Taubenjahre. Franziska C. Dahmen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franziska C. Dahmen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742718358
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bist so schön!«, stieß Karl erregt aus. Gebannt starrte er auf ihren Busen, der silberweiß im fahlen Licht des ersten Morgengrauens glänzte. Das verzweifelte Schluchzen seiner Schwester hörte er längst nicht mehr. Wie von selber streckte sich seine Hand gierig nach ihren Brüsten aus. Aber Hanna wich ihm geschickt aus, sodass er ins Leere griff, was seine Wut anstachelte. »Du Luder, du willst es wohl auf die harte Tour, was?«, schnaufte er. Mit der einen Hand griff er ihr ins Haar und drückte ihren Kopf fest auf den Boden. Mit der anderen schlug er ihr eins ums andere Mal ins Gesicht, bis sie aus Mund und Nase blutete. Angestachelt durch ihre gellenden Schmerzensschreie, die unbeachtet im Haus verhallten, riss er schließlich am Rest ihrer Kleidung, bis sie sich fast vollkommen nackt vor ihm wand.

      »Nein …, nein …, nicht … Karl!«

      »Du gehörst mir!«, stieß er schwer atmend aus. Gleichzeitig versuchte er seinen Hosengürtel zu lösen. »Hast du es immer noch nicht begriffen?!«

      Noch einmal versuchte Hanna, sich zu befreien, musste letztlich aber einsehen, dass sie nicht einmal den Ansatz einer Chance besaß, ihrem Bruder zu entkommen.

      Karl hingegen grinste hämisch. Ihre Gegenwehr stachelte seine Lust an. Je mehr desto besser. Mit aller Wucht ließ er seinen schweren Körper auf sie fallen und drückte sie dabei zu Boden, sodass sie kaum Luft bekam.

      »Du entkommst mir nicht!« Keuchend und mit vor Erregung hochrotem Gesicht presste er ihre Beine auseinander, während ihre Hand verzweifelt nach einem Gegenstand tastete. Gierig presste er seine Lippen auf ihren Mund und drängte seine Zunge in ihr Mundinneres. Schon meinte sie zu ersticken. Kleine blaue Sterne blitzten vor ihren Augen. Wie eine Besessene strampelte sie mit den Beinen. Aber nichts half. Im Gegenteil! Je mehr sie sich unter ihm wand, desto erregter wurde er. Sein Glied wuchs und drängte sich in seiner pfählernen Härte zwischen ihre weichen Schamlippen, die ihm wehrlos preisgegeben waren. Hilflosigkeit, Angst, Ekel und Wut tobten in ihr und vermischten sich zu einem gefährlichen Elixier, das ihr unverhofft Kraft verlieh. Entschlossen tastete sie mit den Händen den Boden ab. Da, da war etwas! Etwas Hartes, Schweres. Nur mit Not schaffte sie es, den Gegenstand zu umfassen und anzuheben. Im gleichen Moment da er in sie eindrang, schlug sie zu und Karls Körper erschlaffte und begrub sie unter sich.

      Hanna schnappte nach Luft. Angewidert und voller Ekel fasste sie ihn an den Schultern und versuchte ihn, von sich zu drücken. Es dauerte einige Zeit, ehe sie es endlich schaffte. Am Rand vollkommener Erschöpfung stehend stand sie auf und verließ, ohne ihn eines letzten Blickes zu würdigen, taumelnd das Wohnzimmer und wankte die Treppe empor. Mochte er Tod sein, ihr war es egal. Ihr war alles egal.

      Kurz bevor sie am Schlafzimmer ihrer Mutter vorbeikam, wurde die Tür zugeschlagen. Blindlings vor Tränen taumelte sie an ihr vorbei. Schwere Atemgeräusche waren dahinter zu hören. Egal! Sie wollte nur noch auf ihr Zimmer, sich anziehen und dann weg von hier. Nie wieder, schwor sie sich, würde sie sich von Karl anfassen lassen. Nie wieder würde sie seinen faulen, alkoholgeschwängerten Atem riechen wollen. Nie wieder!

      Am ganzen Körper wie Espenlaub zitternd, öffnete sie die Tür zu ihrem Zimmer und sank zu Boden. Ihr Kopf war leer, vollkommen leer. Dann als das Zittern endlich aufhörte, stand sie auf. Eine von Eiseskälte durchtränkte Ruhe durchströmte ihren Körper. Mechanisch schloss sie die Innentür ab, zog sich an, holte den Lederkoffer unter dem Bett hervor und legte ein Kleidungsstück nach dem anderen hinein. Dann kam der Schmuck. Es war nicht viel, was sie von ihrer Großmutter geerbt hatte, aber es würde reichen, um ein neues Leben fern von hier anfangen zu können. Zumindest, sagte sie sich, würde sie nicht auf der Straße liegen und verhungern müssen. Zu guter Letzt kamen die Papiere sowie etwas Bargeld, das sie gespart hatte und vor ihrem Bruder unter einer Holzbohle versteckt hielt.

