Vergeben und Vergessen. Jenny Kutzner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jenny Kutzner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738049152
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Lächeln zu. Es schien zu funktionieren, unter ihrem pinkfarbenen Rouge begann tatsächlich eine natürliche Röte durchzuschimmern und sie ließ meinen Koffer weiterziehen. Von da an war es noch eine Stunde, bis wir an Bord gehen sollten. Eine Stunde, bis wir endlich durch einen dieser schmalen Gänge zu unseren Sitzplätzen gehen konnten und die Peter damit verbrachte, lauthals letzte Anweisungen für die nächste Ausgabe in sein Telefon zu diktieren. Eine Stunde, bis jeder seinen Platz eingenommen hatte und sich die Türen schlossen. Als das Flugzeug sich in Bewegung setzte, schaltete Peter endlich sein Telefon aus und die Stewardessen begannen mit ihrem kleinen Kabarett. Das Flugzeug stoppte ein letztes Mal, die Turbinen begannen zu heulen – und ich spürte, wie ich es ihnen gleich tat. Dicke Tränen begannen mir über die Wangen zu laufen. Ich starrte geradeaus und begann nach Peters Hand zu tasten. Als ich sie fand, hielt ich sie so fest, bis die Knöchel meiner Hand weiß hervortraten. Das Flugzeug fing mit zunehmender Geschwindigkeit an immer stärker zu vibrieren und das tiefe, monotone Brummen der Motoren wurde von einem nervenzerreißenden Kreischen abgelöst. Die einzigen Gedanken, die in diesem Moment in meinem Kopf herumschwirrten, galten sämtlichen katastrophalen Möglichkeiten, die dieses Flugzeug zum Absturz bringen konnten. Oh ja, ich habe Flugangst. Mein Atem und mein Herzschlag beschleunigten sich, als das Flugzeug begann sich von der Startbahn zu lösen und als es sich in die Luft erhob, hatte ich für einen kurzen Moment das Gefühl, dass beides aussetzen würde. Ich versuchte fieberhaft an etwas anderes zu denken, an etwas Schönes, an die Hochzeit mit Peter und als mir bewusst wurde, dass Peters Hand noch immer meinem eisernen Griff stand hielt, spürte ich, dass alles gut werden würde. Ich hatte auf einmal keine Angst mehr. Ich war schließlich viel zu jung um zu sterben. Mit dieser Erkenntnis begann ich mich zu entspannen. Ich schloss meine Augen, eine wohlige Wärme durchflutete meinen Körper und eine Woge aus Licht umhüllte mich. Dann war alles ganz still.

      Als ich meine Augen wieder öffnete, war plötzlich irgendwie alles ganz anders. Peter hielt zwar noch immer meine Hand, aber ich spürte weder die Vibrationen, noch hörte ich die Motorengeräusche des Flugzeugs. Doch vielmehr als das irritierte mich das Fehlen der Wärme auf meiner Haut und dieses sanften Lichtes. All das war nicht einfach nur verschwunden, es schien, als wäre es nie da gewesen. Ich versuchte zu sprechen, doch es kam nichts als ein leises Stöhnen aus mir heraus und auch als ich mich bewegen wollte, spürte ich einen eigenartigen ziehenden Widerstand. Es gelang mir mein Gesicht zu berühren und da war eine Art Maske, es musste eine dieser Sauerstoffmasken sein. Vielleicht hatte Peter sie mir aufgezogen, als ich bewusstlos geworden war.

      Ich packte sie und zog daran, doch ich bekam sie nicht ab, etwas hinderte mich daran. Als ich mich umschaute, sah ich, wie ein halbes Dutzend Menschen um mich herumstanden und begriff, dass sie mich festhielten. Wie konnte das sein? Ich saß doch in einem Flugzeug, das gerade dabei war abzustürzen! Also wieso lag ich? Und warum ließen sie mich nicht die Maske abnehmen? Auf einmal fingen die Menschen an wild durcheinander zu schreien und ich wurde schrecklich müde.

      Als ich wieder zu mir kam, stand ein Mann vor mir. Er war vielleicht Mitte fünfzig und trug eine Brille, über deren Rand er mich mit gesenktem Kopf anblickte. »Ich bin Dr. Miller. Sie sind hier in einem Krankenhaus. Ihr Mann hat sie zu uns gebracht.« Er löste seinen Blick von mir und schaute nach rechts. Ich sollte wohl seinem Blick folgen und das tat ich auch. Neben dem Bett standen kompliziert wirkende Maschinen, die für weiß Gott was gut waren. Eine davon war allerdings ziemlich selbsterklärend, sie besaß eine kleine Anzeige auf der Vorderseite, auf der eine zackige, rhythmisch durchgehende Linie dargestellt wurde. Etliche Kabel endeten darin, deren Anfänge vermutlich auf meinem Körper zu finden waren. »Ihr Mann ist hier. Er wartet vor der Tür.«

      Ich ließ meinen Blick von der Maschine, die meinen Herzschlag aufzeichnete, weiter durch das Zimmer wandern. Es war nicht sonderlich groß und ich schien die Einzige zu sein die darin lag, denn ich konnte keine weiteren Betten darin entdecken. Die Tür zu dem Zimmer war geschlossen. Dr. Miller und ich waren die einzigen Menschen in meiner kleinen Zelle. Auch wenn ich Peter hinter einer großen Glasscheibe sehen konnte, so fühlte ich mich dennoch verwirrter und isolierter als zuvor. Ich hatte meinen Kopf zur Seite gedreht und Tränen, die nun langsam in mir hochstiegen, liefen mir direkt ins Ohr.

