Einen Blick in die nationale Unfallstatistik erspare ich Ihnen hier und spreche lieber über praktischere Dinge. Die Erfahrung lehrt, dass die wichtigste Verkehrsregel offenbar lautet: Vorfahrt habe immer ich! Manchmal muss man für dieses Privileg aber schon ein wenig Einsatz bringen und rechts überholen, schnell die Gegenfahrbahn benutzen oder beim Abbiegen kurzerhand eine dritte oder vierte Spur eröffnen; kurzum: Improvisation ist gefragt, schließlich geht es um die Eroberung der Pole-Postion. Augen zu und durch heißt offenbar die Devise, aber auch Achtung! An einer Kreuzung oder in den Straßen um die Medina wimmelt es manchmal wie in einem Bienenstock: Hupende Autos von allen Seiten, ungeduldige Taxifahrer, am Seitenspiegel vorbeischrammende Mopeds und klapprige Fahrräder von vorne, schwer bepackte Eselkarren mittendrin und ein Heer von scheinbar blinden oder zumindest völlig unbekümmerten Spaziergängern überall dazwischen. Es sieht chaotisch aus, alles wummert und vibriert scheinbar wild durcheinander, trotzdem gibt es wohl auch hier eine Art innere Ordnung, eine unausgesprochene Absprache, die das scheinbare Durcheinander erstaunlich oft ohne irgendeinen Zwischenfall auflösen lässt.
Sie sollten sich aber auch nicht ablenken lassen, wenn sie plötzlich den alten Kleintransporter vom Malerbetrieb aus ihrem Nachbarort oder den Frischebäcker samt seiner deutschen Werbeaufschrift aus ihrem Heimatviertel entdecken. Auch ein Krankenwagen, Marke uralt, samt deutscher Originalanzeige oder ein VW Käfer läuft und läuft hier noch Jahre. Früher oder später scheinen nämlich fast alle deutschen Autos, vor allem die mit Stern, aber auch viele Transporter von deutschen Handwerksbetrieben in Marokko zu landen. Trotz alledem sollten Sie vor allem Fuβgängern ein besonderes Augenmerk schenken, denn die sind tückisch und tauchen praktisch überall aus dem Nichts auf. Selbst auf der Autobahn zwischen Rabat und Casablanca ist man nicht vor ihnen sicher, auch hier kreuzen sie bisweilen die Fahrbahn. Fußgänger haben es für marokkanische Autofahrer in sich, denn bei einem Unfall riskiert der Autofahrer eine Gefängnisstrafe. Man muss den Fußgängern aber auch zugestehen, dass es gar nicht so einfach ist, per pedes unterwegs zu sein und beispielsweise von einer Seite der Straße auf die andere zu kommen. Brücken, Ampeln oder Zebrastreifen sind noch immer eher eine Seltenheit oder dienen offenbar hauptsächlich dekorativen Zwecken. Als ich nach meinem ersten Jahr Marokko zum ersten Mal in die spanische Enklave Melilla fuhr, war ich ziemlich irritiert, wie ruhig und geordnet es auf der Straße zuging und am Zebrastreifen richtig erschrocken, wie unvermittelt das herbeibrausende Auto anhielt, ohne dass ich einen Fuß auf die Straße gesetzt hatte. Als Fußgänger in Marokko unterwegs zu sein, stellt da eine andere Herausforderung dar; besonders vielleicht für Reisende aus Deutschland. Franzosen und Spanier sind in diesem Punkt wohl besser auf Marokko vorbereitet, denn wahrscheinlich käme auch dort niemand auf die Idee, an einer roten Ampel zu warten, ohne dass ein Auto in Sicht wäre. Fußgänger in Marokko bewegen sich trotz alledem insgesamt viel unbekümmerter, freier und offensichtlich weitgehend nach der gleichen Devise wie Autofahrer: Augen zu und durch, einfach losgehen, vor allem nicht hinschauen, oder zumindest so tun, das Auto wird schon anhalten. Anfangs kommt einem das fast wie eine Mutprobe vor.
