Die Straße der Ritter. Marlin Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marlin Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738047011
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sich, dass er im Schlaf den Schmerz nicht fühlte.

      William teilte seine Mahlzeit sorgsam in zwei Hälften. Das Brot war noch frisch und duftete appetitanregend. Dazu hatte er gepökeltes Fleisch, einen gesalzenen Fisch und Käse bekommen. Auch etwas Obst, Wasser und Wein hatte er erhalten. Während er Fleisch, Fisch und Käse mit dem Dolch teilte, kamen Francis und Tomas hinzu. William bemerkte sie nicht. Doch als er zu essen anfangen wollte, schoben sich plötzlich zwei hölzerne Teller vor ihn. Auf beiden Tellern lag etwa ein Drittel einer Mahlzeit. Williams Kopf fuhr herum. „Francis! Tomas! Was soll das?“

      „Du kannst nicht über Wochen mit der halben Ration leben“, sagte Tomas. „Aber wenn wir unsere Rationen aufteilen, dann hat jeder genug zu essen. Nun nimm schon.“

      William nahm die beiden Teller. „Ich - ich danke euch, Freunde“, sagte er sichtlich gerührt. Er strich das Essen auf einen Teller zusammen und legte seinen Anteil mit hinzu, so dass für den Verletzten eine volle Ration entstand. Auch Wasser und Wein bekam er zur Genüge.

      William schaute strahlend auf den Teller und dann auf seine Begleiter. „Nochmals vielen Dank.“

      „Bist'n guter Junge“, sagte Francis. Dann gingen sie wieder an Deck, und William machte sich über seine Portion her.

      Während er aß, begann Albrecht zu stöhnen. Er bewegte seinen Kopf heftig hin und her und hustete. Seine Augenlider flatterten, und Schweiß trat auf seine Stirn.

      William stellte seinen Teller ab und tupfte die Stirn des Verletzten mit einem Tuch. Dieser schlug daraufhin die Augen auf.

      „Hast du Schmerzen?“ fragte William.

      Der Mann nickte.

      „Möchtest du etwas essen?“

      Er nickte wieder, und William schnitt ihm das Fleisch klein und riss das Brot in Stücke. Die Teile stopfte er ihm in den Mund. Zwischendurch gab er ihm einen Schluck Wasser.

      „Hast du starke Schmerzen?“

      „Ja“, keuchte Albrecht.

      „Lass mich noch einmal nach deinen Beinen sehen.“ William schlug die Decke zurück und begutachtete die Wunden. „Ich habe die Knochen richten können, Albrecht, und ich denke, dass sie mit ein wenig Glück wieder gerade zusammenwachsen. Die Wunde sieht sauber aus und ich will nicht hoffen, dass noch etwas passiert. Wir müssen abwarten. Die Schmerzen sind Teil des Heilvorgangs. Aber wenn sie zu stark werden, dann will ich sehen, dass ich noch mehr Wein für dich auftreiben kann, damit du ruhig schläfst.“

      Der Verletzte wollte noch etwas sagen, aber als er den Mund öffnete, stopfte William Brot und Käse hinein. Albrecht hatte trotz seiner Schmerzen einen guten Appetit und konnte doch nicht viel essen, da sein Magen offensichtlich durch langes Fasten geschrumpft war. Nach einigen Bissen schob er deshalb Williams Hand zurück, die ihm weitere Leckerbissen einfahren wollte. „Es reicht, mein Freund. So voll war mein Magen schon lange nicht mehr. Wie kann ich dir nur dafür danken?“

      William stellte den Teller beiseite. „Erzähl mir was von dir“, sagte er. „Was macht ein Deutscher in der Bretagne, und wie kommt ein Adliger in eine solche Lage, dass er als Bettler sein Leben bestreiten muss?“

      Albrecht verzerrte sein Gesicht, worauf William ihm einen Pint Wein einflößte. Der Alkohol tat ihm sichtlich gut und linderte die Schmerzen ein wenig. Nach kurzer Zeit begann Albrecht zu erzählen. „Ich bin Ritter und gehöre dem sogenannten niederen Adel an. In dieser Eigenschaft war ich als Kämpfer für unser Land tätig, und man hat gern meine Dienste in Anspruch genommen, weil ich der beste Bogen- und Armbrustschütze bin weit und breit. Aber seit die verdammte Geldwirtschaft um sich greift wie die Pest, ist es mit unserer gesellschaftlichen Stellung und unserem Ansehen nicht mehr weit her. Vor einiger Zeit noch hat man uns als Söldner angeheuert, wenn es irgendwo brannte. Aber nun gibt es mietbares Militär, ausgerüstet mit starker Artillerie und neuesten Feuerwaffen. Niemand will mehr einen Ritter kaufen, und wenn du mich fragst, junger Freund, was sollen wir noch auf den Schlachtfeldern?“

      William nickte. Albrechts Erzählung deckte sich mit Franz' Geschichte vom wirtschaftlichen Aufschwung.

