Marie Lu Pera
Wer braucht schon Zauberkerle?
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Inhaltsverzeichnis
Henry
Ich werde am Arm zurückgehalten. Beliars Berührung löst einen Gefühlsschwall in mir aus, der mir fast die Beine unter den Füßen wegzieht. Wenn ich ihm jetzt in die Augen sehe, gibt mir das den Rest, also weiche ich seinem Blick aus.
„Wage es nicht, vor mir davonzulaufen“, herrscht er mich an. Ich bin so perplex, dass ich fast automatisch seinen Blick suche. Fehler, sag ich nur. Seine Augen nehmen mich bereits gefangen – ziehen mich in den altbekannten Bann, aus dem es kein Entrinnen gibt.
„Lass mich los“, fordere ich ungehalten und versuche, meinen Arm aus seinem Griff zu winden – ohne Erfolg.
Energisch zieht er mich an sich. „Du zweifelst an der Ernsthaftigkeit meiner Worte ... also gut ... ich beweise dir, dass meine Gefühle aufrichtig sind. Werde meine Frau, Raven“, verkündet er.
Bei mir hat Schnappatmung eingesetzt. Er hat mir jetzt nicht gerade einen Antrag gemacht, oder?
Mehr als ein vollkommen überzeichnetes „Wie bitte?“ bekomm ich nicht heraus.
Beliar sieht irritiert aus, erklärt aber nach ein paar Sekunden: „Heirate mich, Raven.“
Ich keuche, weil ich sogar kurz vergessen habe, zu atmen. Unbändige, durch Angst geschürte, Wut steigt in mir auf, die mich vor ihm zurückweichen lässt und in einem fassungslosen „Hhhh“ zutage tritt.
Beliar hat meinen Arm unvorhergesehen losgelassen, was dazu führt, dass ich beim Zurückstolpern fast zu Boden gehe. Im letzten Moment kann ich noch verhindern, dass es mich so richtig schön auf den Hintern setzt. Das Gefühlschaos, das nun in mir wütet, ist fast unerträglich.
„Nein.“ Meine Antwort kam nur in Form eines total verängstigten Flüsterns über meine Lippen.
Beliars Blick spricht Bände. Er ist überrascht, wütend, vor den Kopf gestoßen, enttäuscht und verletzt zugleich. Sein Ausdruck ist wie ein Schlag in meine Magengrube, der mich beinahe würgen lässt.
In meiner Verzweiflung wanke ich zurück und ergreife die Flucht. Unter Tränen sprinte ich den Unicampus entlang, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter mir her. Er hat mir echt einen Antrag gemacht, ich fasse es nicht – ich bin sechzehn, verdammt nochmal.
Unfähig, einen einzigen, klaren Gedanken zu fassen, hab ich den Weg zu meiner Wohnung, dessen Türe ich energisch hinter mir zuschlage, hinter mich gebracht.
Obwohl ich sonst nicht so leicht aus der Puste komme, geht mein Atem stoßweise. Der Aufruhr in meinem Inneren lässt mich mit zitternden Händen nach dem Kräutertrunk greifen, von dem ich mir gleich ein ganzes Fläschchen runterkippe.
Der Druck, der auf meiner Seele lastet, nimmt sofort ab und weicht einer wohligen Wärme. Mein Atem wird ruhiger, der pochende Herzschlag geht wieder in einen gemächlichen Rhythmus über und schlagartig geht es mir besser.
Das Klingeln meines Handys wird mir erst bewusst, als es schon wieder aufgehört hat. Auf dem Display wird das Foto meines Bruders Junus angezeigt, der mir auf die Mailbox gesprochen hat:
„Hey Schwesterherz. Wahrscheinlich kannst du grad nicht ans Telefon, weil du dich mit Beliar in den Kissen wälzt. Ich meine, ich will ja echt kein Klugscheißer sein, aber ich hab dir immer gesagt, er wird sich früher oder später für dich entscheiden.“ Mir entweicht erneut ein gequälter Laut. „Wie dem auch sei, als er bei mir war und mich über dich ausgefragt hat, war das so süß – du hättest ihn sehen sollen. Er war richtig nervös, als er hier weg ist. Ich meine, er ist der mächtigste Hexer, den ich kenne – außer deinem Vater natürlich. Ihn kann normalerweise nichts so schnell aus der Ruhe bringen. Wieder ein Zeichen dafür, dass er total in dich verschossen ist. Meld dich und erzähl mir, wie es war – ich meine den Teil, bevor ihrs wie die Karnickel getrieben habt. Du passt doch hoffentlich auf, ich bin eindeutig zu jung, um Onkel zu werden. Ruf mich an. Du hast schon so lange nichts mehr von dir hören lassen und wir haben uns beinahe vier Monate nicht gesehen. Artis wollte schon Hals über Kopf ins Flugzeug steigen und dich besuchen, weil er sich Sorgen macht. Ich mir übrigens auch. Du fehlst uns. Bye, Kleines.“
In mir baut sich erneut diese innere Unruhe auf, die ich mit dem Leeren des zweiten Fläschchens im Keim ersticke. Von Weitem kicke ich es in den Mülleimer, wo es scheppernd auf die anderen Zeitzeugen meiner, in letzter Zeit relativ häufigen, Momente der Schwäche, die ich mit dem Mittel zu betäuben versuche, trifft.
Das macht mir grad etwas Angst. Ich nehme den Trank täglich. Er hat mich durch die letzten vier Monate gebracht, sonst wär ich glaub ich nicht fähig gewesen, aus dem Haus zu gehen, geschweige denn in der Uni Leistung zu bringen. Zu sehr haben mich die Erinnerungen an die Zeit im Mittelalter inklusive McConnors Gesicht, als er abgedrückt hat, das mich seitdem verfolgt, runtergezogen.
Kurz frage ich mich, ob einem das Zeug schaden kann, aber die runzlige, alte Kräuterhexe, die ihren Marktstand an der Ecke Eastwood hat, hat mir versichert, es sei alles rein pflanzlich und vollkommen ohne Nebenwirkungen. Ist bloß ein natürliches Beruhigungsmittel, damit ich mich besser fühle –