Bei all dem ist es eigentlich auch kein Wunder, dass fast alle Autos irgendwo eine Beule oder eine Delle haben, aber trotzdem muss man sagen, auch Marokkaner lieben ihr Auto sehr, denn natürlich ist es praktisch, vor allem jedoch auch wichtig für die Nachbarn, ein Statussymbol eben auch hier. Gut möglich daher, dass mehr Mercedes und andere groβe Limousinen an Ihnen vorbeifahren werden, als Sie das in Deutschland gewohnt sind. Ist das Gefährt kleiner, so wird es oft aufgepeppt und liebevoll dekoriert mit Teppichen über dem Armaturenbrett, Vorhangspitzen an den Fenstern, Gebetsketten und glitzernden Koransuren am Spiegel und manchmal sogar mit rosa Plastikblumen. Im Frühling geht es damit raus ins Grüne. Es ist die Zeit der Familienausflüge. Schwer bepackt mit einem Stapel Decken, ein paar Klappstühlen, dem obligatorischen Schnellkochtopf, dem praktischen Gaskocher und natürlich einer Teekanne geht es dann mit dem lieben Auto und allen Kindern, gerne auch inklusive Großmutter und Tante im Schlepptau, auf eine Wiese vor der Stadt. So ein Picknick findet oft schon direkt am Straßenrand, gleich neben dem geöffneten Kofferraumdeckel statt. Und wer sich noch kein Auto leisten kann, fährt halt ein klappriges Moped. Auch damit kann man schließlich einen Familienausflug bestreiten: Papa fährt dann natürlich und Mama sitzt auf dem Gepäckträger, das kleinere Kind wird dazwischen geklemmt und das etwas größere darf vor Papa auf dem Rahmen stehen und beim Abstützen etwas mitlenken und sogar ein drittes Kind kann notfalls noch irgendwo dazwischen, nur die Tante muss hier vorerst zu Hause bleiben. Es hat mich eigentlich immer verwundert und es ist sicherlich nur ein sprachliches Problem, dass es früher bei 'Wetten dass…' nie einen marokkanischen Wettkönig gab. Mit einer Wette wie Familienausflug inklusive kompletter Verwandtschaft im kleinen Renault oder auf dem Moped hätten sie sicherlich gute Chancen gehabt. Genug Übung darin, sich der Wette zu stellen, hätten die meisten Marokkaner gehabt, denn natürlich bietet sich in vielen Gegenden des Landes so ein Ausflug an den Strand oder in die Berge an, schließlich hat Marokko eine schöne Natur mit zwei wunderschönen Küsten und wirklich herrlichen Gebirgslandschaften. Alternativ oder aber als krönender Abschluss einer sonntäglichen Ausfahrt kommt vielerorts auch ein Abstecher in den Supermarkt in Frage, etwa zu Marjane. Das ist angesagt, modern eben, praktischerweise nicht nur werktags, sondern auch sonntags bis 21 Uhr geöffnet und dabei immer angenehm klimatisiert.
Foto: Straßenszene - um die Medina wimmelt es manchmal wie in einem Bienenstock
Die perfekte Reisezeit für Meknes: Am besten wenn der Mohn blüht
Der Frühling ist sicherlich nicht nur für einen Ausflug ins Grüne, sondern überhaupt für eine Reise nach Marokko mit die beste Jahreszeit, vor allem wenn man mit dem Auto unterwegs sein möchte. Das Wetter ist bereits im März oft wunderbar sonnig, zumindest tagsüber angenehm warm und die Natur grünt und blüht ohne Ende. Die Felder mit feuerrotem Mohn, weiβen Margariten und anderen Wildblumen sind unbeschreiblich schön. Aber auch der Herbst ist angenehm. Das Land ist dann zwar völlig ausgetrocknet, alles ist gelblich bis ockerbraun und die Landschaft wirkt weit und hart, aber die endlose Weite und Kargheit haben auch etwas sehr Majestätisches und überwältigend Schönes. Im Sommer schließlich kann man es tagsüber eigentlich nur an der Küste oder aber drinnen aushalten. Die Hitze ist schon gnadenlos. Manchmal setzt sie mit dem Chergui ein. Das ist ein warmer Wind, der aus der Wüste kommt. Er fühlt sich für mich in etwa so an, als würde ich im deutschen Winter zum Enteisen der Windschutzscheibe das Gebläse im Auto mindestens auf die zweithöchste Stufe stellen. Trotzdem mag ich den Sommer sehr, den gelassenen Rhythmus des Lebens mit ausgiebiger Siesta, die Amosphäre am Abend, das Meer.
Richtig hart jedoch finde ich die Wintermonate in Marokko. General Lyautey, der oberste Franzose aus dem konlonialzeitlichen Marokko, hatte da schon Recht mit seiner Beschreibung Marokkos als kaltes Land mit heißer Sonne. Nachts gibt es winters manchmal Temperaturen um den Nullpunkt, an manchen Orten fällt auch Schnee, was besonders befremdlich wirkt, wenn er Palmen oder Wüstensand bestäubt. Eigentlich müsste man ja annehmen, dass der Winter für jemanden aus dem kalten Norden kein Problem sein dürfte. Mein erster Winter in Marokko war aber ziemlich leidvoll. Verstanden habe ich jedoch, warum man in marokkanischen Häusern selten eine Garderobe am Eingang zum Ablegen der Kleidung findet. Man braucht so etwas einfach kaum. Besucht man jemanden im Winter, so behält man die dicke Jacke oder den wärmenden Mantel beim Teetrinken im Wohnzimmer nur allzu gern an, denn die allermeisten Häuser haben noch immer keine richtige Heizung und sind dann oft richtig ausgekühlt, manchmal sogar feucht, denn der Winter ist auch Regenzeit. In gröβeren Hotels und Touristenressorts kann man natürlich auf Wärme und gewohnten Komfort vertrauen, aber ansonsten muss man sich an die winterliche Kälte erst gewöhnen und