      Ihr Blick durchstreifte ein letztes Mal das Zimmer. Da waren die Bücher, die ihr sooft geholfen hatten, alles andere um sich herum zu vergessen: Goethes Werther, Shakespeares Was ihr wollt und Der Sturm, ein kleiner Band mit Gedichten von Rilke und Hölderlin sowie Theodor Fontanes Effi Briest. Kurz überlegte sie, ob sie sie in den Koffer packen sollte, ließ es dann aber sein, da sie ihr zu schwer sein würden. Weiter ging ihr Blick und streifte den Schaukelstuhl auf dem ein selbstgenähtes Kissen lag, das sie mit singenden Vögeln bestickt hatte. Direkt daneben stand die Harfe. Es war eine Einfachpedalharfe. Das Gold der Harfensäule war fast vollständig abgeblättert. Aber der kunstvoll mit Rosengirlanden verzierte Kopf glänzte immer noch. Sie würde sie stehen lassen müssen.

      Tränen traten ihr in die Augen. Sie konnte sich immer noch an den Tag erinnern, an dem sie sie von ihrer Großmutter geschenkt bekommen hatte.

      »Sie ist für dich, mein Herz. Man wird dir im Leben viel nehmen können, aber die Musik wird dir für immer bleiben. Du bist begabt. Lerne auf ihr zu spielen.«

      »Ich kann sie nicht mitnehmen Großmutter ...«, flüsterte sie leise, während sie ein letztes Mal über die lange Harfensäule strich. Die Seiten traute sie sich nicht zu berühren. Nur nicht schwach werden Hanna, nur nicht schwach werden! Trotzdem meinte sie, dass sie leise vibrierten und ein hauchzarter, kaum wahrnehmbarer Klang durchs Zimmer strich. »Verzeih mir!«

      Tränenüberströmt drehte sie sich, hob ihren Koffer und verließ, ohne sich noch ein einziges Mal umzuschauen, das Zimmer, in dem sie groß geworden war.

      Flucht

      Rafael war der erste, der Hanna entdeckte. Bleich und mit eingefallenen Wangen stand sie wie ein verlorenes Häufchen Elend da. In der einen Hand hielt sie einen Koffer, die andere hing hilflos herab.

      »Ich weiß nicht wohin!« Mehr sagte sie nicht. Und mehr brauchte sie ihm auch nicht zu sagen.

      »Komm!« Vorsichtig löste er ihre verkrampften Finger und nahm ihr den Koffer ab.

      Willenlos folgte sie ihm durchs Lager, das wie ein Bienenstock, der kurz vor seiner Auflösung stand, geschäftig summte und brummte.

      »Wir brechen heute Nachmittag auf. Die Polizei war inzwischen da. Sie hat alles aufgeschrieben. Mein Vater ist mit ihnen zur Wache. Aber es wird eh nichts draus.« Verächtlich winkte er mit der rechten Hand. »Sie haben uns aufgefordert weiterzuziehen. Was immer … Wenn mein Vater zurück ist, dann sind wir hier weg.«

      »Kann …, kann ich mitkommen?«, stieß Hanna gepresst aus und schaute ihn dabei wie ein waidwundes Reh an.

      »Das kann ich nicht entscheiden.«

      Hanna nickte nur und merkte, wie sich in ihr eine doppelte Leere ausbreitete. Er brauchte nicht weiter zu sprechen. Wer auch immer ihr letztlich die Antwort geben würde, sie kannte ihren Wortlaut genau: Nein! Vier kleine Buchstaben, die eine unüberwindbare Grenze zogen und nur eines ausdrückten: Du gehörst hier nicht her! Wir wollen nichts zu tun haben mit einer, die sich mit ihrem eigenen Bruder … Ein Zittern durchfuhr ihren Körper. Nein, sie wollte nicht daran denken! Alles nur das nicht. Wenn sie hier keiner haben wollte, dann würde sie schon woanders einen Platz finden. Müde drehte Hanna sich um die eigene Achse, wurde aber von Rafael am Arm zurückgehalten.

      »Wo wollen sie denn hin?«

      Trotzig schaute sie ihm für einen kurzen Moment in die Augen, ehe sie ihren Blick auf ihre Schuhe senkte und stumm mit den Schultern zuckte. Es waren dunkelbraune Schuhe. Gute Schuhe, die jetzt mit einer dicken Staubschicht bedeckt waren. Eigentlich mochte sie keine dreckigen Schuhe. Im Gegenteil; sie fand es schrecklich, wenn jemand damit herumlief. Sie musste sie unbedingt putzen. Hatte sie überhaupt Schuhwichse dabei? – Nein, natürlich nicht! Sie würde welche im nächsten Ort kaufen müssen. Ja, das würde sie. Wie dumm von ihr, nicht daran zu denken!

      »… mit zu meiner Mutter.«, hörte sie undeutlich Rafael seinen Satz beenden.

      »Wie bitte?« Hanna schaute ihn verblüfft an. Hatte er nicht eben noch davon gesprochen, dass sie nicht würde mitkommen können?

      »Ich habe gesagt, dass wir zunächst einmal zu meiner Mutter gehen. Sie wird ihnen eine Tasse Kaffee einschenken und dann schauen wir weiter! Sie sehen mir danach aus, als könnten sie eine gebrauchen.«

      »Was