»Gut«, wiederholte ich.
Er lachte, weil ich ihn nachplapperte. Und dann war es vorbei. Er stellte beide Füße auf den Boden und wandte sich wieder ab, signalisierte mir, dass ich gehen konnte.
Ich drehte mich um und schlurfte zur Tür. Nun fühlte ich mich noch ermatteter, außerdem biss sich das unangenehme Gefühl einer Abfuhr an mir fest.
»Eine Nachhilfe täte Ihnen vielleicht gut«, rief er mir plötzlich nach. Ein Beweis dafür, dass er wusste, dass ich gelogen hatte.
Ich drehte mich noch einmal zu ihm um, doch er schrieb bereits fleißig weiter, mit einer tiefen Falte zwischen den Augenbrauen, als sähe er schlecht und trüge eigentlich eine Brille.
»Zu teuer«, tat ich die Sache ab. Immerhin hatte ich gewiss keine Lust auf eine langweilige Alte, die mir mehrmals die Woche meine Nachmittage stahl, jene ich fest für fernsehen, Videospiele zocken und wichsen eingeplant hatte.
»Vielleicht tut es ja jemand aus Nächstenliebe«, gab er spöttisch zurück und schielte mir mit einem leichten Schmunzeln entgegen.
Die Vorstellung auf Nachhilfe war so abturnend, dass mir jegliche Freude, mich mit ihm zu unterhalten, verging. Ich verzog missgelaunt mein Gesicht und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«
»Sie brauchen nur etwas, dass Sie motiviert, Mr. Vogt«, er sah mich altklug an, »und Sie sollten danach suchen. Sie sind siebzehn. Das Leben hat bereits begonnen, machen Sie was draus.«
Ich ruckte erneut mit den Schultern. Mir doch egal. Diese Art von Gespräch war derart langweilig und nervig, dass ich zumindest kurzweilig von meiner Geilheit geheilt wurde.
Als ich danach in die Pause schlurfte, kam ich jedoch nicht umhin festzustellen, dass sich ein eiserner Wille in mir auftat.
Ich hatte absolut keine Lust, irgendetwas in meinem trägen Leben anders zu machen, mich aufzuraffen und an meine angebliche Zukunft zu denken, die für mich noch so weit entfernt lag, und doch war ich angespornt, weil er mich offensichtlich nicht, wie befürchtet, für dämlich hielt. Aus unerfindlichen Gründen wollte ich ihn nicht enttäuschen.
Hinzu kam meine Faszination für seine Strenge. Wobei ich es vielleicht etwas ehrlicher ausdrücken sollte: ich lechzte sabbernd danach, dass er mich zurechtwies. Egal wie, egal wann, egal weshalb. Hauptsache sein scharfer Blick und seine eiserne Miene trafen mich – und sein schneidender Tonfall ließ mich zusammenzucken, und dann erzittern.
Bitte, sei nett zu mir, mag mich, wollte ich ihm zurufen, aber bitte, lass mir nichts durchgehen.
Und vielleicht lag mein ganzes Verhalten, meine ganze Lustlosigkeit einfach nur daran, dass ich mich nach Disziplin sehnte.
Ich brauche das!
1.1
Die nächsten Tage verliefen ähnlich aufreibend. Während ich mir in den Kopf gesetzt hatte, zu beweisen, dass ich mich verbessern konnte, wenn ich wollte, war mein Schultag von Bangen erfüllt.
Ich bangte darum, ihn zu sehen, selbst wenn ich kein Unterricht bei ihm hatte. In den Pausen hoffte ich, dass er die Aufsicht hatte, und hielt Ausschau nach ihm, wie er mit seinem üblichen Kaffee über den Hof schlenderte, sodass mich meine Clique alsbald fragte, was mit mir los sei, und nach wem ich suchte. Sie neckten mich bald darauf, weil sie glaubten, ich schwärmte heimlich für jemanden.
Sie hatten recht, allerdings war das Objekt meiner Begierde ein Lehrer.
Sie wussten, dass ich schwul bin. Alle wussten es. Ich selbst habe es immer gewusst und nie ein Geheimnis daraus gemacht. Was mein Leben nicht gerade vereinfacht hatte.
Wenn du bereits als – sehr frühreifer – Junge bei jedem freien Männeroberkörper im Schwimmbad zu sabbern anfängst, weißt du es einfach. Außerdem waren meine Fantasien stets eindeutig, als ich anfing, mich für meinen Schwanz zu interessieren. Zugegeben, das Ding war immer sehr interessant gewesen, denn man konnte wahnsinnig tolle und witzige Sachen damit anstellen. Aber erst als er mir diese herrlich prickelnden und warmen Gefühle verursachte, lernte ich seinen wahren Wert zu schätzen. Er war zu mehr als zum körpereigenen Feuerwehrschlauch gut. Oder mehr als ein »Stift«, mit den ich in den Schnee »zeichnen« konnte.
