Briefe an Lisa. Björn Haid. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Björn Haid
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738061710
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30. Januar 1920.

      Genau zum Paukenschlag der Mittagsstunde.

      Die Hebamme hatte es schwer mit meiner Geburt.

      Irgendwie, so erzählte man mir, hatte Sie das Gefühl, dass ich mich weigern würde den Schutz des Leibes meiner lieben Mutter an diesem Tage zu verlassen. Beinahe so als ob ich gewusst hätte, was die Geschichte für uns vorgesehen hatte.

      Mit meinem ersten Schrei zur Mittagsstunde und nach einer gründlichen kurzen Reinigung übergab mich die Hebamme meiner Mutter.

      Ich spürte sofort die Wärme, die mir entgegengebracht wurde.

      Hätte man mich danach gefragt, so hätte ich gesagt, dass ich mich geborgen gefühlt hatte. Was auch den Umstand erklären würde, dass ich, sobald ich von meiner Mutter in den Arm genommen wurde aufgehört hatte zu schreien.

      Es sei still gewesen, so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören können.

      Das Personal und der Arzt hatten sich ratlos angeschaut.

      Die Hebamme wollte schon auf meine Mutter zuspringen um mich ihr aus den Armen zu reißen, da sie befürchtet hatte, dass ich nicht mehr atmen würde.

      Später erzählte mir meine Mutter über diese Situation, dass ich ihr direkt in die Augen blickte und sie konnte sehen, dass ich lächelte, was sie natürlich erwiderte.

      Ich wuchs in unserem Haus, in welchem ich auch geboren wurde, unterhalb des Pfänders auf.

      Unser Haus befand sich unweit des Stadtzentrums, in welchem mein Großvater einen Krämerladen bediente, welcher unsere gesamte Familie gut, auch während des Weltkriegs, über die Runden gebracht hatte. Ihm hatten wir es auch zu verdanken, dass wir stets genug zu essen hatten und nur ihm hatten wir es zu verdanken, dass wir unser Heim nicht verloren hatten.

      So war ich, wenn man den Geschichten meiner Mutter Glauben schenken durfte, ein sehr ruhiges Kind. Spielsachen, welche man mir zu Hauf vor die Füße legte wurden generell eher von mir ignoriert. Ich war, so sagte man mir und meine Erinnerung scheint diese Erzählungen auch keine Lügen zu strafen, ein eher kränkliches, kleines und blasses Kind.

      Zumindest kleiner und kränklicher als andere Kinder meines Alters, mit welchen ich während meiner eignen Kindheit schon nicht sonderlich viel anfangen konnte.

      So war ich meist alleine, nicht einsam, wie man nun vielleicht hätte denken können.

      Ich war gerne alleine.

      Zuhause in meinem Zimmer malte ich mir meine eignen Geschichten aus.

      Und trotz, oder eben gerade durch diese vermeintliche Einsamkeit erlernte ich sehr früh das Lesen.

      Meine Lehrer in der Volksschule waren dann recht erstaunt, dass so ein kleiner, kränklicher Knirps wie ich bereits verschiedene Bücher der Hochliteratur kannte.

      Natürlich war dieser Umstand auch meiner lieben Großmutter zu verdanken, welche mich des Nachts stetig mit verschiedenen Lektüren überhäuft hatte, wenn ich kein ruhiges Auge finden konnte und nicht einzuschlafen vermochte. Ihre sanfte Stimme brachte mich dann langsam mit den Geschichten des weißen Wals, der Schatzinsel, den Detektivgeschichten aus der Bakerstreet oder mit anderen spannenden Abenteuern in angenehmen Schlaf.

      Oft träumte ich dann davon, wie ich Kapitän Ahab zur Seite stand und uns die Wellen um die Ohren schlugen oder wie ich mit Watson und Holmes in der Teeküche stand, eine Pfeife im Mundwinkel und über die neuesten Nachrichten schwadronierend, bevor Miss Emily in den Raum hereinplatzte und von einem tragischen Tod berichtete.

      All diese Geschichten spielten sich so lebhaft in meinem Kopf ab, dass ich es einfach liebte von ihnen zu hören oder selbst zu lesen.

      Alles war dann so real für mich.

      Auch war es ihr zu verdanken, dass ich immer wieder mit neuer Lektüre beliefert wurde.

