An der Ausfahrt Karlsruhe-Durlach verlasse ich die A5 und biege mit meinem Golf 1.4 Trendline, Baujahr 1998, ausgestattet mit einem 74 PS-Motor und dem bemerkenswerten Kilometerstand von 238 415 wie sein Tacho unzweideutig ausweist, auf die vierspurige Durlacher Allee ein. Ich schaue auf die Armbanduhr. In zwei, allerspätestens drei Minuten habe ich mein Ziel erreicht. Auch bin ich mir sicher, dass Brandt unterschreiben wird. Der Mann wäre ein kompletter Volltrottel, täte er es nicht. Fünfhunderttausend Euro, vorbei an jeder Steuer, sind wahrlich kein Trinkgeld! Der Betrag reicht, um in ein neues Leben einzusteigen.
Der Autor wohnt im Zentrum des Karlsruher Stadtteils Durlach, in einer schmalen Straße mit blankgewetztem Kopfsteinpflaster und vielen kleinen Fachwerkhäusern, in denen es Parterre hier und da kleine Geschäfte oder urigen Weinlokale gibt. Ich würde mich nicht wundern, wenn eine Pferdedroschke die Straße entlang geholpert käme, in der mittelalterlich angezogene Leute sitzen, Wein trinken und dazu schlüpfrige Minnelieder singen. Ansonsten besitzt die Straße auch ihr Alleinstellungsmerkmal: Sie hat keine Bürgersteige. Doch vielleicht ist es gerade das, was sie zu dieser Postkartenidylle aus einer längst untergegangenen Zeit macht.
Ich stelle meinen Wagen unmittelbar vor Brandts Haus ab, einem zweistöckiges Fachwerkgebäude mit rotglänzenden Dachziegeln, kleinen grüngestrichenen Fensterrahmen und einer im selben Farbton gehaltenen Haustür. Ein alter großdimensionierter Daimler, gesteuert von einem Türken, der mich misstrauisch beäugt, gleitet im Schritttempo an mir vorbei. Der Mann erweckt den Eindruck, als fungiere er hier als Sheriff. An der Haustür gibt es nur ein Namensschild, auf dem Eugen und Ulrike Brandt aufgeführt werden. Für einen zweiten Mieter ist das Haus entschieden zu klein ausgefallen. Ich lege meine Hand auf die einzige Klingel. Höchstens zwei, drei Sekunden verstreichen, dann dringt aus einer Sprechanlage eine männliche Stimme, die mich förmlich anblafft: „Sind Sie endlich da!“
Ohne mir die Zeit zu lassen, ihm zu antworten, surrt es und die Haustür lässt sich öffnen. Kaum stehe ich mit einem Bein im Hausflur, flammt an der Decke eine unruhig flackernde Neonleuchte auf. Kurz darauf öffnet sich die Wohnungstür, und ich schaue dem Sachbuchautor Eugen Brandt in die Augen. Wie ich finde, ein ausgesprochen imposanter Mann um die Fünfzig, fast einen Kopf größer als ich, dazu ein langes, markantes Gesicht, mit großen, ausdrucksstarken Augen, die leicht zu funkeln scheinen und mit einer Mischung aus Neugier und Verachtung auf mich herabschauen. Eine dunkelbraune Haarsträhne, durchsetzt von einem leichten Grauton, hängt ihm über der Stirn. Ansonsten werde ich das Gefühl nicht los, ich schaue Robert Redfort ins Gesicht. Wobei er mehr die dunkelhaarige Variante verkörpert. Ich gehe mit der ausgestrecktem Rechten und einem breiten Lächeln im Gesicht auf ihn zu. „Herr Brandt, es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich habe schon viel von Ihnen …“
„Ja, ja, schon gut!“, unterbricht er mich und reicht mir eher beiläufig die Hand, während sein Kopf mir das Zeichen gibt, ihm zu folgen. „Wir sind unter uns!“, fährt er im Gehen fort. „Meine Frau ist im Geschäft. Sie wird erst nach 13 Uhr da sein, dann macht sie unser Essen. Wir haben also gut zwei Stunden Zeit. Wenn es Ihnen recht ist, ziehen wir uns in mein Arbeitszimmer zurück.“
Ich nicke, währenddessen er mich in einen gut fünfzehn Quadratmeter großen und nahezu quadratischen Raum führt. Ich sehe zwei kleine Fenster, die zur Straße hin liegen und so wenig Tageslicht hereinlassen, dass selbst jetzt um die Mittagszeit, wo die Sonne im Zenit steht, zusätzliches Lampenlicht benötigt wird, um hier arbeiten zu können. Ansonsten ist die Einrichtung spartanisch und zugleich irgendwie heimelig wie die ganze Gegend hier. Ich sehe zwei IKEA- Sessel, ein mit Plüschstoff bezogenes Sofa, einen derb zusammengezimmerten Schreibtisch, auf dem ein Telefon, eine Arbeitslampe im Jugendstil, ein eingeschalteter Laptop und ein hp-Drucker stehen. Einen guten Meter entfernt haben zwei mit Büchern und Manuskripten vollgestopfte Regale, sowie ein kleiner runder Tisch, übersät mit schmutzigem Geschirr; Büchern, Zeitschriften und losen Manuskriptblättern, ihren Platz gefunden.
