Wie im Paradies. Klaus Melcher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Melcher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742708748
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gut ging.

      Fromm dachte an die entwürdigende Szene im Krankenhaus, als er praktisch ohne Übergang, direkt dem Bett entstiegen, hierher transportiert wurde, ohne über das Ziel auch nur informiert worden zu sein.

      Preuss hatte wenigstens eine Enkelin, die ihn wohl liebte und regelmäßig besuchte.

      Sie studierte in Hannover, wie er stolz erzählte, hätte ihm sogar ihren Freund vorgestellt, mit dem sie zusammen lebte, und obgleich sie wenig Geld hätte, brächte sie ihm immer ein Pfund von seinem Kaffe mit.

      Er lächelte glücklich.

      Fromm hatte keine Enkelin.

      Er hatte nur einen Sohn, und der verdiente nicht, so genannt zu werden.

      5. Wie eine Fliege unter einem Glas

      „Das verstehe ich nicht! Das habe ich noch nie erlebt!“

      Fromm war fassungslos, als er im Kiosk seinen Einkauf, eine Flasche Rotwein und ein paar Nüsse, bezahlen wollte und der kleine Automat seine EC-Karte nicht akzeptierte.

      „Versuchen Sie es bitte noch einmal!“

      Wieder nahm die Frau des Hausmeisters, die den Kiosk betrieb, die Karte in die Hand, strich mit einem weichen Papiertuch darüber, sah sich noch einmal genau den Magnetstreifen an, und schob sie abermals in den Kartenschlitz.

      Es dauerte eine Ewigkeit, der Apparat ratterte einen Augenblick.

      „Die Karte ist gesperrt.“

      Die Mitbewohnerin hinter ihm wurde ungeduldig.

      „Warum geht es denn nicht weiter?“

      „Können Sie es nicht noch einmal versuchen?“

      Die Hausmeistersfrau sog sichtlich genervt die Luft durch die Nase.

      „Es hat doch keinen Sinn“, sagte sie und sah sich wie um Verständnis werbend um.

      Inzwischen hatten sich zwei weitere Kundinnen eingefunden, die offensichtlich gar keine Zeit hatten.

      „Was ist denn da los?“

      „Ach, der Herr Fromm hat kein Geld!“

      „Dann soll er doch nichts kaufen!“, krähte die andere.

      Fromm riss der Hausmeistersfrau die Karte aus der Hand, schob seinen spärlichen Einkauf zurück auf den Tresen und verließ fast panisch den Kiosk, das Getratsche der Mitbewohnerinnen noch im Ohr, als er die Halle erreicht hatte.

      Das graue Kostüm saß noch im Büro.

      Obgleich es ihm fürchterlich peinlich war, erzählte Fromm ihr von der Ungeheuerlichkeit, die er eben erlebt hatte, und reichte ihr seine Karte, um sie noch einmal, jetzt an ihrem Kartenlesegerät überprüfen zu lassen.

      Man wusste, immer wieder fielen mal Geräte aus und man kam nicht an sein Geld heran.

      Sicher war nur das Lesegerät im Kiosk defekt.

      Das würde es sein.

      Warum er nicht früher darauf gekommen war! Den ganzen Ärger – und die Demütigung hätte er sich ersparen können, wenn er gleich darauf gekommen wäre.

      „Darf ich mal?“

      ‚Das Kostüm’ zog sie durch das Lesegerät.

      Es brauchte einen Augenblick, schnarrte kurz.

      „Es tut mir leid. Die Karte ist wirklich gesperrt. Haben Sie sie sperren lassen?“

      Man sah dem Kostüm an, der Vorfall irritierte sie wirklich – und war ihr unendlich peinlich.

      „Um welchen Betrag geht es denn heute Abend?“, fragte sie. „Ich kann Ihnen das Geld aus der Kasse leihen.“

      Das war zwar sehr großzügig, doch er lehnte ab. Ihm war der Appetit auf Wein und Nüsse vergangen.

      Fromm konnte es immer noch nicht fassen.

