„Viele Flüchtlinge aus Ost- und Westpreußen haben sich durch die relativ friedlichen Verhältnisse, die in Danzig und Pommern noch während des Februar 1945 herrschten, verleiten lassen, in diesen Gebieten zu bleiben. Noch mehr gilt das für die einheimische Bevölkerung, von der nur sehr geringe Teile die noch bestehenden Verbindungen nach dem Westen benutzten, um mit der Bahn, zu Schiff oder im Treck in die Gebiete westlich der Oder zu gelangen. Erschwerend wirkte in dieser Beziehung, dass für ganz Pommern und das nördliche Westpreußen die Flucht der Bevölkerung von den Parteibehörden ausdrücklich verboten und teilweise sogar den aus dem Osten kommenden Trecks die Weiterfahrt in Pommern untersagt wurde. Infolgedessen hatte Anfang März, als der russische Großangriff auf Ostpommern und Danzig begann, die Bevölkerung dieser Gebiete keineswegs abgenommen, sondern war durch den Zuzug von Flüchtlingen noch um einige Hunderttausende vermehrt worden. Noch mindestens 2.5 Millionen Deutsche, davon über 25 Prozent Flüchtlinge, befanden sich im nördlichen Teil Westpreußens, im Raum um Danzig und in Ostpommern, und nur ein geringer Teil von ihnen vermochte nach Beginn des russischen Angriffs in den ersten Märztagen nach Westen über die Oder zu gelangen. Insgesamt lebten in Ostpommern und im Reichsgau Danzig-Westpreußen über 3 Millionen Deutsche, davon rund 900.000 in den Gebieten, die bis Ende Januar 1945 von russischen Truppen besetzt waren. Rechnet man, dass ca. 2-300.000 Flüchtlinge aus Ostpreußen, dem östlichen und südlichen Teil Westpreußens, dem Warthegau und den südlichen Kreisen Pommerns sich in dem während des Monats Februar noch unbesetzten Gebiet um Danzig und in Ostpommern aufhielten, so ergibt sich die Zahl von 2,5 Millionen als Mindestzahl für die Anfang März im unbesetzten Teil Pommerns und Danzig-Westpreußens befindlichen Deutschen.“
Hier einige Zitate aus dem lesenswerten Buch von Helmut Lindenblatt: Pommern 1945 – Eines der letzten Kapitel in der Geschichte vom Untergang des Dritten Reiches, – ISBN 3-7921-0286-2 - 1984/1993 im Verlag Gerhard Rautenberg, Leer:
„Die sowjetischen Verbände waren aus ihren Brückenköpfen an der Weichsel am 12. Januar auch zum Vormarsch Richtung Oder angetreten und hatten den Strom am 31. Januar bei Frankfurt und Küstrin erreicht, wobei sie etwa 600 Kilometer vorgestoßen waren. Die bereits an der Weichsel schwer angeschlagenen deutschen Truppen konnten diesen Angriff nur wenig verzögern. Dementsprechend fielen in diesem Gebiet besonders viele Deutsche in sowjetische Hand, somit war die Zahl der im Warthegau und im östlich der Oder gelegenen Teil der Mark Brandenburg ermordeten Deutschen besonders hoch. In Ostbrandenburg wurden 35 Prozent der Bevölkerung umgebracht. Jeder vierte Pommer musste sterben.
Der sowjetische Vormarsch endete zunächst an der Oder, weil die Führung der Roten Armee ihre Kräfte für den Angriff auf Berlin neu gruppieren, Reserven heranfahren und die nördlichen und südlichen Flanken in Pommern und Schlesien sichern wollte. Sie richtete ihre Operationen von da ab verstärkt nach Norden, wo ganz Ostpommern zunächst fast völlig unverteidigt war. Es gelang nur mit großer Mühe, diese Frontlücke notdürftig zu schließen. Zu einer der beiden deutschen Armeen, die eine von der Oder bis zur Weichsel reichende Verteidigungslinie bildeten, gehörten nur fünf reguläre deutsche Divisionen. In der Mehrzahl bestand sie aus nichtdeutschen Freiwilligen-Divisionen der Waffen-SS: Skandinaviern der Panzer-Grenadier-Division Nordland, Walloniern der Panzer-Grenadier-Division Wallonie, Holländern der Panzer-Grenadier-Division-Nederland. Im östlichen Teil Pommern wurde die französische SS-Freiwilligen-Division Charlemagne eingesetzt.
