Otto Schiel
VON WILLI PUCHERT (21)
Landegem (Belgien) 15.10. 1914
Lieber Otto!
Heute abend in der Ruhe finde ich Gelegenheit, Dir zu schreiben. Als Ueberschrift...ich unterbreche, weil eben eine feindliche Patrouille der Kavallerie gemeldet wird.
16. Oktober 1914
Mit der feindlichen Patrouille war es nichts. Wenn es wirklich eine gewesen sein sollte? Unsere Sorgen waren umsonst. Als Ueberschrift über diesen Brief möchte ich das Sprüchlein setzen: "Ein furchtbar wütend Schrecknis ist der Krieg!" Dieser Spruch hat seine volle Berechtigung. Doch laß mich der Reihe nach erzählen: Sonntag morgens 3 Uhr wurde geweckt. Um 5 Uhr standen wir auf dem Bahnhof. Abfahrt war 1/2 6 Uhr. Wir machten es uns im Bahnwagen (natürlich ein Viehwagen) bequem, denn es wurde eine lange Fahrt. In ca. 60 Stunden. Dienstag Nachmittag waren wir in Alost, wo wir die Bahn verließen. Unsere Fahrt ging über Nauen, Wittenberge, Hamburg, Harburg, Osnabrück, Münster, und von dort weiter nach Recklinghausen, Oberhausen, der Grenze zu. Diese passierten wir in der Nacht vom Montag zum Dienstag. Wie wir Dienstag morgens aufwachten, waren wir in Belgien. Als wir es merkten, war es mit dem Schlafen natürlich aus. Jedermann wollte sich das Land ansehen. Der Teil Belgiens, den wir anfangs durchfuhren, war sehr gebirgig. Hier hatte es schon gefroren. Wir hatten Gelegenheit, famose Landschaftsbilder zu sehen. Später wurde das Land aber eben, auch reizloser. Jetzt mehrten sich auch die Ortschaften. Allenthalben sah man schon die Schrecknisse und Verwüstungen des Krieges. In den meisten Orten sah man zerstörte Häuser, wahrscheinlich die der Franktireurs. An anderer Stelle auch einfache Soldatengräber bei den Schützengräben, mit einem schlichten Holzkreuz, dieses noch behauen und mit Blumen geschmückt. Als erste größere Stadt kam Lüttich. Eine schöne Stadt, aber auch hier, besonders in den Vorstädten, zerstörte Häuser. Weiter ging die Fahrt nach Löwen. Jetzt konnte ich mit eigenen Augen sehen, was hier geschehen. Ganze Straßen sind zerstört. Überall Grauen und Zerstörung. Aber es ist ja ein gerechtes Strafgericht gewesen, das hier unsere braven Kameraden vollzogen. Die Kirche ist unversehrt. Dann ging es durch Brüssel, der Hauptstadt, bis nach Alost, unserer Endstation. Weiter zu Fuß nach Crondegem, wo wir abends um 6 Uhr Ortsquartier bezogen. Das Quartiernehmen geht schnell. Das Haus und die Scheune werden angesehen und sofort 10-20 Mann, je nach dem, einquartiert. Die Einwohner sind fast überall, jedenfalls in den Ortschaften, durch welche wir marschierten, äußerst furchtsam. Verständigen können wir uns ganz gut auf plattdeutsch. Sie geben gerne, was sie haben. Am Mittwoch ging es weiter nach Melle. Hier bezogen wir wieder Ortsquartier. Abends, wir waren gerade ins Heu gekrochen, da ertönten Schüsse. Alarm! Schnell heraus aus dem Heu, Mantel gerollt, Helm auf, umgeschnallt und raus. Civilpersonen hatten sich der Bagage genähert und auf Anruf nicht gestanden. Es wurde geschossen, aber nachher zeigte sich nichts mehr. Am anderen Morgen marschierten wir nach Gent. Es ist dieses eine schöne Stadt. Aber sehr wenig Einwohner. Die meisten sind geflüchtet. Auf der Straße von Melle nach Gent begegneten uns ganze Schwärme von Flüchtlingen, welche mit wenig Habe sich in Sicherheit brachten. Gestern Mittag erreichten wir Landegem. Wir waren mit unserer Korporalschaft einquartiert. Uns gegenüber stand ein neues Haus. Hier fanden wir alles, was unser Herz begehrte. Konnten in Betten schlafen, etwas, was wir bisher in Belgien noch nicht hatten. 2 Hühner kauften wir uns, etwas Butter und dann ging die Kocherei los. Um 3 Uhr fingen wir an und um 7 Uhr hatten wir ein tadelloses Abendessen. Huhn, Brühe und Kartoffeln. Bald gingen wir schlafen. Heute ist Ruhetag. Jetzt weiß ich vorläufig nichts weiter zu berichten. Grüße bitte Herrn Diete, alle Vereinsbrüder und alle Bekannten. Wie geht es Deinen Eltern? Grüße sie bitte herzlichst Brudergruß und Gottbefohlen
Dein Willy
Essen und Obst gibt es hier reichlich!
AN WILLI NEELS (22)
Stralsund, 20.10.1914
Lieber Willi!
