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Dieses Jahr ist mein Mann gestorben, und mir graut vor Weihnachten.
Weshalb ich heute Morgen, am 24. Dezember, unsere Wohnung... meine Wohnung mit Sack und Pack verließ, um die nächsten zwei Tage mit
Annika (60),
ihrem Mann Robert (59),
dem gemeinsamen Sohn Immanuel – Izzy – (24),
seiner Schwester Nora (37),
deren Freund Ulf (43),
der gemeinsamen Tochter Marthe (6),
und dem Sohn von Ulf aus erster Ehe Julius (18),
sowie der Mutter von Annika, Luise (84),
und der Mutter von Robert, ebenfalls Luise (81), zu verbringen.
Annika war eine Arbeitskollegin von mir, bevor ich vor einigen Jahren meine eigene physiotherapeutische Praxis eröffnete. Sie hat hart daran gearbeitet, früh in Rente zu gehen, es geschafft, was unglaubliche Kräfte in ihr freigesetzt hat. War sie seinerzeit eher langsam und behäbig, so tanzt sie mittlerweile auf allen Hochzeiten. Macht Kurse, gibt Kurse, trifft sich, lädt ein, wirbelt durch den eigenen Haushalt und den von Nora und Ulf, wo sie zweimal die Woche für ihre Enkelin da ist, um darüber hinaus Izzys Studienleistungen aus dem Tief zu holen (fernmündlich, da dieser in den Niederlanden studiert) und um schließlich Robert, der noch arbeitet, allabendlich zu einem kleinen Gymnastikprogramm oder einer Fahrradrunde zu überreden. Manchmal, gebe ich zu, war mir die alte Annika fast lieber.
Damals, während der gemeinsamen Arbeitszeit, mussten wir uns bei einer auswärtigen Fortbildung ein Zimmer teilen. Der Hotelangestellte hatte bei der Reservierung wohl geschlafen, und das Hotel war am Anreisetag komplett ausgebucht wegen einer Messe. 48 Stunden miteinander zu verbringen und sich ein kleines Bad zu teilen, verbindet. Die Bindung ist geblieben und hat sich über die Jahre auf ihre Familie ausgedehnt.
Weihnachten feiert Anni in Hochglanz. Kein Weihnachtsladen dieser Welt kann es mit der Dekoration bei Anni und Robert aufnehmen. Anni liebt es, ihr Haus mit Festartikeln zu versehen wie einen mit Pixeln vollgestopften Fernsehbildschirm. Robert - macht es mit. Außerdem gilt:
Alle Anwesenden haben sich festlich zu kleiden,
ein Weihnachtsbaum ist Pflicht, sogar mit Lametta,
Geschenke sind ebenfalls Pflicht,
wobei die Verpackung aufwändiger sein sollte als das Geschenk teuer,
elektrisches Licht an Heiligabend – außer in der Küche – ist verboten, so dass die Wohnung randvoll mit Kerzen ist.
Aber die Hauptsache ist: Niemand darf sich digital betätigen. Kein kurzer Blick auf das Smartphone, um eingehende Nachrichten zu lesen und zu beantworten, kein Posten von Fotos des Weihnachtsmenüs oder der Geschenke, keine Grüppchenbildung der Familie um ein Tablet zum Ansehen spaßiger YouTube-Videos.
Die elektronischen Geräte zum Zeitvertreib zu zücken, ist an Heiligabend bei Anni ganz und gar verpönt. „Diese Dinger sind wie Kartoffelchips; man kann die Finger nicht davon lassen. Aber einmal im Jahr ist Fastenzeit!“
Die jüngeren Gäste finden trotzdem Möglichkeiten, das Verbot zu umgehen, wie ich von Julius und Izzy weiß. Aber offiziell sind alle offline.
Nachdem ich Annis Einladung angenommen hatte, habe ich mit ihr ausgehandelt, mein Handy passiv nutzen zu dürfen. Aktiv würde ich digital faulenzen. Aber auf Anrufe und Nachrichten zu reagieren, wurde mir eingeräumt. Dieser Kompromiss war meinem pathologischen Bedürfnis nach Erreichbarkeit geschuldet, das ich nach dem Bali-Urlaub entwickelt habe.
Und so hoffte ich, dass ich in einer Atmosphäre, in der Weihnachten in jede Ecke gepresst wird und für etwas anderes kein Platz ist, die Feiertage ohne Pünktchen einigermaßen überstehen könnte.
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