      „An den Höfen der Fürsten und Grafen herrscht Prunk und Macht, und wir, der niedere Adel, bekommen bei jeder Gelegenheit zu spüren, was wir doch für arme Wichte sind. Selbst den Luxus in bürgerlichen Wohnungen hat man ständig vor Augen. Man sieht täglich, wie gut es andere haben und nagt selbst am Hungertuch. Wir Ritter wären eigentlich schon längst ohne Bedeutung, hätten wir nicht 1422 das kaiserliche Privileg zur legalen Gründung von Ritterbündnissen erhalten, so dass wir als eigenständige Gruppe in manchen Gebieten noch ein wenig Macht ausüben können. 1461 gründeten wir die Böckler, aber dieser Bund allein brachte uns weder Geld noch Macht. So blieb uns nur die Möglichkeit, das Geld auf anderem Weg zu beschaffen. Wir gingen in Bayern auf Raubzug. Zunächst lief alles wie am Schnürchen. Wir verfolgten Kutschen, hielten sie an und raubten die vor Gold protzenden fetten Herrschaften aus. Auf diese Weise bekamen wir Geld und Gold, mehr als genug, und keiner konnte unserer habhaft werden. Außerdem hatten wir Macht. William, wenn du die angstverzerrten Gesichter der feinen Damen und Herrschaften siehst, dann weißt du, dass du der Mächtige bist. Sie tun, was du willst, und sie wimmern um ihr Leben. Die Krone ließ uns gewähren, denn kaiserliche Transporte fassten wir nicht an. Also verfolgten uns nur die Fürsten und Städte, die unter unserem Raubrittertum litten, und dagegen konnten wir uns bequem wehren. Es wäre alles gut gegangen, wenn nicht einige von uns süchtig geworden wären nach mehr Macht und Reichtum. Wir hatten genug zum Leben, aber sie wollten mehr. Also plünderten wir öfter, und irgendwann geschah es, dass wir zu morden begannen. Eine feine Dame beschimpfte uns als erbärmliche Feiglinge und ging mit ihrem Sonnenschirm auf einen von uns los. Das trieb die anderen Fahrgäste der Kutsche an, und bald klirrten Waffen. Sie hatten keine Chance gegen uns, William, und die Dame starb durch einen Pfeil in die Brust. Die anderen versuchten zu flüchten, aber keiner entkam dem Bogen. Das war der Anfang vom Ende. Herzog Albrecht der IV. von Bayern-München hatte das Wams voll von den Überfällen und stöberte uns auf. Seine Mannen metzelten die Böckler nieder. Niemand entkam, außer mir. Zur Zeit des Überfalls war ich im Land, um Vorräte zu besorgen. Mir blieb nur noch die Flucht, um nicht hingerichtet zu werden. So kam ich nach Brest, arm wie ein Bauernlümmel, denn alles, was wir gehortet hatten, fiel den Knechten des Herzogs in die Hände. Nun bin ich allein, ohne Geld, dafür mit der Angst, irgendwann einmal erwischt zu werden.“

      William hatte bis dahin schweigsam zugehört. Ihm hatte der Mann, der vom Schicksal so gebeutelt worden war, und der nun hilflos mit gebrochenen Beinen vor ihm lag, leidgetan. Aber dann hatte er vom Töten erzählt, als wäre er ein Bauer, der vom Schneiden des Korns berichtet. Er hatte nicht gesagt, dass er selbst den tödlichen Bogen geführt hatte, aber William ahnte es. Er sagte Albrecht auf den Kopf zu: „Du hast für Geld die Menschen in der Kutsche erschossen?“

      Albrecht versuchte nicht zu leugnen. Er nickte schwach und blickte William tief in die Augen. Zuerst sah es so aus, als wollte er um Vergebung bitten, aber dann erglomm ein Feuer darin, das eine gewisse Begeisterung verriet. Er sagte: „Ja, ich habe sie alle erschossen.“

      William schüttelte den Kopf, immer heftiger, bis er aufsprang und schrie: „Das glaube ich nicht! Du bist kein Mörder!“

      „Ich bin das Töten gewöhnt, William“, sagte Albrecht ruhig. „Macht es einen Unterschied, ob ich für einen Kaiser töte, der Land an sich reißen will, oder ob ich es für mich tue, weil ich überleben will? Ist es nicht egal, ob ich töte, um eine Stadt zu verteidigen, oder ob ich es tue, weil mein Herr sie haben will? Wer schreibt uns vor, wen und was wir töten dürfen, William. Wer?“

      „Jesus Christus tut es, Albrecht.“

      „Die Gebote sagen nur: Du sollst nicht töten. Sie sagen nicht: Du sollst keine Christen töten. Danach dürfen wir weder Ungläubige noch Tiere, weder Baum noch Halm vernichten, noch dürfen wir hinrichten, ob Dieb oder Mörder. Selbst der Papst tut es oder lässt es tun. Gilt Gottes Gesetz nur für Bürger und Bauern?“

      „Aber...“

      „Du, mein Freund, wirst nach Rhodos gebracht. Sicher nicht, um da zu predigen. Man will,