Besten Dank für Deine Karte. Ich habe noch immer keine Karte von W. Puchert. Wo mögen die stecken? Stettin ist doch wohl eine schöne Stadt, was? Also, am 22. rückt ihr aus, und so großartig. Da erlebst Du ja ordentlich etwas. Ich weiß leider nicht, ob meine Karte Dich noch in Stettin oder gar nicht mehr erreichen wird, denn die Adresse ist doch ganz unvollständig. Schreibe bitte deshalb genau die exakte Adresse, Armeekorps, Division, Batl. und Komp. Nun viel Glück im Felde. Wenn Strapazen kommen und Nöte, dann denk daran, was Du im Verein gelernt hast-vertraue auf Gott, er verläßt Dich nicht. Größer als der Helfer ist die Not ja nicht. Gottbefohlen.
Dein getreuer Otto
VON WILLI PUCHERT (23)
Im Schützengraben, 25.10. 1914
Lieber Otto!
Im letzten Brief behauptete ich, daß der Krieg ein furchtbares Schrecknis sei. Dieses behaupte ich jetzt noch viel mehr, da ich nun schon 8 Tage im Feuer bin. Der Herrgott hat mich bis heute gnädig aus aller Not geholfen. Er wird mich auch ferner beschützen. Auf ihn baue ich. 8 furchtbare Tage habe ich nun schon hinter mir. Tag für Tag fast dauernd im furchtbarsten Artilleriefeuer. Eine Freude habe ich. Ich bin jetzt zeitweise mit Walter Steinfatt zusammen. Am Donnerstag voriger Woche erhielt ich zuammen mit einem Brief von zu Hause auch Deinen Brief. Es war eine große Freude für mich. Am Abend des selben Tages machten wir einen Sturm auf ein größeres Dorf. Wenn Du mir schreibst, so schicke mir möglichst Zeitungen mit. Wir kriegen hier nichts zu wissen. Viel schreiben über unser Leben und Treiben darf ich Dir leider nicht, aber wenn Gott es mir vergönnt, lebend ins Vaterland zurück zu kehren, so will ich erzählen, vom furchtbaren Krieg. Jetzt ist mir erst zum vollen Bewußtsein gekommen, was ich im Jünglingsverein gefunden habe, den wahrhaftigen Gott. Er wird mir weiter in Not und Tod helfen.
Gottbefohlen
Willy, und einen herzlichen Gruß von W. Steinfatt.
AN MARTA SCHULZ (24)
Stralsund, den 27. 10. 1914
Liebe Marta!
Deine Karte habe ich erhalten und spreche hiermit meinen Dank dafür aus. Zweifelst Du etwa daran, daß wir siegen werden? Hin und wieder werden wir ja auch mal geschlagen werden, aber zuletzt wird der endgültige Sieg unzweifelhaft auf unserer Seite sein, denn ein Volk, das so begeistert in den Kampf zieht wie wir, daß kann ja gar nicht zu Grunde gehen. Also nur auf Gott vertrauen. Ich bin noch immer gesund und munter und hoffe von Dir dasselbe.
Otto Schiel
AN WILLI PUCHERT (25)
Stralsund, den 27. X. 1914
Lieber Willi!
Vielen Dank für Deine Karte aus Lüttich. Alfred schrieb an Erich Pieritz, daß er über Löwen und Brüssel gekommen sei. Du etwa auch? Schreibe doch bitte gleich, wenn Deine Zeit es erlaubt, damit ich weiß, wo ihr eigentlich steckt. Willi Neels ist nun auch schon fort. Heute erhielt ich eine Karte von ihm aus Lübeck. Am Sonnabend sind sie von Stralsund abgefahren. Auch Otto Pögler und Werner Arndt konnte ich noch einmal die Hand geben. Herr Diete ist am 20. nach Halle und von dort nach Salzwedel gefahren. Hier liegt sein Bruder im Lazarett, schwerverwundet. Am Sonntag ist Herr Diete wieder im Verein und will uns etwas darüber erzählen. In unserer Kriegsjugendwehr gefällt es mir. Wir hatten schon eine Pionierstunde und lernen den Brückenbau durch einen Beamten der Reichsbank. Gestern hatten wir die Physikstunde und besprachen den Telegraphen. Herr Diete hat uns schon Winkertafeln gegeben, auf denen das ganze System des Morsealphabets drauf ist. Ich lerne nun die Morseschrift und kann schon verschiedenes auswendig. Am Sonntag veranstaltete die Kriegsjugendwehr ihren ersten Elternabend. Ich trug ein feines Gedicht von Rudolf Herzog, "das eiserne Gebet", vor. Den Bericht füge ich bei. Die Gesänge, Text und Melodie waren großartig. Der Vetter meines Vaters, von dem ich die Erlebnisse im Osten schilderte, ist auch wieder im Feld. Ich erhielt heute eine Karte aus Belgien. Im Hafen liegen heute ein Marineflieger, der mit dem Kreuz gekennzeichnet ist. Wenn Du Zeit hast, und soviel wird sich doch wohl immer finden, dann schreibe doch bitte auch an Gerhard. Nun Gottbefohlen