Dämonentreue. Dagny Kraas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagny Kraas
Издательство: Bookwire
Серия: Dämonentreue
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742709899
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dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte: Die Araora war ein großartiges Schiff, und sie über den Ozean zu bringen, würde eine willkommene Herausforderung sein.

      Mit wenigen, kräftigen Handgriffen, von denen jeder einzelne die Schmerzen in seinen Verletzungen neu entfachte, hatte er das Segel in die Höhe gezogen und machte sich dann daran, es zu trimmen. Mit jeder Klampe, die er belegte, nahm das Boot an Fahrt auf, und als er schließlich ans Steuer trat, glitt die Araora bereits mit beachtlicher Geschwindigkeit gen Osten. Längst hatten Tiko und Mert ihre Ruder aus dem Wasser gezogen und beobachteten aus ihrer knienden Position, wie sie das Land hinter sich ließen und aufs offene Meer segelten.

      Der Mond glitzerte in unendlich vielen, gebrochenen Facetten auf dem Wasser und tauchte das Boot in ein beinahe unwirkliches, silbernes Licht. Cridan sah in den Himmel, suchte in der sternenübersäten Kuppel die Bilder, die ihm den Weg zeigten, und konnte plötzlich nicht anders, als laut zu lachen.

      Tiko drehte sich zu ihm um und lächelte. Sein Ärger schien ebenso verflogen wie Cridans Anspannung.

      »Ich wusste schon immer, dass du nur auf dem Meer wirklich glücklich bist«, sagte er. »Also gut – bring uns nach Gantuigh!«

      »Nichts lieber als das«, nickte Cridan, legte beide Hände ans Steuerrad und atmete tief durch. Jetzt brauchten sie nur noch günstige Winde, dann würde es ein Kinderspiel sein, mit diesem Schiff über das Meer zu fahren!

      Bei Sonnenaufgang hatten sie den Kontinent bereits weit hinter sich gelassen und segelten nach Osten, der glühenden Sonnenscheibe entgegen. Cridan hatte die Araora auf ihren Kurs ausgerichtet und Mert das Steuer überlassen. Er selbst stand im Bug, die Augen geschlossen, und lauschte auf die Geräusche des Windes, der Wellen und des Schiffes, spürte die Planken unter sich zittern und beben und schmeckte die salzige Gischt auf seiner Haut. Ein leises Glücksgefühl hatte sich in ihm ausgebreitet, und es lag nicht nur an dem unregelmäßigen Heben und Senken des Schiffes, wenn es die Wellenkämme entlang ritt wie einst sein eigenes Schiff.

      Es war wie immer: Wenn er auf dem Meer war, um ihn herum nichts als die endlose Weite der See, dann fiel alle Last von ihm ab, und alles, was er je gesagt und getan hatte, verlor an Bedeutung. Alle Schuld, die er auf sich geladen haben mochte, jegliche Verantwortung, die er trug und getragen hatte, wurde nebensächlich und klein. Hier draußen gab es nur noch ihn und das Meer. Hier war er frei.

      Gedankenverloren rieb er sich über den rechten Oberarm. Während der Nacht hatte die tiefe Furche aufgehört zu bluten und war zu einer verkrusteten Schramme geworden, die rasch wieder verschwinden würde. Auch die Wunde an seiner linken Schulter, wo ihn der Armbrustbolzen getroffen hatte, war nur noch eine kaum tastbare Unregelmäßigkeit in seinem Panzer.

      Er seufzte leise, legte die Hände in den Nacken und reckte sich.

      Das Schaben von Schuppen ließ ihn aufsehen. Tiko war neben ihn getreten und blickte übers Wasser.

      »Es ist nicht mehr viel, was uns von Gantuigh trennt«, sagte er leise. »Kaum zu glauben, nicht wahr? Elf Jahre lang haben wir auf diesen Moment gewartet.«

      Cridan nickte stumm. Tiko hatte mit seinen Worten das Gefühl der Leichtigkeit, das er bis eben empfunden hatte, schlagartig vertrieben.

      »Und jetzt, da der Moment gekommen ist, weiß ich nicht, wie es weitergehen soll«, gab Tiko zu. »Ich habe immer nur bis zu diesem Punkt gedacht. In meinen Gedanken ist es immer Skatarhak gewesen, der uns zurückruft, auf eine Insel, die so ist, wie wir sie verlassen haben, nur vielleicht ohne Menschen. Aber alles ist anders. Gantuigh ist ein Grab geworden, ein Grab für die T'han T'hau.«

      Cridan spürte, dass Tiko eine Antwort von ihm erwartete.

      »Was glaubst du, wie es weitergehen soll?« fragte er vorsichtig.