In den letzten Februartagen begannen die sowjetischen Armeen - unterstützt von der 1. polnischen Armee - gleichzeitig in Westpreußen und in Ostpommern ihre entscheidenden Angriffe zur Gewinnung der Ostseeküste und zur Besetzung des Landes zwischen dem Unterlauf der Weichsel und dem Unterlauf der Oder. Von Süden nach Norden wurde innerhalb von knapp 14 Tagen ganz Ostpommern in Besitz genommen. Die zwei Hauptstöße der sowjetischen Truppen im Raum Ostpommerns führten einerseits aus dem Raum Friedeberg - Arnswalde nach der Odermündung bei Stettin und weiter nordwärts zur Ostseeküste bei Cammin und andererseits aus dem Raum Schneidemühl - Deutsch-Krone über Neustettin, Bublitz nach der Ostseeküste östlich Köslin. Beide Ziele wurden in kürzester Zeit erreicht, und damit entstand eine für die flüchtende Bevölkerung Pommerns fast aussichtslose Lage. Schon am 1. März standen russische Truppen östlich Köslin an der Ostseeküste, wodurch Ostpommern in zwei Teile gespalten und für alle östlich der Linie Neustettin - Köslin liegenden Kreise die Landverbindung nach Westen abgeschnitten war...
In Kolberg befanden sich etwa 70.000 Zivilisten. Die Stadt wurde von polnischen und sowjetischen Verbänden ununterbrochen angegriffen und ihr Verteidigungsraum immer mehr zusammengedrängt. Er lag unter unaufhörlichem Beschuss der feindlichen Artillerie. Aber trotz hoher Ausfälle verteidigte die schwache deutsche Besatzung Kolberg, um den Abtransport der Flüchtlinge zu ermöglichen, für den Schiffsraum zunächst noch nicht zur Verfügung stand. Erst in der Nacht vom 17. zum 18. März war die Evakuierung der letzten Zivilisten und Soldaten über See möglich. Als die Polen und Sowjets am 18. März in die Ruinen der Stadt eindrangen, waren alle Zivilisten, Verwundeten und noch kampffähigen Soldaten, insgesamt etwa 75.000 Menschen, eingeschifft worden.“
Dr. H. E. Jahn: „Pommersche Passion“, Ernst Gerdes Verlag 1964: „Von der Gesamtzahl der pommerschen Bevölkerung fielen beim Einmarsch der Roten Armee etwa 50 % in die Hände der Sowjets. Es ist festgestellt worden, dass von allen deutschen Ostprovinzen jenseits von Oder und Neiße die planmäßig von den Sowjets angelegten Brände, Zerstörungen usw. in Pommern den größten Schaden hervorgerufen haben... Polen und Russen entluden ihren angestauten Hass in Racheakten über die ihnen ausgelieferten Deutschen in Vergeltungsmaßnahmen, wie sie kaum wiederzugeben sind. Sie alle, ob Mann, Frau oder Kind jeglichen Alters und Standes waren ‚Kapitalisti’ und ‚Faschisti’, die ausgelöscht werden müssten. Wehe dem, der in ihre Hände fiel und sich nicht rechtzeitig hatte davon machen können. Besonders schlimm erging es den alten Leuten, die die Strapazen nicht durchstehen konnten und am Wege liegen blieben. Die letzten Habseligkeiten wurden ihnen genommen, mancher rettete nur sein nacktes Leben. Viele machten ihrem Leben ein Ende, weil sie keinen Ausweg mehr sahen oder ihnen die Kräfte versagten angesichts der Ausweglosigkeit, ein Letztes zu wagen. Nicht zu reden von den Vergewaltigungen, denen sich Frauen und Mädchen unausgesetzt ausgeliefert sahen.“
Die Niederlage Deutschlands 1945 wurde von vielen Deutschen als Gottesgericht angesehen und das Wort des Propheten Jesaja für sich selbst verstanden: „Weh euch, ihr verbrecherisches und schuldbeladnes Volk! ... Euer Land ist verwüstet, eure Städte sind verbrannt; Fremde verzehren vor euren Augen die Ernte von euren Feldern.“
Weil sich kaum ein heutiger Deutscher unter 75 noch an das Kriegsende oder die ehemaligen deutschen Ostprovinzen persönlich erinnern kann, sollte dieser grauenvolle Teil deutscher Zeitgeschichte nicht in Vergessenheit geraten oder tabuisiert werden, sondern uns für die Zukunft mahnen.
Mehr noch als alle objektiven Fakten spiegeln die in diesem Buch vorgestellten persönlichen Erlebnisberichte betroffener Menscen das ganze Ausmaß der Katastrophe von 1945 wider. Bringen wir uns immer wieder in Erinnerung, was die Zeitzeugen uns mahnend mit ihren Berichten vermitteln: Keine Macht den Radikalen! Keine Macht den Kriegstreibern! Kein Revanchismus! Wehret den Anfängen! Die von den Nazis angeprangerte „Dekadenz“ der Demokratien ist in aller menschelnden Politik allemal die bessere Alternative gegenüber Gewaltherrschaft und Diktatur. Nur ein tolerantes Miteinander der Völker in einem gemeinsamen Europa kann uns vor Wiederholungen solcher Verbrechen bewahren.
Panzergrabenbau im Herbst 1944 in Ostpommern
Tausende halbwüchsige Schüler, junge Mädchen und Frauen (auch Mütter von Kindern) wurden im Spätsommer und