Dann prallte die Kavallerie direkt in die feindliche Linie ...
Die pravinischen Soldaten fielen wie die Fliegen. Wer nicht durch die Pferde niedergetrampelt wurde, der wurde durch ein Schwert getroffen. Es war ein grausames Gemetzel.
Mixtli war in der Zwischenzeit mitten im Kampfgewühl. Er war wie von Sinnen und schlug mit seinem Schwert um sich. Und auch sein Pferd war in Rage. Todesangst erfüllte das arme Tier, das als militärisches Werkzeug missbraucht wurde. Panisch trat es um sich. Wer auf dem Boden lag wurde niedergetrampelt. Egal, ob Feind oder Freund. Denn nicht jeder Nehataner hatte sich auf seinem Pferd halten können und so wurde er schnell ebenfalls Opfer der Hufe.
«Lasst keinen am Leben!», schrie Mixtli laut. Es war nicht von Anfang an seine Absicht gewesen jeden töten zu lassen. Aber nun war er so voller Wut und Hass, dass er nicht anders konnte.
Keiner der zweihundert Soldaten würde diesen Angriff überleben. Das war dem Hauptmann längst klar. Er ließ zum Rückzug blasen. Aber es war längst zu spät. Jedem Soldaten war bewusst, dass die Nehataner keine Gnade kannten. Sie würden alle töten.
«Wir ergeben uns!», schrie der Hauptmann der Garnison laut: «Wir ergeben uns!»
Das Gemetzel ging weiter. Auch wenn einige Soldaten ihre Schwerter niederlegten.
Nein, es war keine Gnade, die der Feldmarschall der Nehataner in diesem Augenblick verspürte. Vielmehr die Genugtuung, dass sie sich ergaben. «Haltet ein!», bellte Mixtli über das Schlachtfeld und zu seinem Hornbläser befahl er: «Lasst die Waffen ruhen!»
Das Horn ertönte. Nur langsam verstanden die Reiter der Nehataner, dass dieser Ruf ihnen galt und ihnen den Befehl gab den Kampf einzustellen. So sehr waren sie im Blutrausch. Aber nach und nach kehrte Ruhe ein.
«Treibt sie zusammen!», sagte Mixtli: «Es darf keiner entkommen! Und der Rest der Reiter setzt den Angriff auf die Stadt fort!»
Zwei Reiterkompanien ritten auf die Stadt zu. Und auch hier setzte sich das Gemetzel fort. Keiner der Einheiten in der Stadt überlebte. Die Schützen auf den Dächern versuchten zu fliehen, wurden aber recht rasch von den Reitern eingefangen und getötet.
Viele Tote blieben auf dem Schlachtfeld. Die Lebenden wurden zusammengetrieben. Wer nicht mehr Aufstehen konnte wurde erlöst. Mit dem Hauptmann blieben rund zwanzig Mann der pravinischen Armee übrig.
«Der Sieg ist unser!», schrie Mixtli laut.
Die Nehataner schrien lauthals vor Freude. Aber auch aus Erleichterung. Es war vorbei. Die erste richtige Schlacht war geschlagen ...
4
Königlicher Palast,
Gefängnis
Die kalten Mauern des Gefängnisses. Tamira würde sich nie daran gewöhnen. Sie verstand nicht, wie es Lord Philipp von Raditon auch nur eine Nacht hier drinnen aushielt. Kalt, düster, stickig. Das war kein lebenswerter Ort. Aber der Lord war nicht alleine. Gut zwanzig Männer waren hier eingesperrt. In vielleicht dreißig Zellen. Ob Frauen darunter waren, konnte sie nicht sagen. Sie hatte bislang keine gesehen. Aber das hieß nichts. Sie ging ohnehin immer an allen vorbei ohne nach links oder rechts zu blicken. Sie vermied es die Gefangenen anzuschauen. Nicht weil sie diese geringschätzte, sondern einfach, weil sie Angst hatte. Der eine oder andere hatte es sicherlich verdient hier zu sein.
Die letzte Zelle hinten rechts. Dort war Philipp von Raditon untergebracht. Warum, das konnte keiner so genau sagen. Vielleicht weil er eigenhändig gehandelt hatte. Weil er ohne richterlichen Beschluss befohlen hatte einen Mann zu ermorden. Vielleicht weil er an dem Aufstand beteiligt war.
«Da bist du ja!», sagte Philipp: «Wie geht es dir?»
