Freundschaften und Liebeleien mit interessanten Männern. Eine Reise mit dem Doppelschraubendampfer nach Norwegen mit der Bewegung 'Kraft durch Freude' Juni 1935. (Das Informationsblatt liegt in einem Album.) Das Schiff nahm 949 Urlauber an Bord. 12.06 Uhr Abfahrt Bremerhaven. 6.41 Uhr Helgoland, Wetter leicht bewölkt, mäßig bewegte See. 10.45 in der Nordsee Schwimmwestenmanöver.11.30 Bootsmanöver. Nehmen 21.30 Fjordlotsen an Bord...Mann-über-Bord-Manöver. Rückfahrt, Ankunft Bremerhaven 4.00 Uhr morgens, Abfahrt des Sonderzuges. Strecke 2059 km hin und zurück. 1941 wurde sie als technische Lehrerin nach Belzig an die Stadtschule beordert. Sie war 32 Jahre alt, als sie ihren ersten Mann Hans Eggers kennenlernte. Durch Bekannte ihrer Wirtsleute, die gesagt hatten, das wäre doch eine Frau für den Hans. Er war Beamter, stellvertretender Kassenleiter bei der AOK. Und als solcher wurde er automatisch in die SS aufgenommen, sagt sie. Es war auch komisch, dass er versetzt wurde nach München und eingezogen, obwohl er nicht KV – kriegsverwendungsfähig - war, schwer kurzsichtig. Die automatische SS-Mitgliedschaft wurde ihm nach dem Krieg zum Verhängnis. Den SS-Leuten war die Blutgruppe am linken Oberarm eintätowiert, daran waren sie später zu identifizieren. Von seinem Zwillingsbruder, der als Orthopädie-Mechaniker-Meister im Oberlinhaus arbeitete, wurde er gewarnt, nie seinen Oberarm freizumachen. Aber der Ehemann wurde abgeholt nach Frankfurt/Oder, dort beim Straßenbau zu arbeiten, starb an Hungerödem und Lungenentzündung. Sohn Gerd Eggers, ein bekannter Lyriker der DDR, wurde 1945 geboren. Ilse heiratete später erneut und bekam noch zwei Söhne. Im Haus mit der Pflegestation hat jeder Bewohner ein Zimmer mit Bad für sich, nur selten sehe ich zwei Namensschilder neben den Türen. Bei Ilse Nowak ist alles ordentlich vollgepackt, nur das Bett ist frei von Erinnerungsmaterial und Souvenirs. Sie entschuldigt sich ab und zu dafür, dass auf dem Tisch kein Platz ist. Auch überall Uhren bzw. Wecker. Die Uhrzeit kann sie vom Bad aus sehen, die andere vom Bett und eben aus jeder gewohnten Richtung, die Zeit ist immer ablesbar. Ilse Nowak kommt ohne Brille aus. Das wundert mich dann doch. Die Augen wurden vor Jahren medizinisch gelichtet, erfolgreich. Ich hocke am vollbepackten Sessel.
Luisenplatz ca. 1937
Fotos zwischen Apothekenzeitschriften, Mappen, Zeitungsartikel, Bücher, Ansichtskarten, ausgeschnittene Blumenfotokopien. Persönliche Dokumente zwischen Werbeartikeln. Kleine Teddys. Ich suche irgendwas Interessantes, da rutscht ein Stapel auf den Teppich. Ilse ist entsetzt, beinahe sprachlos. Was habe ich getan? Ich versuche den Stapel korrekt zurück zu versetzen. Ilse ringt um Fassung. Um Himmelswillen, sie wird doch jetzt keinen Herzinfarkt erleiden, nach 105 Jahren. Durch mich! „Ist das schlimm?", frage ich. „Naja." Die rechte Begründung für ihre Panik fällt ihr nicht ein. Da hilft nur Ablenkung. Ich halte ein Foto in der Hand. Darauf ist sie als etwa Dreijährige mit einer Puppe im Arm abgelichtet. „Die Puppe konnte ich nie leiden, die hatte so ein dauerndes Lächeln, ich mochte Teddys lieber." Gerade noch halte ich sie für den ältesten Menschen in Potsdam, da erscheint ein Pfleger in der Tür und ruft: „Frau Nowak, Sie sind die Drittälteste." P.S.: 2017 im August wurde sie 108 Jahre alt und die älteste Potsdamerin.Ostern 2018 starb Ilse Nowak.
