Dutzendgeschöpfe. Katia Weber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katia Weber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738011944
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Baby hat grüne Augen und aufgedrehtes Haar.

      Arne weiß nicht, wie ihm geschieht, und sagt unsicher:

      „Oh, äh, das ist aber nett von Ihnen, Frau Waldmann.“

      Dann werfe ich meinem Vater einen Blick zu, dessen Aufgabe ist, sich auf alle Ewigkeit in sein Gedächtnis einzubrennen. Ich ducke mich ein wenig wie ein angriffslustiges Tier und sehe ihm direkt in die Augen. Dabei hebe ich meinen linken Mundwinkel, um ihm meine Zähne zu zeigen. Meine Lippen formen das Wort

      „Betrüger.“

      Als ich sehe, wie sich die dunklen Haare an Papas Unterarm aufrichten, weiß ich, dass er mich verstanden hat.

      Arne und meine Mutter setzen sich zu uns an den Tisch.

      „Hast du gehört, Ernst?“, fragt meine Mutter, „Die beiden sind ein Paar!“

      „Ich bin doch nicht taub“, versetzt mein Vater barsch.

      Arne blickt mich verwirrt an.

      „Na los, Schatz“, sage ich aufgedreht, „Erzähl meinen Eltern doch bitte, wie wir zusammengekommen sind.“

      Arne will es nicht begreifen, so viel steht fest. Seine grünen Augen huschen von mir zu meinem Vater zu meiner (überglücklichen) Mutter hinüber. Für den Bruchteil einer Sekunde tut er mir leid.

      „Ich muss kurz etwas trinken“, sagt Arne und steht auf, „Mein Glas ist nebenan.“

      Er geht aus der Küche. Als er nach wenigen Sekunden wiederkommt, ist er wie ausgewechselt. Das nervöse Flackern in seinen Augen ist erloschen, sein Blick ist fest, der Schritt entschlossen. Er setzt sich und ergreift meine Hand.

      „Tja, das war wirklich einer jener glücklichen Zufälle. Ich war ganz neu in der Stadt und ein entfernter Bekannter meinte, er kennt jemanden in Bonn. Ein Model. Ich weiß noch, dass ich lachen musste. Ich stehe ja eigentlich gar nicht auf Frauen, sondern auf Männer“, beginnt er.

      Arnes Finger sind kalt und ich spüre seinen Puls. Es ist, als hielte ich sein Herz in meiner Hand. Es klopft langsam und gleichmäßig.

      „Ich hatte sie gleich am Tag meiner Ankunft angerufen, noch vom Bahnhof aus. Mir war ihre Stimme auf Anhieb sympathisch und wir verabredeten uns für den Nachmittag. Ich weiß gar nicht, was ich eigentlich erwartet hatte, als ich mich mit ihr traf, aber es war einfach toll. Sie hatte mir den Weg zu einem kleinen Café in Poppelsdorf erklärt. Es war warm und sonnig und die Tische auf der Terrasse waren allesamt besetzt. Aber ich wusste sofort, wer sie ist. Ein Blick genügte.“

      Arne drückt meine Hand, sodass ich seinen Herzschlag für einen Sekundenbruchteil nicht mehr spüren kann, und blickt mir direkt in die Augen.

      „Ich habe sie angesehen und war verliebt.“

      Meine Mutter wirft mir einen jener „Hört, hört“- Blicke zu und ich verstehe erst einmal gar nichts.

      Arne erzählt unbeirrt und mit ruhiger Stimme weiter:

      „Wir unterhielten uns eine Weile und es war ganz leicht. Es kam mir so vor, als wären wir aus einem Stück gemacht, es war beinahe unheimlich. Dennoch hatte ich so ein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Als wir uns das nächste Mal trafen, sagte Lena, ich dürfe nicht bei ihr zuhause anrufen. Erst da begriff ich, dass es noch jemandem in ihrem Leben gab. Ich versprach ihr, dass ich das respektieren würde.“

      Langsam, ganz langsam dämmert mir, was Arne da tatsächlich erzählt. Ich schlucke. Mein Vater sieht aus wie ein geprügelter Hund. Meine Mutter ist verwirrt.

      „Es gab da noch jemanden…? Ich verstehe nicht…“

      Ich falle ihr ins Wort, und es fällt mir schwer, meine Stimme fröhlich klingen zu lassen. So schwer.

      „Erzähl meinen Eltern doch, was dir so besonders gut an mir gefallen hat.“

      Wahrscheinlich kann nur ich den sarkastischen Unterton aus Arnes Lachen herausfiltern.