«Gut, Lord von Raditon!», erwiderte sie leise und setzte sich dann vor die Gitterstäbe: «Und Euch?»
«Den Umständen entsprechend!»
Sie wurde rot: «Tut mir leid. Natürlich. Das war dumm von mir!»
«Nein, du kümmerst dich um mich. Du denkst an mich. Das gefällt mir. Wie geht es der Prinzessin?»
«Den Umständen entsprechend!», antwortete sie.
Er lachte. Es war eine unfreiwillig komische Antwort. Aber dann wurde er wieder ernst: «Kümmere dich um sie!»
«Das tu ich!», sie schaute hinüber in die andere Zelle von Thores lag. Er schien zu schlafen. Oder zumindest tat er so: «Was ist mit seinem Plan?»
«Nichts!», meinte Philipp von Raditon: «Er ist verrückt!»
«Er klang aber nicht verrückt!»
«Ich möchte darüber nicht sprechen!»
Sie nickte: «In Ordnung.»
«Du musst mir versprechen, dass du der Prinzessin folgst. Wenn sie tatsächlich das Götteropfer wird!»
«Ihr wärt dann wochenlang alleine hier eingesperrt!», meinte sie traurig: «Und Ihr würdet hier Tag für Tag und Nacht für Nacht auf Eure Hinrichtung warten, ohne dass Euch jemand besucht!»
«Das ist mir bewusst. Aber ich denke, dass es deine Bestimmung ist bei der Prinzessin zu sein. Du dienst ihr, nicht meiner Wenigkeit!»
Sie nickte: «Ich weiß. Aber ...»
«Kein Aber!», meinte er: «Tu es einfach. Und bis dahin sind es noch fast zwei Wochen. In denen du mich besuchen kannst!»
«Das werde ich. Das werde ich in jedem Fall!»
Die nächste, gut eine halbe Stunde, sprachen sie von anderen Themen. Von nichtssagenden Dingen, die dem Lord von Raditon jedoch die Möglichkeit gaben ein wenig aus dem Gefängnisalltag auszubrechen. Gedanklich. Der Lord sprach vor allem von seiner Heimat. Raditon ganz im Westen des Landes. Wie auch Hingston direkt am Meer gelegen. Allerdings war das dortige Ewige Meer weitaus rauer. Die See war deutlich wilder, da die meisten Winde von Westen herkamen Es waren bereits Schiffe weiter Richtung Westen aufgebrochen, aber nie zurückgekommen. Gab es weiteres Land und weitere Völker? Die Priester verneinten das vehement. Doch man wusste, dass der Planet rund war. Entweder man traf auf weiteres Land oder weitere Inseln, oder man kam eben wieder in Mani an. Im Osten von Mani.
5
Kaltes Meer,
südlich von Ragnas
Das Festland des nordischen Landes der Ragni wurde immer kleiner. Hedda blickte zurück. Würde sie dieses Land jemals wiedersehen? Es war mühselig sich darüber Gedanken zu machen. Ihr Schicksal war unbestimmt. Keiner konnte voraussagen, wie alles enden würde.
Hedda betrachtete die rudernden Männer. Sie gehörten zu den Kriegern der Ragni. Treue Soldaten des Königs. Immer sechs von ihnen ruderten. Zwei machten Pause. Sie erholten sich, aßen oder schliefen. Hedda spürte durchaus den Blick einer der beiden ruhenden Krieger. Er hatte sich an den Mast gelehnt und starrte zu ihr hinüber. Sie erwiderte den Blick nicht bewusst, musste aber immer wieder zu ihm schauen. Warum starrte er so? Flirtete er sogar mit ihr?
Die Königin, die neben ihr saß, hatte den Blick durchaus bemerkt. Sie schaute erst zu Hedda, dann zu dem Soldaten: «Wie kannst du es wagen sie so anzuschauen? Sie ist die Serva unseres Gottes!»
«Vergebt mir!», sagte der Soldat. Hastig packte er aus seiner Tasche eine Decke. Er legte sie sich um und rollte sich dann zusammen. Es war ohnehin wichtig für ihn zur Ruhe zu kommen und zu schlafen. Er musste für seine Schicht fit sein. Zwei Stunden hatte er hierzu Zeit. Dann musste er sechs Stunden fast durchgängig am Ruder verbringen. Wenn auch nicht sechs Stunden komplett durchgerudert wurde, so war es doch anstrengend.