Okay, letzteres tue ich heute noch, wenn ich im Winter draußen mal pinkeln muss. Niemand außer mir konnte so präzise ein Phallussymbol in den Schnee »malen«. Leider konnte ich damit nicht unbedingt viele Menschen beeindrucken.
Jedenfalls kenne ich so etwas wie Scham nicht, wenn es um meine Sexualität geht.
Ich würde mich nicht als klischeehaft schwul bezeichnen. Auch wenn ich gestehen muss, dass ich wohl durch und durch passiv bin. Was bedeutet, ich lass mich gern besteigen. Wobei, ich reite natürlich auch gerne. Worauf ich eigentlich hinaus will: ich lass mich ficken.
Klar, ich kann es auch anders herum, ich bin da sehr flexibel, aber richtig geil werde ich erst, wenn mir jemand etwas in den Arsch schiebt. Und ich gehe damit auch ganz unverblümt um. Warum lügen oder es schüchtern umschreiben? Es ist, wie es ist. Arschfick bleibt Arschfick, auch durch die Blume gesprochen.
Aber mal davon abgesehen, wie ich Sex praktiziere – was ja auch nur mich etwas angeht – sehe ich mich selbst nicht als Klischee. Ich trage keine schrillen Farben, rede nicht mit nasaler Stimme, gehe nicht ständig in Clubs. Mein Aussehen ist für mich auch nicht das Wichtigste. Ich bin ein typischer Normalo, würde ich sagen, allerdings dass ich eben schwul bin. Nicht, dass die Sexualität eines Menschen tatsächlich aussagekräftig für seinen Charakter wäre.
Ich stehe auf Actionfilme, um so überdrehter, um so geiler. Ich fahre auf Ballerspiele ab, hatte nie eine Barbie und verabscheue Rosa. Ich verwende nur ein einziges Duschbad für Haare und Haut, und es riecht nach Moschus. Ich trage meine Socken so lange, bis meine Mutter sagt, ich solle die Dinger wegschmeißen, sie würde lieber das Haus in Brand stecken, als sie zu waschen. Meine T-Shirts sind weit, dunkel und mit den Covern von Heavy-Metal-Bands geschmückt. Dazu trage ich meistens graue oder schwarze Jeans, die etwas tief liegen, aber derart eng sind, dass sie nicht rutschen können.
Denn mein Arsch ist so ziemlich das Geilste an meinem kleinen, schmächtigen Körper, weshalb ich ihn gern betonte.
An mein Haar lasse ich nur Wasser und das Haarfärbemittel meines Vertrauens. Da ich das banale Straßenköterblond meines Schopfes nicht mochte, färbte ich sie immer blauschwarz – schwärzer geht es nicht. Ich trage mein Haar durchgestuft und wild, etwa wie eine von diesen Manga-Figuren. Nicht, dass ich je einen Manga gelesen hätte, aber ich kenne die ein oder andere Anime-Serie und legte meinem Friseur eine Vorlage hin. Er hat nicht schlecht geguckt.
Die längsten Spitzen waren auf Höhe meines schmalen Kinns, die kürzesten verhingen halb meine silbergrauen Augen. Unter den Fransen trage ich allerdings einen Undercut.
Ich habe einen Tunnel im Ohr – natürlich das »schwule« Ohr, ich will ja Flagge zeigen – und Piercings in der Unterlippe, Zunge und zwischen den Augenbrauen. Aber nein, ich bin kein schwuler Goth oder Punk oder Emo, oder was es sonst noch so gibt. Ich bin ein Normalo, mit dem Hang zu Piercings.
Vielleicht wollte ich aber auch nur Aufmerksamkeit erregen. Was mir nicht gelang. Das einzige, das mir gelegentlich Beachtung einbrachte, war meine Sexualität.
»Hey, Schwuchtel«, wurde ich angesprochen. Dagegen habe ich nichts, ich bin eben der einzige auf meiner Schule, außerdem war ich nicht zimperlich. Ich hatte meinen Freundeskreis, bestehend aus ein paar Videospiel-Nerds und Punk-Kids, da war es mir doch gleich, ob der ein oder andere Spasti auf meiner Schule Witze darüber machte, dass ich mit anderen Jungs vögelte.
Gerade erst hatte ich eine – für mich – lange Beziehung beendet, weil ich mich einfach nicht mehr darauf konzentrieren konnte. Ich habe ihn nicht auf diese Weise geliebt, wie er mich, und es war nicht fair, dieses Spiel weiter zu treiben. Zumal er noch passiver war als ich, und ich keinen Bock mehr hatte, ihn zu ficken. Hinzu kam