      „Das ist einfach“, erwidert er und blickt meinem Vater direkt ins Gesicht, „Der Geruch. Sie verströmte einen so umwerfenden Duft, dass ich kaum noch klar denken konnte.“

      Meine Mutter schwebt mit uns, dem jungen Glück, im 7. Himmel. Ihre Augen strahlen und sie verpasst meinem Vater noch einen Stupser.

      „Ernst“, flüstert sie, „ist das nicht romantisch?“

      Mein Vater räuspert sich und sagt tonlos:

      „Wer hätte dass gedacht.“

      Mit einem Mal sieht Arne sehr, sehr traurig aus. Er senkt den Blick und sagt:

      „Wir haben uns ein paar Mal gesehen. Es war wunderschön. Ich habe Lena gesagt, dass ich mit ihr zusammen sein möchte. Sie hat nur den Kopf geschüttelt und gemeint, das ginge nicht, sie hätte noch ein anderes Leben. Ich habe gesagt, trenn dich, wir lieben uns doch. Manchmal muss man etwas riskieren, um glücklich zu sein. Aber sie blieb beharrlich. Nein, es ginge einfach nicht, meinte sie. Das war schlimm für mich.“

      Meine Mutter stufft mir in die Seite.

      „Was hast du denn da für eine ominöse Affäre gehabt, dass du uns gar nichts davon erzählt hast?“, fragt sie.

      Sie sieht ein bisschen gekränkt aus. Sie wünscht sich immer so sehr, dass ich ihr alles sage. Ich sehe sie schuldbewusst an und zucke die Achseln. Was soll ich auch groß anderes tun? Ich will mir nicht noch eine Geschichte aus den Fingern saugen. Für einen einzigen Morgen ist in dieser Küche eindeutig genug gelogen worden.

      „Naja. Nach einem holprigen Anfang hat es ja dann doch noch mit uns geklappt“, meint Arne jetzt.

      Er blickt auf und sieht wieder ganz normal aus. Ein versöhnlicher Abschluss. Ende gut, alles gut.

      Ich bin beeindruckt von seiner schauspielerischen Leistung.

      Mein Vater hat derweil mehrere Löcher in die Tischplatte gestarrt. Und ich?

      Tja. Gute Frage. Ich muss immer an Arnes Herz in meiner Hand denken. Ich glaube, ich habe es kaputt gemacht.

      Im Anschluss an Arnes und mein kleines improvisiertes Bühnenstück unterhalten wir uns noch ein oder zwei Stunden gepflegt mit meinen Eltern. Wir sprechen über das Fitnessstudio, über das Wetter, die Pläne fürs Wochenende, den Garten meiner Eltern. Arne und mein Vater unterhalten sich über Fußball, meine Mutter und ich streiten über eine Zahnzusatzversicherung. Meine Mutter scheint fest davon überzeugt zu sein, dass mein komplettes Gebiss innerhalb der nächsten zwei Jahre verrotten wird. Ich reagiere empfindlich darauf. Wir zoffen uns eine Weile.

      Die ganze Zeit über hält Arne meine verschwitzte Hand fest und ich beobachte verstohlen meinen Vater. Er ist so wie immer, ein wenig mürrisch, und brummt vor sich hin, wenn er etwas haben will, bemängelt, dass das Eigelb zu hart geworden ist, und verschlingt das Frühstücksei dennoch in zwei oder drei großen Bissen.

      Meine Mutter ist einfach nur glücklich.

      Als sich meine Eltern schließlich verabschieden, umarmt mich mein Vater ungewohnt lang. Es ist mir ein wenig unangenehm und ich bekomme rote, heiße Ohren, als er schließlich von mir ablässt. Er wirft mir einen langen Blick zu und flüstert:

      „Ich habe mir das nicht ausgesucht.“

      Ich weiß nicht, ob ich ihn lieber wegstoßen, schlagen oder noch einmal fest an mich ziehen will. So oder so steigen mir dicke Tränen in die Augen.

      Nachdem mir meine Mutter noch einmal fröhlich von der Treppe aus zugewinkt hat, schließe ich schnell die Wohnungstür und atme tief durch.

      Arne ist in der Küche zugange. Er räumt den Tisch ab und lässt Wasser ins Spülbecken einlaufen. Er prüft die Wassertemperatur mit seinen perfekten Fingern. Ich bleibe im Türrahmen stehen und beobachte ihn eine Weile. Als er mich bemerkt, meint er trocken:

      „Jetzt sind alle glücklich.“

      „Ach, Arne“, sage ich und fange an zu weinen.

      Arne