Kreativer leben!. Nina Schaffrin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Schaffrin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783742791719
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jetzt zu schreiben? Bist du nervös? Dann schreibe "Ich bin nervös". Kommst du dir dumm vor? Schreibe "Ich komme mir dumm vor". Fällt dir nach diesem Satz nichts mehr ein? Schreibe "Jetzt fällt mir nichts mehr ein". Schreibe es hundert Mal wenn es sein muss, aber höre nicht auf zu schreiben bis dein Ziel erreicht ist. Ich

      garantiere dir, irgendwann kommt deine innere Stimme – die echte innere Stimme, nicht dein innerer Kritiker – durch dieses ganze Dickicht der Unsicherheit und brüllt: "Ich wünschte, mir fiele etwas ein, ich wünschte, ich könnte alles aufschreiben was ich denke und fühle, ich will gehört werden!" Denn wir alle wollen gehört werden. Und das Schreiben ist der stärkste und großartigste Weg dahin, denn wenn wir schreiben, sagen wir zu uns selbst: Was du zu sagen hast ist wichtig und ich höre dir zu. Und wenn wir das tun und diese Einladung aussenden, wird unsere innere Stimme frei zu sprechen lernen und das ist es, was man ein kreatives, erfülltes Leben nennt.

      Deshalb ist es so wichtig seitenweise Dinge zu schreiben, die sich vielleicht belanglos anfühlen. Ob du wirklich immer nur schreibst "Mir fällt nichts ein" oder ob du schreibst, worüber du dich auf der Arbeit geärgert hast – ganz egal, solange es das ist, was dich in diesem Moment beschäftigt. Stell dir deine innere Stimme als kleines Kind vor, das seinen Eltern am Abend erzählen will, was es alles im Kindergarten erlebt hat. Kleine Kinder können ewig über Kleinigkeiten sprechen, die uns ganz unwichtig vorkommen. Aber kämst du auf die Idee, ein kleines Kind anzubrüllen, es solle endlich mit dem Geschwätz aufhören und stattdessen einen pointierten Kommentar zur EU-Wirtschaft abgeben? Natürlich nicht. Also geh mit dir selbst auch nicht so um, nicht beim Schreiben und bitte auch sonst nicht.

      Ich lege dir dringend ans Herz, regelmäßig nach diesem Prinzip zu schreiben. Du kannst das in Form der Morgenseiten nach Julia Cameron tun und dir jeden Morgen eine feste Zeit zum Schreiben reservieren. Du kannst auch abends im Bett schreiben, in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit, im Büro auf dem Klo, ganz egal, aber schreibe. Gib dir selbst jeden Tag das Signal: Was du zu sagen hast ist wichtig und ich höre dir zu. Gib dir die Erlaubnis, jeden Mist, jede Belanglosigkeit, jeden Unsinn und jede Gemeinheit aufzuschreiben, die dir einfällt. Gib jeder Form von Widerstand, die in dir aufkommt, eine Stimme: der Unsicherheit, der Angst, dem Selbsthass, der Selbstkritik. Jeder einzelne dieser Gedanken wird sich zurückverfolgen lassen bis zu einem tief sitzenden Knoten, mit dem du einstmals deine Kreativität festgebunden hast. Wenn du ihn schreibend zurückverfolgst wirst du feststellen, wie sich dieser Knoten immer mehr lockert, bis er sich löst. Widerstände beim Schreiben müssen dir deshalb keine Angst machen und sollten dich auf keinen Fall dazu bringen, frustriert den Stift hinzuschmeißen und alles dranzugeben. Trage diese Kämpfe aus. Wenn dein innerer Kritiker sagt: Das ist doch alles Mist! frage zurück: Was daran ist Mist? Wenn er sagt: Was du schreibst ist unprofessionell und kindisch! frage zurück: Warum sollte ich professionell sein? Was gewinne ich dadurch? Was verliere ich durch Unprofessionalität? Und immer so weiter. Mit dieser Praxis wirst du jede kreative Herausforderung gehandhabt kriegen und vielleicht noch viele andere Probleme in deinem Leben. Deshalb kann ich dir nur dringend empfehlen: schreibe!

      Entweder das Schreiben macht dir Spaß oder du bist einer Goldader auf der Spur. Du kannst nur gewinnen! Das Ergebnis ist kein „Krieg und Frieden“ und wird dich vielleicht nicht auf die internationalen Bestsellerlisten bringen. Aber es bringt dich zum Schreiben und das ist das Entscheidende. Es bringt dich vorwärts. Wie gut kommt dein Erfolgsroman voran, wenn du gar nicht schreibst? Ganz genau. Dieses persönliche, authentische Schreiben aber bringt dich in Fluss, bringt dir ein Grundlevel an Produktivität, auf dessen Grundlage du aufbauen kannst. Vielleicht sogar den nächsten internationalen Bestseller, wer weiß.

      Eine andere Übung: Beschreibe mir, wo bist du jetzt gerade bist, was um dich herum ist und wie du gerade aussiehst – aber bitte mindestens auf drei verschiedene Arten. Such dir welche hiervon aus oder erfinde eigene:

       Schreibe so langweilig, wie du nur kannst.

