messen!«
Dieses letztere sagte er mit einem Nachdrucke, dem man den bittersten Ernst anhörte. Ich war erstaunt
über diesen Indianer. Ich hatte viele Bücher über die rote Rasse und viele Reden gelesen, welche von
Indianern gehalten worden waren, so eine aber nicht. Intschu tschuna sprach ein klares, deutliches
Englisch; seine Logik war ebenso wie seine Ausdrucksweise diejenige eines gebildeten Mannes. Sollte er
diese Vorzüge Klekih-petra, dem "Schulmeister", zu verdanken haben?
Der Oberingenieur befand sich in großer Verlegenheit. Wenn er wahr und ehrlich sein wollte, so konnte
er auf die vorgebrachten Beschuldigungen fast gar nichts entgegnen. Er brachte zwar einiges vor, aber das
waren Spitzfindigkeiten, Verkehrungen und Trugschlüsse. Als ihm der Häuptling wieder antwortete und
ihn in die Enge trieb, wendete er sich an mich:
»Aber, Sir, hört Ihr denn nicht, wovon gesprochen wird? Nehmt Euch doch der Sache an, und redet auch
ein Wort!«
»Danke, Mr. Bancroft; ich bin als Surveyor hier, nicht aber als Advokat. Macht mit und aus der Sache,
was Ihr wollt. Ich habe zu messen, nicht aber Reden zu halten.«
Da bemerkte der Häuptling im entscheidenden Tone:
»Es ist nicht nötig, daß fernere Reden gehalten werden. Ich habe gesagt, daß ich euch nicht dulde. Ich
will, daß ihr noch heut von hier fortgeht, dahin, woher ihr gekommen seid. Entscheidet euch, ob ihr
gehorchen wollt oder nicht. Ich gehe jetzt mit Winnetou, meinem Sohne, fort und werde wiederkommen
nach der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen. Dann sollt ihr mir Antwort geben. Geht ihr
dann, so sind wir Brüder; geht ihr nicht, so wird das Kriegsbeil ausgegraben zwischen uns und euch. Ich
bin Intschu tschuna, der Häuptling aller Apachen. Ich habe gesprochen. Howgh!«
Howgh ist ein indianisches Bekräftigungswort und heißt so viel wie Amen, basta, dabei bleibt's, so
geschieht's und nicht anders! Er stand auf und Winnetou auch. Sie gingen fort und schritten langsam das
Tal hinab, bis sie um eine Biegung verschwanden. Klekih-petra war sitzen geblieben. Der Oberingenieur
wendete sich an ihn und bat ihn um guten Rat. Er antwortete:
»Macht was Ihr wollt, Sir! Ich bin ganz der Ansicht des Häuptlings. Es geschieht ein großes, fortgesetztes
Verbrechen an der roten Rasse. Aber als Weißer weiß ich auch, daß der Indsman sich vergeblich wehrt.
Wenn ihr heut von hier fortgeht, werden morgen Andere kommen, die euer Werk zu Ende führen. Aber
warnen will ich euch. Der Häuptling meint es ernstlich.«
»Wohin ist er?«
»Er wird unsere Pferde holen.«
»Habt ihr denn welche mit?«
»Natürlich. Wir haben sie versteckt, als wir merkten, daß wir dem Bären nahe seien. Einen Grizzly sucht
man doch nicht zu Pferde in seinem Verstecke auf.«
Er stand auch auf und schlenderte fort, jedenfalls um sich weiterem Fragen und Drängen zu entziehen. Ich
ging ihm nach und fragte trotzdem:
»Sir, erlaubt Ihr mir, mit Euch zu gehen? Ich verspreche Euch, nichts zu sagen oder zu tun, was Euch
inkommodiert. Es ist nur, weil ich mich so außerordentlich für Intschu tschuna interessiere und natürlich
ebenso für Winnetou.«
Daß auch er selbst mir große Teilnahme einflößte, wollte ich ihm nicht sagen.