      Tiko zuckte die Achseln. Bei der Bewegung blitzte das Sonnenlicht auf seinen goldenen Schuppen.

      »Es gibt nicht viele Möglichkeiten. Die T'han T'hau werden nie wieder das starke Volk sein, das wir einmal waren. Wir können froh sein, wenn es uns gelingt, einen Kompromiss zu schließen, der uns in unserer Heimat duldet.«

      Cridan zwang das Aufbegehren, das Tikos Worte in ihm auslösten, hinunter. Tiko war nicht Skatarhak, und er sollte froh sein darüber. Er dachte eine Weile nach.

      »Und wie soll das gehen?« gab er dann zu bedenken. »Du hast es doch gehört: Mar'Tian ist der oberste Heerführer und Berater des Herrschers. Er wird wohl kaum zulassen, dass T'han T'hau auf Gantuigh leben!«

      »Mar'Tian«, wiederholte Tiko langsam. »Der Schlächter der Dämonen. Du sagtest, du kennst ihn?«

      Cridan zögerte kurz, dann nickte er.

      »Ja. Allerdings ist kennen zu viel gesagt. Ich habe ihn ein paar Mal getroffen. Das erste Mal vor vielen, vielen Jahren, als wir noch fast Kinder waren, er und ich. Er…«

      Er suchte nach den richtigen Worten.

      »Da ist etwas, das du wissen solltest«, sagte er schließlich. »Mar'Tian trägt das Blut der T'han T'hau in sich.«

      Tiko hob die Brauen. »Ein Mischling? Nun, davon wird es noch viele geben.«

      »Ein Mischling«, bestätigte Cridan. »Aber nicht irgend ein Mischling. Mar'Tian ist der älteste Sohn deines Vaters. Und nicht nur das: Er trägt ebenso wie du das königliche Erbe.«

      Tiko starrte ihn an.

      »Du willst mir allen Ernstes erzählen, ein Mischling, ein Bastard meines Vaters…«

      Er unterbrach sich. »Unmöglich!«

      Cridan erwiderte nichts. Tiko wusste, dass er nicht log, auch wenn es ihm schwerfallen mochte, das zu akzeptieren. Mar'Tian war Skatarhaks Erbe, daran gab es nichts zu rütteln.

      Und darüber hinaus machte es keinen Unterschied: Mar'Tian war ein Feind der T'han T'hau, vielleicht der mächtigste und gefährlichste Feind, den sie haben konnten, und Cridan hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es ihnen gelingen sollte, neben allen anderen ausgerechnet diesen Mann zu einem Einlenken zu bewegen. Doch dass es ihnen gelingen musste, stand außer Frage.

      Tiko schien seine Gedanken zu erraten.

      »Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte er leichthin, um einen sorglosen Tonfall bemüht. »Es ist noch viel zu früh, um Pläne zu schmieden.«

      Eine Zeitlang standen sie schweigend nebeneinander und blickten über das Wasser.

      Schließlich räusperte Tiko sich.

      »Ich muss mich bei dir entschuldigen«, murmelte er. »Ich war nicht gerecht.«

      Cridan sah ihn überrascht an. »Was meinst du?«

      Tiko lächelte schief.

      »Die Sache im Lagerhaus. Du hattest Recht – es gab keine andere Möglichkeit. Es erschreckt mich nur manchmal, mit welcher Konsequenz du handelst. Du hast in diesem Lagerhaus mehr als ein Dutzend Männer im Alleingang umgebracht.«

      Cridan antwortete nicht sofort.

      »Ich hatte keine Wahl«, sagte er dann. »Und alles andere als Konsequenz hätte uns in noch größere Gefahr gebracht.«

      Er atmete tief ein.

      »Auch wenn es den Anschein machen mag: Ich töte nicht, weil ich es gerne tue, Ratiko'khar, sondern weil ich es muss. Für Außenstehende mag es manchmal anders anmuten, doch der Unterschied zwischen ihnen und mir liegt allein darin, dass ich die Entscheidung schneller und endgültiger treffe und dementsprechend handele.«

      Er machte eine Pause.

      »Es ist schon viele Jahre her, als mir jemand sagte, es erstaune ihn, dass mir ein Leben überhaupt etwas wert sei«, fuhr er schließlich fort. »Dabei ist es gar nicht erstaunlich. Ein guter ficha‘thar muss den Wert des Lebens erkennen, bemessen und danach urteilen können. Wenn dir etwas nichts wert ist, kannst du es auch nicht beurteilen.«

      Er wandte den Kopf und blickte Tiko an. »Und in dem Moment waren mir unsere Leben weit mehr wert