       Schreibe so kitschig und klischeehaft, wie du nur kannst.

       Schreibe deinen Text als Twitter-Meldung mit maximal 140 Zeichen Länge.

       Schreibe gruselig, als handle es sich um eine Szene aus einem Horrorfilm.

       Beschreibe jedes Detail ganz genau.

       Beschreibe deine Szene, ohne dich selbst aktiv mit einzubringen (etwa: Der Kaffee wurde getrunken, das Buch füllte sich mit Zeilen, der Anruf wurde entgegengenommen).

       Tu so, als seist du eine Prinzessin, ein Piratenkapitän oder eine sprechende Maus und passe deine Szene entsprechend an ("Ich schreibe dies in mein goldenes Tagebuch...", "Ich schreibe dies auf dem Deck meines Schiffes, das nur Minuten von dem schweren Sturm entfernt ist, der es sicherlich zerschmettern wird. Der Kaffee ist passabel."). Bleib bei deiner Szene oder spinne die Geschichte so lange weiter, wie du magst.

       Beschreibe deine Szene, aber füge ihr eine Lüge deiner Wahl hinzu. Lüge glaubwürdig.

       Beschreibe dich selbst in deiner Szene auf überzogen verherrlichende Weise.

       Schreibe deine Szene aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers wie in einem Roman.

       Schreibe deine Szene aus der Perspektive eines Gegenstandes in deinem direkten Umfeld.

       Beschreibe deine Umgebung als seist du ein Mensch aus dem Mittelalter, der sich plötzlich hier wiederfindet.

      Siehst du, wie selbst die alltäglichste und ödeste Szene noch unglaubliches Potenzial zum Schreiben liefert? Und siehst du, zu wieviel zu in der Lage bist? Erzähl mir nicht, du könntest nicht schreiben oder du wüsstest nicht, worüber du schreiben solltest. Du kannst alles und alles andere sind nur Ausflüchte.

      Mein Rat lautet: Schreibe so viel und so oft du nur kannst. Nimm dir jeden Tag Zeit zum Schreiben und finde Wege, dich zu motivieren. Schreib mit rosa Tinte wenn das dein Ding ist, oder mit Bleistift oder mit einem teuren Füller. Übe auch dann, wenn du gerade nicht schreibst! Sieh dir deine Lieblingsautoren genau an, mach sie zu Vorbildern! Was gefällt dir an ihrem Schreibstil so gut? Imitiere sie oder füge zu ihren Geschichten Szenen hinzu, die abseits der Romanhandlung stattfinden könnten. Habe keine Angst, der Autor wird es nie erfahren und du darfst so schlecht und albern schreiben wie du willst. Das gleiche kannst du natürlich auch mit den Helden deines Lieblingsfilms oder deiner Lieblingsserie machen. Alles was in deinem Herzen ist, gehört dir und du kannst damit machen was du willst! Zumindest in deinem kleinen, geheimen Buch, das niemand ohne deine Erlaubnis lesen darf. Wenn du deine Sachen eines Tages veröffentlichen wirst, wirst du dich mit Urheberrecht und dem ganzen Zinnober auseinandersetzen müssen, aber an diesem Punkt sind wir noch nicht. Glück gehabt.

      Um eine regelmäßige Schreibpraxis aufzubauen, musst du dich nicht vor deine leere Seite setzen und verzweifeln, wenn dir nichts zu Schreiben einfällt. Schau einfach in dich hinein: was fühlst du, was liebst du, was hasst du? Das sind die Dinge, die nur du beschreiben kannst. Die von dir beschrieben werden wollen.

      Du stehst vor der völligen Blockade? Okay, hier ist eine Technik, die für viele ganz gut funktioniert. Sie heißt Clustering, aber du kennst das Prinzip vielleicht auch als Mind Mapping oder unter einem anderen sinnigen Begriff. Die Sache ist ganz einfach: Schreibe den Kernbegriff des Themas, über das du schreiben möchtest, auf die Mitte der Seite. Wenn du partout nicht weißt, worüber du schreiben sollst, nimm den Begriff "Blockade" oder einfach "Schreiben". Ziehe einen Kringel um das Wort und schreibe rundherum die nächsten Worte auf, die dir dazu einfallen. Denke nicht daran, was daraus für ein Text werden könnte, sondern dokumentiere einfach nur, was an Verbindungen und Assoziationen in deinem Kopf stattfindet. Beim Begriff "Schreiben" könnten das ganz triviale Folgebegriffe wie "Stift",

      "Papier", "Alphabet" und dergleichen sein, aber auch etwas wie "Rot" weil deine Schulaufsätze immer voller roter Anmerkungen deiner Lehrerin zurückkamen, oder "Schmerz", weil dir oft die Hand vom Schreiben wehtut. Mach dir keine Gedanken darüber, wie logisch die Verbindungen sind. Schreib die Begriffe auf, kringel sie ein und ziehe eine Linie zu deinem Kernbegriff, so dass sie wie Äste von einem Baum von ihm ausgehen (oder wie Wurzeln, wenn dir die Vorstellung lieber ist). Dann widmest du dich den Begriffen, die du gesammelt hast,