Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs bezüglich Staatsangehörigkeit
Eigenarten der Bewohner
Bei meinen Besuchen in Humania habe ich stets darauf geachtet, die Humanier so beobachten zu können, dass sie sich nicht beobachtet fühlten. Ich wollte nicht, dass sie sich anders geben als sie sind. Ich würde dieses Volk wohl nie verstehen, wäre mir nicht zufällig Charly Chaplin, ein außergewöhnlich guter Menschenkenner begegnet, der mir die Augen geöffnet hat, dass man die Humanier solange karikieren muss, bis das wahre Wesen zum Vorschein kommt.
Dank seiner Unterweisung weiß ich, dass die Humanier eine schnelle Auffassungsgabe besitzen, so dass sie zu urteilen imstande sind, ehe sie eine Sache gründlich erörtern konnten. Da sie zudem die Fähigkeit besitzen, mit den Augen die aufreizendsten Eindrücke und mit den Ohren die lautesten Geräusche aufzunehmen, können sie sich leicht vor der Langeweile schützen. Jeder verfügt über seinen eigenen Geschmack. Der eine empfindet als ungenießbar oder widerlich, was ein anderer für schmackhaft oder köstlich hält. Ihr Geruchsinn ist im allgemeinen stumpf, so dass sie mit denen zwangsläufig zusammenstoßen, die sie nicht riechen können. Am ausgeprägtesten ist ihr Tastsinn, der sie fähig macht, auch aus großer Distanz und ohne nachdenken zu müssen, die verwegensten Vorurteile abzugeben und allem Unangenehmen aus dem Weg zu gehen. Gegen ihre Feinde schützen sie sich wie manche Tiere, durch die Farbe ihres Pelzes - und wenn das nichts nützt - durch Fauchen, Zischen oder Flucht oder durch den unangenehmen Geruch, den sie verbreiten.
Die Überlegenheit der Humanier beruht, wie ich feststellen konnte, vor allem auf der Tatsache, dass ihnen die Natur zu den gewöhnlichen fünf Sinnen noch fünf andere Sinne mitgegeben hat. Der Eigensinn versetzt sie in die Lage, ungewöhnlich lange auf einem Standpunkt zu beharren und ihn gegen die Umwelt wirksam durchzusetzen. Der Spürsinn hilft ihnen, in Bruchteilen von Sekunden den eigenen Vorteil zu erfassen. Der Stumpfsinn erleichtert ihnen, Erfolge oder Misserfolge, frohe oder enttäuschende Ereignisse gleichmütig zu ertragen. Den Hintersinn nützen sie, um ihre Gesinnungen zu verstecken. Den Widersinn gebrauchen sie oft und gern, wenn sie gegen das eigene Wohl oder den gesunden Menschenverstand handeln möchten. Wer mit dem sechsten Sinn, dem Wahnsinn ausgestattet ist, wird nicht selten mit einem hohen Amt betraut, weil die Meinung vorherrscht, Genialität und Wahnsinn lägen nahe beieinander.
In Humanien gibt es auffallend viele Narren, die sich allerdings beträchtlich voneinander unterscheiden. Es gibt die Clowns, die nur unterhalten und andere zum Lachen bringen möchten; die Narren des Faschings, die ohne froh zu sein, lärmen und sich lustig geben; die vielen, die sich von Modeerscheinungen gängeln, vom Zeitgeist foppen und zum Narren machen lassen, und die Narren, die man so nennt, weil sie die Narrheit ihrer Umwelt demaskieren, aber in Wahrheit nicht erkannte Weise sind.
Ein Herr Jean Paul, der ein Buch mit dem Titel ‘Siebenkäs’ geschrieben haben soll, bat mich, als er erfahren hatte, dass ich einen umfassenden Bericht über die Humanier herausbringen möchte, eine Besonderheit, nämlich die völlige Humorlosigkeit, auf keinen Fall zu unterschlagen: Während nämlich anderswo die Menschen lachen, wenn sie sich freuen und weinen, wenn sie traurig sind, ist es bei den Humaniern umgekehrt: Sie sind meist traurig, weil sie ständig lamentieren und nie fröhlich, weil sie niemals lachen. Sie sind Tag für Tag bemüht, eine gute Stimmung gar nicht aufkommen zu lassen. Das Lachen kommt zuweilen vor bei Politikern nach Wahlen, vorausgesetzt sie haben sie gewonnen, unter der Bevölkerung jedoch nur selten, weil sie an ihrem Wohlstand leidet. Das Lächeln ist auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt: Auf die Models, die Fernsehansagerinnen und die Stewardessen, die sogar über ihre Dienstzeit hinaus lächeln, denn Weinen wäre ein Entlassungsgrund.
