„Aber du hast es versucht.“
Sein Lächeln vertiefte sich. „Sauer?“
„Ne, ich kenne dich ja.“ Sie schob ihn zur Seite und Patrick knurrte enttäuscht.
Kims Rotschopf erschien oben am Treppenabsatz, als sie sich über das Geländer beugte. „Svenja? Was machst du so lange da unten?“
„He, sag ihr nichts, okay?“, bat Patrick hastig. „Schwesterchen ist ein bisschen verklemmt.“
„Ist sie nicht.“ Svenja drohte ihm mit dem Finger. „Echt, Patrick, wenn du deine flinke Zunge nicht zügelst, dann gerätst du wirklich Mal an die Falsche. Check endlich, dass ich wegen Kim hier bin und nicht wegen dir.“
„Du brichst mir jetzt aber echt das Herz.“
„Svenja???“ Kim machte ein paar Schritte die Treppe hinunter. „Verdammt, was macht ihr da unten?“
Patrick sah Svenja erneut beschwörend an und sie konnte ihm einfach nicht böse sein. Patrick war nun einmal Patrick. „Komme. Ich hab Patrick nur gefragt, ob er nach meinem Mofa sieht. Das ruckelt so komisch.“
„Ha, wer es glaubt… Wenn Pat in der Nähe ist, hat dein Mofa ziemlich oft ´ne Macke.“
„Ist halt nicht das Neueste.“ Svenja hastete an Patrick vorbei und eilte die Treppe hinauf. „Und da bin ich auch schon.“
Die beiden Freundinnen begrüßten sich und Kim schnupperte misstrauisch. „Du riechst aber verdächtig nach dem Zeug, mit dem sich mein Bruder immer einnebelt.“
„Ja, das Zeug ist echt brutal, was?“ Svenja tat arglos und ergriff die Hand ihrer Freundin, um mit ihr ins Obergeschoss zu gehen. „Man braucht nur in Patricks Nähe zu kommen und alles stinkt danach.“
„Ich sehe dann nach dem Mofa“, drang Patricks Stimme von unten zu ihnen.
„Na, komm, Süße, mein großer Bruder ist beschäftigt und stört uns eine Weile nicht.“ Kim schob die Freundin in ihr Zimmer. „Ich hab neue Downloads und das Paket vom Versand ist auch gekommen.“
Kim ging zu ihrem Computer und rief eines der Programme auf.
„Hammer.“ Svenja scrollte durch die Musikdateien, die sich auf dem Rechner befanden. „Wie bist du da dran gekommen?“
Kim Weber sah ihre Freundin mit einem Augenzwinkern an. „Mein großer Bruder kann zwar eine reichliche Nervensäge sein, aber von Computern versteht er was. Der hatte mir das ruckzuck gehackt.“
„Echt korrekt. Das können wir gleich auf meinen Stick ziehen.“ Svenja zuckte zusammen, als an der Tür ein Geräusch zu hören war und wechselte in ein anderes Programm.
„Keine Panik“, meinte Kim. „Das ist bestimmt Patrick. Wenn du in der Nähe bist, ist der auch nicht weit.“ Sie kniff ihre Freundin. „Ich wette, der ist noch immer in dich verknallt.“
„Blödsinn. Dein Bruder will allen Perlen an die Wäsche und nicht nur mir.“
„Zugegeben“, Kim lachte fröhlich, „er ist ein bisschen gamsig. Aber so war er schon, seit er den Unterschied zwischen Jungs und Mädels begriffen hat.“ Sie legte einen Finger an die Lippen und schlich auf Zehenspitzen zur Tür hinüber.
Svenja begriff, was die Freundin vorhatte und begann über ihre Lieblingsgruppe zu erzählen, bis Kim an der Tür war und diese unvermittelt aufriss.
Patrick, der halb gebückt hinter der Tür gestanden hatte, richtete sich errötend auf.
Kim stemmte die Hände in die Hüften. „Na, du Spanner? Alles mitbekommen?“
„Ich habe nicht gespannt“, knurrte ihr Bruder. Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. „Außerdem gibt es bei euch Hühnern eh nichts zu sehen.“
„He!“ Svenja sah ihn empört an.
„Zieh Leine und nerv uns jetzt nicht.“ Kim drückte ihrem Bruder einen flüchtigen Kuss auf die Wange, drehte ihn herum und schob ihn von der Tür fort. „Du wolltest doch nach Svenjas Mofa sehen. Oder bist du schon fertig?“
„Ich brauch den Schlüssel. Ohne den geht nix.“
Kim sah zu Svenja, die zog den Schlüssel aus der Jeans und warf ihn Patrick zu, der ihn geschickt auffing.