»Ja, kommt ein wenig mit, Sir,« antwortete er. »Ich habe mich von den Weißen und ihrem Treiben
zurückgezogen; ich mag nichts mehr von ihnen wissen; aber Ihr habt mir gefallen, und so wollen wir
einen Spaziergang miteinander machen. Ihr scheint mir der verständigste von allen diesen Menschen zu
sein. Habe ich recht?«
»Ich bin der jüngste und noch gar nicht smart; werde dies wohl auch nie werden. Das mag mir wohl das
Aussehen eines leidlich gutherzigen Menschen geben.«
»Nicht smart? Dies ist doch jeder Amerikaner mehr oder weniger.«
»Ich bin kein Amerikaner.«
»Was denn, wenn Euch die Frage nicht belästigt?«
»Gar nicht. Ich habe keine Ursache, mein Vaterland, welches ich sehr liebe, zu verheimlichen. Ich bin ein
Deutscher.«
»Ein Deutscher?« fuhr er mit dem Kopfe schnell empor. »Dann heiße ich Sie willkommen, Landsmann!
Das war es wohl, was mich gleich zu Ihnen zog. Wir Deutschen sind eigentümliche Menschen. Unsere
Herzen erkennen einander als verwandt, noch ehe wir es uns sagen, daß wir Angehörige eines Volkes
sind wenn es doch nun endlich einmal ein einiges Volk werden wollte! Ein Deutscher, der ein
vollständiger Apache geworden ist! Kommt Ihnen das nicht außerordentlich vor?«
»Außerordentlich nicht. Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natürliche.«
»Gottes Wege! Warum sprechen Sie von Gott und nicht von der Vorsehung, dem Schicksale, dem Fatum,
dem Kismet?«
»Weil ich ein Christ bin und mir meinen Gott nicht nehmen lasse.«
»Recht so; Sie sind ein glücklicher Mensch! Ja, Sie haben recht: Gottes Wege erscheinen oft wunderbar,
sind aber stets sehr natürliche. Die größten Wunder sind die Folgen natürlicher Gesetze, und die
alltäglichsten Naturerscheinungen sind große Wunder. Ein Deutscher, ein Studierter, ein namhafter
Gelehrter, und nun ein richtiger Apache; das scheint wunderbar; aber der Weg, der mich zu diesem Ziele
geführt hat, ist ein sehr natürlicher.«
Hatte er mich erst halb widerwillig mit sich genommen, so freute er sich jetzt, sich aussprechen zu
können. Ich merkte sehr bald, daß er ein bedeutender Charakter war, hütete mich aber, irgend eine, wenn
auch noch so leise Frage nach seiner Vergangenheit zu tun. Er legte sich diese Rücksicht nicht auf und
erkundigte sich ganz wacker nach meinen Verhältnissen. Ich antwortete ihm so ausführlich, wie es ihm
lieb zu sein schien.
Wir hatten uns gar nicht weit vom Lager entfernt und uns unter einen Baum gelegt. Ich konnte sein
Gesicht, sein Mienenspiel genau beobachten. Das Leben hatte tiefe Runen in dasselbe eingegraben, die
langen Grundstriche des Grames, die durchquerenden Gedankenstriche des Zweifels, die Zickzacklinien
der Not, der Sorge und Entbehrung. Wie oft mochte sein Auge düster, drohend, zornig, ängstlich,
vielleicht auch verzweifelnd geblickt haben, und nun war es klar und ruhig wie ein Waldsee, den kein
Windstoß kräuselt, der aber so tief ist, daß man nicht sehen kann, was auf seinem Grunde ruht. Als er
alles Wissenswerte von mir gehört hatte, nickte er leise vor sich hin und sagte:
»Sie stehen am Anfange der Kämpfe, an deren Ende ich angekommen bin; aber diese werden für Sie nur
äußerliche, keine inneren sein. Sie haben Gott,