Die Humanier sind das einzige Volk der Erde, das ganz ohne Humor auskommt. Die Amtsträger der Kirche hegen weithin die Befürchtung, dass er die Gläubigen leichtsinnig oder locker machen könnte und nur ablenkt. Die Kultusministerien befinden sich in der glücklichen Lage, ihn nicht untersagen zu müssen, weil weder Lehrer noch Schüler ein Interesse daran zeigen. Und alle Angestellten wissen, dass sie die Duldung des Humors nur durchsetzen könnten, wenn sie mit Lohnkürzungen einverstanden wären. An den Urlaubsorten ist Humor nirgendwo gefragt, weil die Leute sich erholen möchten. Nicht einmal die Kabarettisten wollen etwas von ihm wissen, es sei denn, er ist so laut, dass man damit ein Publikum zum Kreischen bringen kann.
Kein Zeitgenosse lebt in seiner Zeit: Mancher im vergangenen Jahrhundert, mancher im frühen oder späten Mittelalter, mancher in der Steinzeit oder in Zeiten, die es niemals geben wird.
Institut für menschliche Verhaltensforschung
Ökologie
Unter den Humaniern hat sich die Überzeugung breit gemacht, das ökologische Gleichgewicht der Natur sei so sehr durcheinandergeraten und das Leben so ungesund geworden, dass in Zukunft nur noch wenige damit zurecht kommen können. Sie mussten einsehen, dass man nicht zugleich den Flugverkehr und das Ozonloch erweitern kann. Sie fürchten, dass sich die Erwärmung vom Äquator zu den Polen hin verlagert; dass sich die Milchstraßen infolge neuer Galaxienbildungen immer mehr verstopfen; dass die Planeten wegen überhöhter Geschwindigkeit aus ihren Umlaufbahnen ausbrechen; ja, dass es eines Tages nicht mehr möglich sei, die Wolkenfelder zu bestellen und das Kreisen der Raumsonden zu kontrollieren. Nahezu jeder der heute vierzig- bis fünfzigjährigen Humanier beteuert, er zöge - sollte die Katastrophe nicht aufzuhalten sein - einen schnellen kollektiven Tod der Menschheit dem individuellen Sterben vor, das erspare ihm das Nachdenken über den Wert oder Unwert seines Lebens während einer langen Krankheit. Im übrigen glauben nur wenige, dass das Weltende ausgerechnet zu ihrer Zeit eintrete, nachdem es doch dafür noch viele andere Zeiten gibt.
Bei den Essgewohnheiten fiel mir auf, dass sich die Humanier widersprüchlich verhalten. Auf der einen Seite legen sie auf gesunde Nahrung großen Wert, kaufen nur geprüfte, nicht gespritzte und ökologisch einwandfreie Nahrungsmittel ein, achten beim Zubereiten genau darauf, dass das Verhältnis zwischen Ballaststoffen, Kalorien und Vitaminen stimmt, und bemühen sich, beim Essen nicht alles, was schmeckt, wahllos in sich hineinzustopfen. Andererseits aber zeigen sie sich, wenn es um die Aufnahme geistiger Inhalte geht, auffallend sorglos: Sie nehmen ungeprüft und unbekümmert auf, was ihnen an Lektüre in Wartezimmer, in Magazinen, in Hörfunk- oder Fernsehprogrammen und an Kiosken angeboten wird, auch wenn es höchst unbekömmlich ist und Blähungen im Gehirns auslöst. Sie wissen zwar genau, was sie ihrem Magen zumuten dürfen, nicht aber, was ihren Gehirnzellen schadet.
Der Weltraumflughafen Cap Canaveral konnte die verbindliche Zusage machen, es sei möglich, zwei Sekunden vor einem eventuellen Weltuntergang die Startrakete ‘Noach’ zu zünden. Probleme bereite nur die Auswahl des für ein Weiterleben auf einem noch zu bestimmenden Planeten wertvollsten Menschenpaares. Es müsse mit hoher ethischer Gesinnung, hochwertigem genetischem Erbmaterial und einer weltanschaulich neutralen Gesinnung ausgestattet sein. Man suche einen Mann mit vorwiegend weiblichen, und eine Frau mit ausschließlich männlichen Eigenschaften, damit bei einem Neuanfang der Menschheitsgeschichte endlich mit einem Matriarchat begonnen werden kann.
‘News’, das Magazin des kommenden Jahrtausends
Tierwelt
Beim Erforschen der Tierwelt wäre ich wohl nicht sehr weit gekommen, hätte mir nicht ein Alfred Brehm geholfen, den ich falsch einschätzte und nie für einen unübertrefflichen Experten auf dem Gebiet des Tierlebens gehalten hätte. Er öffnete mir die Augen für die zahlreichen exotischen Lebewesen, die in Humanien zu finden sind. So ähneln manche, wegen ihres ausgeprägten Herdeninstinktes, und weil sie über die Grimasse miteinander kommunizieren, den Schimpansen;