„Und?“ Er hob eine Hand und machte eine reibende Bewegung mit zwei Fingern. „Was kriege ich dafür?“
„Einen Kuss“, sagte Kim rasch und beobachtete vergnügt, wie Svenja errötete.
„Ist gemacht.“ Patrick lächelte und machte sich daran, zur Treppe zu gehen.
„Aber von mir“, ergänzte Kim, bevor sie die Tür auflachend ins Schloss drückte.
Svenja setzte sich auf Kims Bett. „Hast du alle Sachen bekommen?“
Kim nickte und deutete unter ihr Bett. „Alles da. Mama hat fast einen Anfall bekommen, als ich so viel bestellt habe. Hat sich erst beruhigt, als ich ihr sagte, dass ein paar Sachen für dich sind. Mensch, du solltest wirklich öfter raus. Du hast doch den Führerschein, warum besorgst du dir nicht einen schnuffigen Wagen, dann könnten wir auch ohne meine Erzeuger in die Stadt rauschen.“
Svenja schüttelte den Kopf. „In einem Jahr bin ich Werbegrafikerin und ich weiß noch nicht, ob die Chefin mich nach der Ausbildung behält oder ob ich mir dann woanders einen Job suchen muss. Vielleicht muss ich nach Köln oder Düsseldorf ziehen und dann brauche ich die Kohle. Eine eigene Wohnung in der Stadt ist teurer, als hier bei uns.“
Kims Stimmung trübte sich sofort ein. „Die Vorstellung, dass du hier wegziehst, gefällt mir gar nicht.“
„He, es ist ja nicht so, dass ich morgen bei Paps ausziehe.“
Früher oder später würden sich ihre Wege trennen und dann musste die räumliche Entfernung ihre Freundschaft auf die Probe stellen. Die Aussicht gefiel ihnen beiden nicht und Svenja schüttelte die unerfreulichen Gedanken ab und wies auf den Versandhauskarton neben Kims Bett.
„Na, komm schon“, sagte sie mit erzwungener Fröhlichkeit, „zeig Mal her, was du an Beute gemacht hast.“
Kapitel 11
Der Hof von Bauer Wolicek war schon sehr alt. Damals hatte er weit abseits der ersten Häuser gelegen, nun lag er direkt am Ortsrand und war das letzte Gebäude am Ziegenbendges Weg, wenn man von der Rangerstation absah. Wolicek hatte nichts gegen Ranger Turner, aber die Station war ihm ein Dorn im Auge. Die Dorfbewohner hatten sich längst daran gewöhnt, dass die Milchkühe des Landwirts zur festen Einwohnerschaft gehörten und sich wenig an Verkehrsregeln und Straßenbegrenzungen hielten. Aber wegen der Besucher des Naturparks und vor allem der neuen Rangerstation Wolfgarten, musste Wolicek seine Kühe nun im Zaum halten. Der Verlust einer guten Milchkuh, verbunden mit erheblichem Blechschaden an der Limousine eines Parkbesuchers, hatte ihn schließlich von der Notwendigkeit überzeugt.
Der Hof schien sich seit der Zeit seines ersten Eigentümers kaum verändert zu haben. Hauptgebäude und Stall waren bestes Fachwerk. Solide Balken, zwischen die man eine Mischung aus Lehm und Stroh gestopft hatte. Die Balken waren inzwischen Dunkel geworden und hatten im Laufe so vieler Jahre ihre Form ein wenig geändert. Das hatte dazu geführt, dass es im Haupthaus keinen wirklich ebenen Fußboden und keine absolut gerade Wand gab. Aber daran hatten sich Wolicek und seine Frau längst gewöhnt und wer sie besuchte, der bewunderte den Einfallsreichtum des Paares, seine Möbel in den kleinen Räumen unterbringen zu können.
Es war früher Morgen, die Zeit des Sonnenaufgangs und des Rituals, dass sich an fast jedem Tag auf gleiche Weise wiederholte. Albert, stolzer Hahn und Herr über eine stattliche Anzahl von Hennen, erschien im Durchschlupf des Hühnerhauses, spazierte die Leiter hinunter und scharrte mit einem Fuß im Boden, wobei er sein buntes Gefieder präsentierte.