Der Film wurde trotzdem ein Riesenerfolg. Aber als Tom dann auch noch bei einer Preisverleihung, die von seinen bis dahin treuen Fans eifrig unterstützt und mit Ungeduld erwartet worden war, durch Abwesenheit glänzte, war das Maß einfach voll. Zwar bedankte er sich auf einer großen Videoleinwand bei seinem Publikum für dessen Treue, wobei er übrigens wieder ziemlich angeschlagen wirkte, seine Fans aber empfanden diese Dankesrede wohl eher als Schlag ins Gesicht. Sie warfen ihm vor, der Erfolg sei ihm zu Kopf gestiegen, er habe den unglaublichen Ruhm nicht verkraftet, er halte sich für etwas Besseres, habe es nicht nötig, denen, die ihm zu Geld und Ansehen verholfen hätten, persönlich zu danken, blablabla. Er tat mir richtig leid, denn ich fand immer, dass er einen sehr lieben Charakter hatte. Diese Reaktion hatte er nicht verdient. Vor allem nicht nach all dem, was er wohl durchgemacht hatte.
Jedenfalls hat er dann eine Zeit lang tatsächlich mehr Furore gemacht mit Gerüchten über wilde Partys und Alkoholexzesse, als mit guten Filmen. Und dann wurde es ziemlich ruhig um ihn. Ich habe lange Zeit nichts mehr von ihm gehört. Aber ich war ja auch mit anderen Dingen beschäftigt. Zum Beispiel mit diesem kleinen Schreihals hier.« Sie kneift ihre Tochter in die Seite, springt dann schnell aus dem Bett, wirft ihr über die Schulter noch eine Kusshand zu und schlüpft aus dem Zimmer.
Die Kleine träumt eine Weile vor sich hin. Ihr Vater hat ihr einmal auf seiner alten Gibson Paula gezeigt, wie eine Saite, ohne dass er sie berührt, mit einer anderen Saite, die er anschlägt, mitschwingt. Resonanz hat er das genannt. So ähnlich muss das mit diesen seltsamen Schmerzen sein. Nein, sie fühlt nicht den Schmerz der ganzen Welt, wie ihre Mutter gesagt hat. Sie fühlt nur Toms Schmerz. Etwas in ihr gerät wie eine Saite in Schwingung, wenn sie sich auf Tom und die Ereignisse um Rosas Tod konzentriert. Dann spürt sie SEINE Gefühle. Fast so, als wäre … als wäre ein Teil von ihm in ihr drin.
Und sie empfindet noch etwas anderes. Da ist ein kleines, beharrliches Feuer in ihrer Brust, ungefähr da, wo das Herz sitzt. Es macht, dass sie Tom … dass sie ihn liebhat und dass sie eine ganz komische, eine dolle Vertrautheit mit ihm spürt, als würde sie ihn schon seit einer Ewigkeit kennen. Ob das Feuer schon immer da in ihr drin war, ganz still flackernd im Verborgenen? Wie ein ewiges Lichtlein, das nie ausgeht?
Die Kleine ist wild entschlossen, auf dieses Feuer aufzupassen und es zu beschützen, bis sie es eines Tages mit dem Menschen teilen kann, für den es brennt.
Und die Zwölfjährige trifft eine Entscheidung. Sie wird Tom suchen. Alles weitere wird sich schon von selbst ergeben, wenn sie ihn erst gefunden hat. Und sie weiß auch schon, wie sie es anfängt. Zuerst den Schulabschluss machen. Klare Sache! Dann einen vernünftigen Beruf erlernen. Das muss sie schon deshalb, um das notwendige Geld für eine Reise nach Amerika zusammenzubekommen. Sie kann ja wohl schlecht ihre Eltern um das Geld bitten. Und am Ende muss sie nur noch herausfinden, wo genau Tom lebt und zu ihm Kontakt aufnehmen. Aber das ist dann nur noch eine Kleinigkeit. Etwas in ihrem Inneren wird ihr schon sagen, was zu tun ist, welchen Weg sie gehen muss. Darauf vertraut sie aus tiefster Seele.
13. Kapitel
Tom Savage gastierte im Donmar Warehouse in London. Wieder einmal auf einer Theaterbühne zu stehen, war schon sehr viele Jahre sein Wunsch gewesen. Es war zwar ein kurzes Gastspiel, nur während der Frühlingsmonate, und in ein paar Wochen würde er schon wieder nach Los Angeles zurückkehren, aber er genoss es in vollen Zügen.
Die Vorstellungen waren jeden Abend bis auf den letzten Platz ausverkauft. Die Komödie war äußerst erfolgreich. Regelmäßig tobte das Publikum und sie, die Schauspieler, bekamen unzählige Vorhänge. Danach sammelten sich immer einige Fans vor dem Bühnenausgang, um sich ein Autogramm von ihm persönlich abzuholen. Er gab es ihnen gerne. Teilweise gehörten sie der jungen Generation an, teilweise waren sie ihm aber auch über all die Jahre treu geblieben, obwohl er sie damals so sehr enttäuscht hatte.
