Project Mercury. Hans Müncheberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Müncheberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016499
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Messzentrale des Prüfstands. Gilbert hatte gerade den leitenden Ingenieur der Abteilung hinausgeschickt, um eine Korrektur am Treibstoffpumpensystem ausführen zu lassen. Sie waren im Moment allein. Webster und Pearsons wechselten einen Blick, unbemerkt von Gilbert, der gerade die Messinstrumente der Anlage überprüfte.

      Webster trat neben den Chefkonstrukteur. "Doktor, ich möchte Sie etwas fragen, offen und ungeschminkt."

      Gilbert blickte erstaunt auf. "Bitte?"

      "Sagen Sie, wie schätzen Sie unsere Lage im Wettlauf um den ersten bemannten Raumflug ein?"

      Gilbert sah von einem zum anderen. Die Frage kam zu unvermittelt, als dass er sofort hätte antworten können. Dabei hatte er durchaus eine eindeutige, wenn auch sehr kritische Meinung zu den Chancen der USA in diesem Wettlauf. Zögernd begann er: "Ich möchte mir kein Urteil anmaßen. Vermutlich aber hat die NASA noch sehr viel zu leisten, wenn sie Chancen haben will, den Wettlauf zu gewinnen." Mit einer entschuldigenden Geste fuhr er erklärend fort: "Ich denke dabei in erster Linie an die beiden Meldungen der letzten Woche, an den bedauerlichen Rückschlag mit der Redstone und an den eindrucksvollen russischen Erfolg."

      Webster und Pearsons konnten ihm nur bestätigen, dass er mit seiner Ansicht völlig im Recht war. Sie erläuterten ihm nun, welche Schritte die NASA zu unternehmen gedachte, um den bereits eingetretenen Zeitverlust, wettzumachen. Dabei kamen sie schließlich auch darauf zu sprechen, wie wichtig es für die neue Versuchsserie sein würde, ein gutes Team erstklassiger Fachleute beisammen zu haben. Sie baten ihn darum, sie bei der Auswahl der Techniker und Ingenieure zu beraten. Die notwendigen Formalitäten würde die NASA, unterstützt von der Regierung, schon mit dem Verwaltungsrat besprechen. Es war Gilbert ehrlich daran gelegen, der NASA zu helfen. Er schlug vor, zu einem solchen Gespräch doch lieber einen anderen Ort zu wählen, und lud Webster und Pearsons ein, am Abend seine Gäste zu sein.

      Gilberts Haus lag hoch über dem felsigen Ufer der San Diego Bai. Es war nicht übermäßig groß, aber völlig ausreichend, um den Konstrukteur und sein Hauspersonal komfortabel zu beherbergen. Die Einrichtung verriet, dass hier kein prunksüchtiger Geldprotz wohnte, sondern ein gebildeter Mann mit erlesenem Geschmack. Der Empfangsraum, der geräumige Wintergarten und das Speisezimmer, alles war in der modernen und zugleich gediegenen Art eingerichtet, wie sie seit einigen Jahren aus Schweden bekannt geworden war. Lediglich das Arbeitszimmer atmete eine nüchternere, technische Atmosphäre. Webster und Pearsons waren vom Butler empfangen worden und hatten einige Minuten Zeit, sich umzusehen, bevor Gilbert erschien. So konnten sie gleich mit guten Gründen das angenehme Fluidum dieses Hauses loben. Es war ein milder Abend, und sie setzten sich draußen auf die breite Terrasse, von der aus man einen prächtigen Blick auf den Pazifik hatte. Das Gespräch kam schnell in Gang. Webster knüpfte an die Überlegungen des Nachmittags an, und Gilbert bekundete, dass er sich bereits Gedanken über die zu empfehlenden Spezialisten gemacht hatte. Noch bevor der Butler meldete, dass das Dinner bereit stünde, war man sich in den meisten Punkten einig geworden.

      Nach dem Essen saßen sie noch bei einem Glas zusammen. Webster dankte für die gastliche Aufnahme, für die große Hilfe und meinte: "Soweit ist alles klar, nur das Wichtigste fehlt noch." Er machte eine Pause und sah Gilbert lächelnd an.

      "Und das wäre?"

      Webster hob sein Glas und beugte sich etwas zu Gilbert vor. "Der technische Leiter unserer Atlas-Versuchsreihe - Sie selbst, Dr. Gilbert."

      Die Verblüffung war vollständig. Gilbert schüttelte den Kopf, als glaubte er, nicht richtig verstanden zu haben. Doch Webster und Pearsons erläuterten, welchen Gewinn es für die NASA bedeuten würde, wenn er sich dazu entschließen könnte, persönlich dieser großen nationalen Aufgabe zu dienen.

      "Gerade weil wir nicht in der Lage sind, sofort mehr und stärkere Raketen einzusetzen", betonte Webster, "müssen uns die wenigen Atlas genügen, um den Erfolg im letzten Moment doch noch aus dem Feuer zu reißen. Jede einzelne Rakete, jeder einzelne Start ist von nicht zu überschätzender Bedeutung. Wir dürfen nicht die kleinste Verzögerung eintreten lassen: Das Beste ist gerade gut genug. Die Atlas ist unsere beste Rakete, und Sie, als ihr Konstrukteur, sind der beste Leiter für die Versuche. Sie und Ihre Rakete stellen im wahrsten Sinne des Wortes die letzte Chance für Amerika dar, diesen Wettlauf zu gewinnen."