      Des Winters, wenn der Herbst sich langsam der Kälte zu ergeben schien, klopften die Krankheiten leise und behaglich an meine Türe. Dann, wenn es wirklich kalt wurde und der Regen sich in Schnee wandelte wurden meine Anfälle, so wurden jede kleine Grippe, von meiner Großmutter genannt, häufiger.

      Als dann der Schnee nicht mehr nur die Spitzen des Pfänders bedeckte, sondern das Wasser im Bodensee gefrieren ließ, war es um meine Gesundheit geschehen und ich musste oft wochenlang das Bett hüten.

      Diese Erinnerungen trügen mein Bild einer schönen Kindheit.

      Oft schämte ich mich, ob der Sorge die ich meiner Familie bereitete und wünschte mir einfach nur ein normales Kind zu sein, ein normales Kind, wie es in den schönen Büchern immer dargestellt wurde. Ein Kind mit Tatendrang, mit Eifer und Forscherwille, mit Erkundungsfreude, mit sportlichem Elan oder auch nur mit reichlicher oder zumindest genügender Gesundheit.

      Doch ich war eben anders.

      In der Schule wirkte ich für meine Lehrer als sehr verschlossen, nicht besonders aufgeweckt und auch, mit Ausnahme meiner Lesefähigkeit, nicht sonderlich begabt.

      Es war deshalb kein Wunder, dass meine lieben Eltern immer wieder zum Schulleiter zu einer Unterredung bestellt wurden.

      Die Themen, so mutmaße ich heute, waren wohl immer dieselben.

      Unaufmerksam.

      Uninteressiert.

      Einzelgänger.

      Zu Verträumt.

      Wenn ich alleine im Flur der Schule, direkt vor unserem leeren Klassenzimmer saß um auf meine Eltern zu warten, während sich diese vom alten Schulleiter immer und immer wieder dieselbe Predigt anhören mussten, konnte ich an den Gesichtern meiner lieben Mutter immer so etwas wie Mitleid oder Sorge erkennen.

      Das Gesicht meines Vaters hingegen zeugte immer ein wenig von Abschätzigkeit, vielleicht aber auch nur von Verwunderung, dass ich so gar nicht geraten war, wie er sich dies erhofft oder erwartet hatte.

      Ich stellte diese Ausdrücke jedoch nie wirklich in Frage.

      Nun ja, vielleicht doch, wenn ich mich recht erinnere, hatte ich im Laufe meiner Jugendjahre immer mehr versucht den Vorstellungen meines Vaters zu entsprechen.

      Davon jedoch später mehr.

      Es war der 2. April 1923 als mein Großvater aufgebracht nach Hause kam und berichtete, dass sein guter Freund, Herr Rosental heute nicht in seinen Laden kam um, so wie jeden Montag eine Lieferung seines selbstgebrauten Bieres zu bringen, welches die Kunden meines Großvaters so schätzten.

      Er konnte es nicht verstehen, dass ein so zuverlässiger Mann, wie der Rosental auf einmal nicht mehr gekommen war um seine Ware zu bringen.

      Dies könne nur mit einer plötzlichen Krankheit Rosentals einhergehen, anders sei dies nicht zu erklären.

      Großvater meinte er würde für die Gesundheit des treuen Rosentals beten und hoffte am folgenden Tage irgendein Lebenszeichen von ihm zu bekommen. Eine ganze Weile irrte Großvater im Haus einher und verfluchte die Zeit in der wir lebten.

      Nun, da es nun endlich wieder einen Aufschwung seit dem letzten Krieg geben würde, gehe ihm das Bier aus und der Rosental wird Krank ohne seine Erlaubnis oder zumindest ohne vorherige Information an seine Abnehmer.

      Das ginge so auf keinen Fall.

      Was wenn jeder so eigennützig wäre, das System wäre gefährdet.

      Höchst gefährdet.

      Dann wieder drehte sich Großvater im Kreise und jammerte, dass Herrn Rosental auf Gottesgeheiß doch wohl nichts zugestoßen sei.

      Großmutter beruhigte ihn.

      „Morgen wird er wieder da sein, du wirst schon sehen. Morgen ist alles wieder gut.“

      Etwas beruhigt setzte sich Großvater auf sein Kanape, lagerte die Füße hoch und begann, wie jeden Abend, nach langer Arbeit, seine große Zeitung aufzuschlagen. Dies tat er jedes Mal mit demselben Ritual, mit geschlossenen Augen