Ich setze mich in den Sessel, der einen Hauch mehr Tageslicht als sein Kollege zu bieten hat und lege mir den Aktenkoffer auf die Knie. Der Hausherr lässt sich in seinem Bürosessel nieder. Offenbar will er mir zu verstehen geben, dass er mir gegenüber auf Distanz bedacht ist.
„Wie wird man eigentlich Privatdetektiv?“, nimmt Brandt das Gespräch auf.
„Man geht ins Rathaus und holt sich eine Konzession.“
„So einfach ist das?“
„So einfach ist das!“, erwidere ich beiläufig nickend.
„Am Telefon haben Sie mir gesagt, dass „Der Freundeskreis Russischer Bürger in Baden-Baden“ Sie beauftragt hat, das Gespräch mit mir zu suchen.“
„Exakt!“
„Übrigens, eine illustre Gesellschaft, in dessen Auftrag Sie zu mir kommen. Jede Menge Millionäre, sogar Milliardäre. Dieser oder jener nicht ganz koscher. Aber, damit erzähle ich Ihnen sicher nichts Neues!“
Ich überhöre seinen Kommentar. „Sie sollen momentan an einem Buch mit dem Titel ‚Die reichen Russen in Baden-Baden‘ arbeiten.“
Während sich ein leichtes Schmunzeln auf sein Gesicht legt, tippt er mit dem Zeigefinger seiner Linken auf seine Nasenspitze und verkündet fast triumphierend: „Da hat mein wertes Näschen wieder einmal richtig vermutet!“
Ich ziehe es vor zu schweigen.
„Junger Mann, eins vorab!“, fährt Brandt selbstgefällig fort, „Wie immer freue ich mich auf den Moment, wenn ein Buch von mir es bis in die Buchhandlungen geschafft hat. Übrigens habe ich eine treue Fangemeinde, die schon voller Ungeduld auf „Die reichen Russen in Baden-Baden“ wartet! Vor allem interessiert sie, wie ein ganz gewöhnlicher Russe, einer wie Sie und ich – und das waren sie ja alle mal, die es in mein Buch geschafft haben - zu so entsetzlich viel Geld gekommen sind. Gewissermaßen aus dem Stand heraus!“
„Herr Brandt, das verstehe ich! Und es freut mich für Sie, dass Ihre Bücher auch gelesen werden! Was ja nicht immer der Fall ist.“ Auf einmal finde ich, es ist an der Zeit, Tacheles zu reden. Ich straffe meinen Oberkörper. „Doch davon mal abgesehen, bin ich gekommen, um Ihnen zu sagen, dass der Freundeskreis Ihnen die Rechte zu Ihrem im Entstehen befindlichen Buch abkaufen möchte! Und man hat mich befugt, Ihnen ein Angebot zu unterbreiten.“
„Damit es ja nicht zu einer Veröffentlichung kommt!“
Ich zucke mit den Schultern. „Das entzieht sich meiner Kenntnis! Ich kann Ihnen nur sagen, der Vorsitzende des Freundeskreises Herr Gulja Makarow findet, dass Sie in diesem Buch entschieden zu weit gehen. Prostitution, Rauschgift, Waffenhandel, das ist starker Tobak! Damit können Sie sich gewaltigen Ärger einhandeln!“
Er schaut mich belustigt an. „Wollen Sie mir etwa drohen?“
Ich gebe mich pikiert. „Wer spricht von drohen! Es geht eher um juristische Auseinandersetzungen, mit denen man Sie überziehen könnte. Bis hin zu einem Erscheinungsverbot! In dem Fall würden Sie leer ausgehen.“
Brandt winkt belustigt ab. „Glauben Sie mir, als investigativer Journalist bin ich derartigen Ärger gewohnt. Trotzdem habe ich alles heil überstanden. Und was in meinem neusten Buch steht, ist besonders sorgfältig recherchiert. Ich sage Ihnen: Kein Anwalt und auch sonst niemand, kann mir ans Bein pinkeln! Und dieser Gulja Dingsda schon gar nicht!“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Herren dieses Vereins so etwas vorhaben. Es soll selbstverständlich im gegenseitigen Einvernehmen….“
„Welche Herren gehören eigentlich zu diesem merkwürdigen Konstrukt russischer Bürger in Baden-Baden? Etwa die zehn, über die ich schreibe?“
„Herr Brandt, ich kenne weder eine Mitgliederliste, noch hat sich ein Mitglied mir gegenüber zu erkennen gegeben. Mit Ausnahme seines Vorsitzenden, Herrn Gulja Makarow.“
„So, so!“
Da mir dieser Brandt allmählich suspekt wird, entschließe ich mich, Fakten sprechen zu lassen. Bedächtig hebe