      Gilbert antwortete nicht gleich. Eine derart hohe Einschätzung seiner Person kam ihm nicht nur überraschend, sie machte ihn auch ein wenig verlegen. Er glaubte zudem nicht, dass ausgerechnet er von solcher Bedeutung für die USA sein sollte. Dass Ihn die NASA gern als technischen Leiter sehen wollte, schien ihm verständlich. Aber dafür alles aufgeben, was er sich hier in langen Jahren erarbeitet hatte? Andererseits war es schon eine verlockende Aufgabe, den Beweis anzutreten, dass die Atlas nicht nur eine verderbenbringende Waffe war, sondern dabei half, den Menschen von den Fesseln der Erdenschwere zu befreien. Für ihn als den Konstrukteur konnte ein solcher Beweis eine größere Genugtuung darstellen, als es jemals das Gefühl vermitteln würde, den Träger der bisher schrecklichsten Vernichtungswaffe geschaffen zu haben.

      Gilbert spürte die erwartungsvollen Blicke seiner Gäste auf sich ruhen und sagte nachdenklich: "Ihr Angebot ehrt mich. Es hört sich recht schmeichelhaft an. Nur - das Ganze kommt für mich sehr überraschend. Sehen Sie, ich bin jetzt fast zwanzig Jahre bei der Convair, habe einen langfristigen Vertrag, eine Arbeit, an der ich hänge, und ein Haus, in dem ich mich wohl fühle. Was ich hier habe, weiß ich. Was dort sein wird, bei Ihnen auf dem Cape, das kann ich nicht beurteilen. Es wird eine neue, fremde Umgebung sein, Mitarbeiter, die ich nicht kenne, eine neue Verantwortung, die groß sein würde, weil ja unmittelbar Menschenleben auf dem Spiel stehen. Wie sieht es zum Beispiel in diesem Punkt aus? Gibt es Sicherheit für den Astronauten? Und ab wann rechnen Sie denn mit dem Beginn der neuen Testserie?"

      Webster und Pearsons sahen sich kurz an. Dann wandte sich Webster lächelnd zu Gilbert. "Es sind nur noch runde vier Wochen Zeit. Sie sehen, wir haben es sehr eilig, und das, weil uns die internationale Situation nicht mehr Zeit lässt. Deshalb würden wir mit voller Unterstützung der Regierung der Vereinigten Staaten alles tun, um Ihnen, sobald Sie uns eine Zusage geben, alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Sie könnten zum Beispiel dort ein gleichwertiges Haus erhalten, auch eine langfristige Sicherheit."

      "Verzeihen, Sie, aber ich habe nicht die Absicht, jemals auf die schöpferische Arbeit der Neuentwicklungen, der theoretischen und praktischen Forschung zu verzichten!"

      "Einverstanden. Wir dachten auch nicht an ein völliges Ausscheiden, sondern an einen befristeten Urlaub von ungefähr einem Jahr. Solange dürfte unsere Versuchsreihe dauern. Wir würden uns beim Verwaltungsrat der Convair für eine Regelung einsetzen, die es Ihnen unbenommen lässt, danach in Ihre alte Position zurückzukehren."

      Gilbert hörte sich aufmerksam alle Vorschläge an, die noch folgten. Die Zugeständnisse und Garantien, die ihm von der NASA angeboten wurden, bewiesen immer deutlicher, wie viel der Raumfahrtbehörde an seiner Mitarbeit gelegen war. Dennoch blieb er zurückhaltend. Ihm schien das ganze Unternehmen noch reichlich waghalsig zu sein. Bevor er sich entschied, wollte er genau wissen, wie weit die Vorbereitungen bereits gediehen waren, welche echten Chancen für einen Erfolg bestanden und wieweit seine Hilfe wirklich notwendig war.

      Webster zeigte Verständnis für die Skepsis, die aus Gilberts Haltung sprach, und sicherte ihm zu, umgehend alle erforderlichen Unterlagen zu selbstverständlich vertraulicher Einsicht durch einen Kurier übersenden zu lassen.

      Pearsons fügte noch einen Vorschlag hinzu: "Wenn Sie in den nächsten Tagen einmal achtundvierzig Stunden Zeit haben sollten, dann fahren Sie doch nach Langley. Sie wissen, dort ist das Ausbildungszentrum unserer Astronauten. Sie können sich selbst vom Stand des Trainings überzeugen und alle speziellen medizinischen Fragen mit Chefarzt Dr. Ward besprechen."

      Webster nickte. "Eine gute Idee!" Schmunzelnd fuhr er fort: "Außerdem hätten Sie dort die beste Gelegenheit, einen für Sie absolut glaubwürdigen Zeugen zu vernehmen: Scott Sharper. Er war doch früher Testpilot bei der Convair."

      Gilbert musste lachen. "Sie haben sich ausgezeichnet über alles informiert. Mein Kompliment! An dem Vorschlag ist etwas dran. Ob ich am Ende zusage oder nicht, einen Besuch in Langley sollte man sich nicht entgehen lassen."

      Als