      Bisher hatte diese kleine Plastikkarte immer ihren Dienst geleistet, hatte den angeforderten Betrag freigegeben oder aus dem Automaten ausgespuckt, und auf einmal tat sie es nicht, verweigert sich.

      Fromm fühle sich, als hinge er an seiner Nabelschnur, noch nicht lebensfähig, und irgendwer hätte sie gekappt. Als trudle er durch einen dunklen Raum, von wirren Blitzen durchzogen, ein Tosen in den Ohren.

      Er wusste nicht, was schlimmer war, die Mittellosigkeit oder die Blamage.

      Sicher, es gab einige Bewohner, die waren nicht auf Rosen gebettet, die mussten ihr Geld einteilen oder bekamen es eingeteilt.

      Für die bot das Haus eine eigene Kreditkarte an. Auf sie wurde von dem Konto des Inhabers ein bestimmter Betrag eingezahlt, von dem alle Ausgaben innerhalb des Hauses abgebucht wurden. Diese Karte galt nur hier, war wertlos für jeden Dieb und hatte sich im Laufe der Zeit zum wichtigsten Zahlungsmittel entwickelt.

      Nur, ihre Nutzer merkten nicht, dass sie total von ihr abhängig wurden. Sie hatten kein Geld mehr neben dieser Karte.

      Doch was hatte Fromm?

      Er hatte noch weniger.

      Aber so einfach würde er sich nicht fügen.

      Er hatte seine Karte nicht sperren lassen, und, verdammt noch mal, das würde nicht so einfach gegen seinen Willen geschehen können.

      Er hatte auch sein Kreditlimit nicht überschritten, nicht einmal ansatzweise erreicht.

      Nach einer Nacht, in der er kaum geschlafen hatte und nach der er wie gerädert erwachte, war sein Kopf immer noch nicht klarer. Er war immer noch nicht handlungsfähig.

      Wie eine Fliege unter einem Glas!

      Mein Gott, was einem alles durch den Kopf geht!

      Ist doch alles Unsinn!

      Wenn man keine Karte hat, stirbt man auch nicht.

      Viele haben keine Kreditkarte, und die leben auch!

      Trotzdem rief er gleich nach dem Frühstück die Hotline der Bank an.

      Der junge Mann am Telefon – er war wohl noch jung, seine Stimme jedenfalls klang so, voller Elan, begeisterungsfähig, ungeheuer bemüht – beruhigte ihn erst einmal, als er ihm fast panisch von seinem Problem erzählte.

      „Ja“, sagte er, „Ihre Bankkarte ist gesperrt.“

      Wie beruhigend! Das wusste er bereits.

      „Aber ich habe sie nicht sperren lassen!“, rief Fromm ins Telefon und merkte, wie sein Gegenüber zusammenzuckte.

      „Aber hier steht, dass die Sperrung vom Karteninhaber beantragt worden ist.“

      „Der Karteninhaber bin ich, und ich habe die Sperrung nicht veranlasst!“

      Verstand ihn denn keiner?

      „Einen Augenblick bitte“, sagte die freundliche Stimme und klang inzwischen schon gar nicht mehr so freundlich, eher ungeduldig.

      Einen Augenblick war er nicht in der Leitung. Im Hintergrund hörte man nur leise Stimmen, dann meldete er sich wieder.

      „Wofür brauchen Sie jetzt genau Ihre EC-Karte?“

      „Weil ich Geld brauche und hier bezahlen muss. Ich habe aber keinen Pfennig Geld mehr!“

      Der Bankmensch verstand mich immer noch nicht!

      „Ich brauche die Karte!“, rief er noch einmal ins Telefon.

      „Die Ersatzkarte schicken wir Ihnen sofort zu“, sagte der junge Mann und hörte sich erleichtert an, „morgen müsste sie in Ihrer Post sein. Die PIN erhalten Sie in den nächsten Tagen.“

      „Aber ich wohne doch nicht mehr zu Hause!“

      „Nicht?“