Heute ging Tom, wie immer nach der Vorstellung, in sein Lieblingslokal MON PLAISIR. Es war das älteste französische Restaurant in London und lag in der Monmouth Street, nur zwei Gehminuten vom Donmar Warehouse entfernt. Tom setzte sich wie immer an seinen Tisch im alten Dining Room und bestellte sich einen Salat Niçoise und ein Glas Haut-Médoc. Dann wandte er sich dem Drehbuch zu, das er mitgebracht hatte, und begann aufmerksam darin zu lesen.
Als sich die Tür öffnete, blickte er geistesabwesend auf und sah eine junge Frau hereinkommen: dunkle, kinnlange Haare, zierliche Figur. Wenn man überhaupt von einem Typ Frau sprechen konnte, den er anziehend fand, dann gehörte diese junge Frau bestimmt nicht dazu. Sie wirkte so mädchenhaft und zerbrechlich. Sie ähnelte sehr seiner alten Freundin Charlie. Nicht der Charlie von heute, die jetzt mit Riesenschritten auf die Fünfzig zuging. Nein, der Charlie als Claire, seiner süßen kleinen Filmschwester von damals.
Die junge Frau schaute kurz in seine Richtung und er bemerkte ihre grünen, eindringlichen Augen. Eine ferne Erinnerung flackerte in ihm auf. Die Frau setzte sich an einen freien Tisch ihm schräg gegenüber.
Tom vertiefte sich wieder in seine Lektüre, bemerkte aber, dass die Frau ständig zu ihm herüberschaute. Er rechnete fest damit, dass sie gleich, wie früher seine weiblichen Fans, egal welchen Alters, einen hysterischen Aufschrei des Erkennens von sich gab und in Missachtung seiner Privatsphäre an seinen Tisch geeilt kam, um ein Autogramm von ihm zu fordern.
Nichts dergleichen passierte. Sie saß nur da und starrte ihn an. Als wolle sie ihn hypnotisieren. Er war es ja gewöhnt, angestarrt zu werden, aber diese junge Frau hatte einen so merkwürdigen Ausdruck in den Augen. Traurig? Nachdenklich? Wehmütig? Er konnte es nicht genau festmachen. Aber sie machte ihn nervös. Sie kam ihm irgendwie vertraut vor, doch er war sich fast sicher, sie noch nie gesehen zu haben.
Tom fühlte sich unbehaglich. Nicht einmal hier hatte man nach getaner Arbeit seine Ruhe! Er aß hastig seinen Salat auf, trank sein Glas leer, machte dem Oberkellner Armand ein Zeichen, er solle die Rechnung zurücklegen und ging auf den Ausgang zu. Dabei musste er an ihrem Tisch vorbei.
Der Gang, der in der Mitte zwischen den Tischen, die an den Wänden aufgereiht waren, entlangführte, war nicht so eng wie in den französischen Hafenlokalen, die er aus Paimpol kannte. Trotzdem beschleunigte Tom seinen Schritt und vermied den Blick dieser Frau. Doch als er auf gleicher Höhe mit ihr war, spürte er plötzlich ein vertrautes Kribbeln und zuckte zusammen. Er schaute in ihre Augen und glaubte für den Bruchteil einer Sekunde eine lodernde Flamme in ihnen zu erkennen. Fluchtartig verließ er das Lokal.
XXX
Ziellos lief Tom durch die Stadt. Die Erinnerungen an damals waren plötzlich alle wieder da. Die Erinnerungen an Rosa. Tief in Gedanken versunken lächelte er wehmütig.
Ganz deutlich erinnerte er sich an seine Überraschung, als er IHR zum ersten Mal gegenüberstand, damals am Strand von SAINT-JEAN-DU-DOIGT. Sie war ihm am ersten Drehtag von Hank Stevenson vorgestellt worden. Als Bestsellerautorin. Als Schöpferin der Geschichte von VICTOR UND CLAIRE. Aber er hatte nur dieses fantastische Geschöpf vor sich gesehen, dessen mitreißende Ausstrahlung, dessen Seelenduft, wie Rosa es einmal selber genannt hatte, ihn überwältigt hatte. Ihre unbeschreibliche Wärme, ihre Lebendigkeit hatten ihn gestreift und er war verloren gewesen. Wie in einem Sog war er zu ihr hingezogen worden. Er hatte Rosa vom ersten Augenblick an geliebt.
Natürlich hatte sie ihm auch Respekt eingeflößt, das wollte er ja gar nicht leugnen. Er war wahrlich kein Draufgänger gewesen, damals mit sechsundzwanzig Jahren, trotz seines Rufs. Er war eher schüchtern und unbeholfen im Umgang mit solchen Frauen. Ihm war schon klar, dass ER irgendwann die Initiative ergreifen musste, wenn er ihr näher kommen wollte. Sie hätte das nie getan. Der Altersunterschied hatte zwischen ihnen gestanden, war ein Problem für SIE. Das ließ Rosa ihn immer wieder spüren. Manchmal war sie ihm so nah, dass er ihre prickelnde Energie mit allen seinen Nervenfasern spüren konnte. Er erinnerte sich lächelnd daran, wie sie ihn manchmal am Ärmel gezupft hatte, um ihn energisch in eine Richtung zu ziehen. Dann schottete sie sich plötzlich wieder ab, war unnahbar und weit weg.
Für