Foto: MAZ Archiv
Ich wohne, wo der Panzer stand
Ursula Demitter, *1945
In Potsdam war eine große Zahl der sowjetischen Streitkräfte stationiert. Man sollte sich als Kind vor ihnen in Acht nehmen und sich möglichst fern halten. Auch sollte man von niemandem etwas annehmen. Es wurde behauptet, manche wollen die Kinder vergiften. Die Nachbarsfrau, die Straßenbahnschaffnerin im Schichtdienst war, musste immer über den Bassinplatz rennen, damit sie keiner wegfangen konnte – oder so ähnlich. Mir wurden diese Geschichten nicht wirklich erzählt, aber mitbekommen habe ich sie schon. Einmal fuhr ich mit meiner Schwester in der Straßenbahn. Es waren uralte klapprige Wagen mit einem hinteren offenen Perron. Ein großer dicker russischer Offizier wurde auf mich aufmerksam. Er griff in die Tasche, holte ein großes Stück Zucker heraus, das in eine Banderole eingewickelt war und hielt es mir hin. Ich machte mein finsterstes Gesicht, schüttelte heftig den Kopf und verschränkte meine Arme auf dem Rücken. Der Russe lachte, drückte meiner Schwester den Zucker in die Hand und sagte: „Gieb.“ Zu Hause wurde der Vorfall heftig diskutiert und ich hatte natürlich alles falsch gemacht.
Als die DDR gegründet war, wurde es politisch lebendig in unserer Straße. Während wir beim Abendessen saßen, kamen schon mal zwei „Aufklärer“ in unsere Küche und erklärten uns die neue Zeit. Niemand sollte nach West-Berlin fahren und dort sein Geld in Westgeld umtauschen. Nur weil es dort Wuggi-Wuggi- Schuhe mit dicken Kreppsohlen gab. Darauf sollten wir verzichten, denn das schädigt unseren jungen Staat. Meine Mutter sagte nichts, aber in solchen Momenten sah sie immer aus, als hätte sie Zahnschmerzen.
Noch schlimmer fand sie den Stadtfunk. Noch immer hatte nicht jeder Haushalt ein Radio. Die hatte man beim Einmarsch der Russen unter Androhung schlimmster Strafen alle abgeben müssen. Also bekamen wir nach russischer Sitte einen Stadtfunk. Im Holländischen Viertel, schräg gegenüber von unserem Haus, befand sich an der Ecke Mittelstraße/Benkertstraße die Gaststätte Zum Fliegenden Holländer. Die gibt es dort heute noch. Jeden Sonntag früh um sieben plärrten aus dem Lautsprecher in übelster Tonqualität Kampflieder. Am häufigsten wurde gespielt: ‚Spaniens Himmel breitet seine Sterne..‘. Auf diese Art habe ich das Lied sehr schnell gelernt. Aber meine Mutter knurrte irgendwas von „unmöglichem Lärm“ und schloss wütend die Fenster.
Mein Vater hatte ein Auto. Das war etwas Besonderes. Alle privaten Autos hatte man entweder in den letzten Kriegstagen an Hitler – oder nach dem achten Mai an die Russen übergeben müssen. Dennoch: Mein findiger Vater hatte schon kurz nach dem Krieg, es mag 46 oder 47 gewesen sein, wieder ein Auto. Es war die Zeit der allgemeinen Hamsterei. Man fuhr aus der Stadt in die Dörfer und verhökerte, was irgendeinen Wert hatte an die Bauern: Für Essbares. Mein Vater erledigte solche Fahrten für Bekannte und Freunde. Es war gefährlich, weil verboten. Aber es fiel immer etwas ab. Wir hatten als Familie das Glück, dass wir bäuerliche Verwandte in den havelländischen Dörfern hatten. Von dort bekamen wir zu Essen. Es war nicht viel, aber schon ein Sack Kartoffeln war damals ein unschätzbarer Wert.
Die neue Administration stellte überall kurz geschulte Hilfspolizisten ein. Zwischen den Landkreisen waren Kontrollen eingerichtet. Man wollte die Bauern zwingen, alles abzuliefern und durch die Verwaltung gelenkt, der hungernden Bevölkerung gerecht zukommen zu lassen. Das funktionierte natürlich nicht, denn wo ein Mangel ist, da ist kriminelle Energie. Ich erinnere mich, wie wir an einem Sonntagabend von den Verwandten im Dorf Roskow, zwölf Kilometer von Brandenburg entfernt, nach Hause, nach Potsdam, aufbrachen. Mein Vater besaß einen alten Aero, eine Automarke, die es heute nicht mehr gibt. Es war ein Lieferwagen mit langem Heck. Vor der Abfahrt wurde ein Sack Kartoffeln auf die Ladefläche geschüttet. Darauf wurden Decken gelegt. Dann mussten wir drei Kinder uns darauf legen. Es wurde uns eingeschärft: „Wenn eine Kontrolle kommt, müsst ihr fest schlafen, ihr dürft die Augen nicht öffnen.“ Und genau das passierte. Die Hilfspolizisten leuchteten mit Taschenlampen in das Auto. Da lagen drei Kinder und schliefen tief und fest. Man verzichtete darauf, das Auto weiter zu untersuchen und so brachten meine Eltern ihre Konterbande sicher nach Hause.
Unsere sonntäglichen Fahrten zu den Verwandten waren abenteuerlich. Manchmal waren Straßen gesperrt, manchmal gab es Kontrollen oder wir fuhren Umwege über unbefestigte Feldwege, um Kontrollen zu umgehen. Einige Brücken, die am Kriegsende gesprengt