      »Ich werde ihnen jetzt das Beatmungsgerät entfernen. Bitte einatmen und dann lang und tief ausatmen! «

      Das war es also – ein Beatmungsgerät. Ich wandte mich wieder Dr. Miller zu und tat wie mir geheißen.

      Ich atmete ein und als ich ausatmete spürte ich wieder diesen Schmerz in meiner Brust, dem dieses Mal allerdings ein Würgereiz und fast zeitgleich ein Hustenanfall folgten.

      »Hier, trinken sie das.« Dr. Miller reichte mir ein Glas und richtete mein Bett etwas auf. Ich musste noch etwas weiter nach oben rutschen, bis ich in der Lage war das Glas an meine Lippen anzusetzen, ohne dass ich etwas verschütten würde. Diese kleine Bewegung war seltsam und anstrengend, aber es tat gut zu sitzen und das kühle Wasser durch meine brennende Kehle fließen zu spüren. Ich trank bis zum letzten Tropfen in einem Zug aus. Dr. Miller nahm mir das Glas wieder aus der Hand und stellte es zur Seite.

      »Ich habe einige Fragen, die ich ihnen stellen möchte. Wenn sie etwas nicht wissen, dann ist das Ok. Lassen sie sich ruhig Zeit.«

      Wieso hatte dieser Mann Fragen an mich? Es kreisten so viele Gedanken und Fragen in meinem Kopf und ich wollte sie alle auf einmal loswerden, doch ich war nicht in der Lage all diese Fragmente in sinnvollen Fragen zu formulieren. Ich hatte plötzlich schreckliche Kopfschmerzen, ich wollte meine Ruhe und ich wollte Peter endlich sehen.

      »Wissen sie, wie sie heißen?«

      Was für eine blöde Frage – natürlich wusste ich, wie ich heiße. Aber würde ich es auch aussprechen können? Ich hatte bis jetzt noch kein Wort gesagt. Die Fragen, die ich loswerden wollte kamen mir schließlich auch nicht über die Lippen.

      Die Abstände zwischen den Ausschlägen meines Herzens wurden auf dem Bildschirm immer kleiner.

      »Wie gesagt, lassen sie sich Zeit.«

      »Hannah« schoss es aus mir heraus und das stetige Piepsen des Gerätes wurde augenblicklich langsamer.

      »Mein Name ist Hannah.« Ich war mehr als nur ein bisschen erleichtert. Offensichtlich konnte ich noch sprechen.

      »Wissen sie, wo sie sind?«

      »Anscheinend in einem Krankenhaus.«

      »Wissen sie, wie sie hierher kamen?«

      »Sie sagten doch, dass Peter mich hergebracht hat.«

      »Gut.« Ein hoffnungsvolles Lächeln huschte über sein Gesicht. »Das beweist schon mal, dass ihr Kurzzeitgedächtnis funktioniert und damit kann ich auch ein paar Fragen überspringen.«

      Er hatte ein Klemmbrett auf seinem Schoß liegen, auf dem er sich Notizen machte und fuhr währenddessen fort. »Welcher Tag ist heute?«

      Ich musste kurz überlegen und stellte fest, dass ich es nicht so genau wusste.

      »Entweder der 12. oder 13.«

      »Monat?«

      Ich war etwas verwundert aber Ok, er wollte bestimmt nur genau sein.

      »Juli. Der 12. oder 13. Juli.«

      Dr. Miller blickte von seinen Unterlagen auf und schaute mich über den Rand seiner Brille kurz an, bevor er weiter darin notierte. Ich nutzte meine Chance.

      »Wie ist es passiert?«

      »Wie ist was passiert?« Es ärgerte mich, dass ich nur eine Gegenfrage bekam. »Ich meine wie ist es abgestürzt? Hat man schon die Ursache herausgefunden?«

      Dr. Miller runzelte die Stirn. »Was ist das Letzte woran sie sich erinnern?«

      2.

      Es war ein strahlend schöner Tag, als Hannah im Krankenhaus erwachte. Doch davon bekam sie nichts mit und auch nichts von der ganzen Trauer, die weit weg von ihren eigenen Problemen ein neues Zuhause gefunden hatte. Dort, wo in der einstigen Metropole Los Angeles bis zum Tag der Katastrophe das Leben pulsierte, liefen nun