burger einen Termin in der Anwaltskanzlei hatte, in der ich arbeite. Ich war ganz überrascht, als ich ihr die Türe öffnete, denn selten kommt jemand mit so einer positiven Stimmung in die Kanzlei. Meist sind die Betroffenen genau das: Betroffen von der Situation, in der sie sich plötzlich befinden. Beim Schwerpunkt Familienrecht sind dies meist sehr unschöne Geschichten über Scheidung oder Sorgerecht bis hin zur häuslichen Gewalt.
Aber Lotte Burger war da anders. Sie wollte sich mit ihren 72 Jahren im Guten von ihrem Mann trennen und einfach nur alles geregelt haben, damit dieser nicht in den Besitz ihres geliebten Hofes kommen konnte. Wir kamen ein wenig ins Gespräch, und Frau Burger erzählte, dass sie jemanden suchte, der einen kleinen Teil ihres schönen Hofes mieten wolle – am liebsten hätte sie eine Familie mit Kindern im Haus. Ich erzählte ihr davon, dass ich mir mit meinen Jungs gerade ein neues Zuhause suchen muss. Ich konnte mein Glück kaum fassen, als sie mich einlud, noch an diesem Abend zu ihr zu kommen und sich mal zu unterhalten.
Doch dann hörte ich Frau Burger sagen: „Es gibt aber eine Bedingung.“ Mein Magen zog sich schlagartig zusammen und die Gedanken überschlugen sich. Ob sie erwartete, dass ich ihr im Haushalt half? Ich war mit der ganzen Situation seit Pauls Auszug zu Hause sowieso mit meinen Kräften am Rande der Belastbarkeit. Benny brauchte mich mehr denn je, weil er in der Schule noch zappeliger und unkonzentrierter war als ohnehin schon. Und der kleine Tom mit seinen 5 Jahren ist seit der Trennung auch noch anhänglicher geworden. Außerdem muss ich mir einen zweiten Job suchen, um das alles finanziell stemmen zu können. Innerlich verabschiedete ich mich gerade von meiner neuen Wohnung.
Frau Burger riss mich aus meinen Gedanken: „Meine Bedingung ist, dass jede