Wieder schmunzelte Sam: „Du brauchst unserem Gast auch nicht die Tür aufzuhalten, das macht der Hotelportier.“
Ich lachte. „Muss ich denn eine Chauffeurmütze tragen?“ - „Eine gute Idee, Jonathan. So eine Mütze würde schließlich etwas hermachen. Sehr gut, dass du so kreativ mitdenkst!“
Ich hätte mich für meine vorlaute Äußerung ohrfeigen können. Wenn Sam jetzt wirklich auf die Idee käme, dass ich so ein Ding tragen sollte ...
„Die Konzertprobe findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eigentlich sollen dann nur die Feineinstellungen für Sound und Licht durchgeführt werden ...“
„Soundcheck“, fiel ich ein.
„Genau, Jonathan, Soundcheck. Danach geht es wieder zum Hotel zurück. Diesmal direkt auf den Parkplatz. Schlensbow und sein Manager betreten das Hotel durch den Hintereingang und fahren dann mit euch beiden im Aufzug hoch. Zum Konzert geht es später auch durch den Hinterausgang wieder raus zum Wagen. Die Abfahrtzeiten bekommt ihr noch. Sowohl mittags, als auch abends parkt ihr direkt hinter der Bühne. Ihr begleitet Schlensbow zum Aufgang und haltet euch ab dort möglichst im Hintergrund. Beobachtet die Umgegend. Auch wenn nicht mit Gefahr zu rechnen ist - man weiß schließlich nie!“
Sam nahm einen Schluck Orangensaft. „Soweit also der grobe Plan. Genaue Zeiten bekommen wir noch vom Manager. Wann der Zug eintrifft, zum Beispiel. Und in der verbleibenden Zeit bis zum Konzert bringe ich euch noch Einiges über Personenschutz bei. Speziell auch Personenschutz in der Film- und Musikbranche. Macht euch also keine Gedanken, dass dieser Monat zum Urlaub für euch werden könnte!“
II.
Urlaub ... Da sprach Sam das richtige Thema an. Es schüttelte mich leicht, als ich an meinen letzten Urlaub zurückdenken musste.
Dass ich bei meinen Eltern wieder einziehen - nein, halt ‚lediglich übernachten‘ gibt es besser wider - durfte, geschah doch nicht ganz so selbstlos wie es zunächst schien. Jetzt stand ich wieder in der Verfügungsgewalt meiner Eltern und es dauerte nicht lange, da eröffnete mein Vater meiner Mutter und mir beim Abendessen: „Frieda, der Jonathan wird mit dir in Urlaub fahren.“ Nach diesen Worten schob er sich ein großes Stück Fleisch in den Mund und kaute zufrieden darauf herum.
Ich war perplex. Wieso sollte ich jetzt mit meiner Mutter in Urlaub fahren? Bisher war von so etwas nie die Rede gewesen. Überhaupt - früher fuhren wir doch immer alle zusammen in die Ferien. Aber früher war ich auch ein kleines Kind gewesen. Ich schaute meine Mutter fragend an.
„Walter, was soll das jetzt?“, erkundigte sie sich auch direkt, „wir zwei wollten doch zusammen fahren. Das haben wir doch schon groß und breit besprochen.“
Mein Vater kaute in aller Ruhe zu Ende, bevor er grinsend erläuterte: „Also. Zunächst hast du das besprochen. ‚Die Frieda und ihr Mann‘“, äffte er meine Mutter nach, „ich wollte nie diese blöde Städtereise machen. Das wolltest immer nur du.“
„Bildungsreise. Ein wenig Bildung kann dir ja nun nicht schaden. Die Frieda und ihr Mann haben diese Reise auch schon gemacht. Voriges Jahr und …“
Jetzt sah mein Vater mich an: „Siehst du, Jonathan. Die Frieda und ihr Mann. Und deswegen sollen wir jetzt auch so eine blöde ‚Bildungsreise‘ machen. Darum habe ich beschlossen, dass du, Jonathan, viel eher ein wenig Bildung gebrauchen kannst und Mutter an meiner Stelle begleitest.“ Zufrieden lehnte er sich zurück und pulte mit einem Fingernagel zwischen den Zähnen.
„Aber das geht doch nicht. Die Reise ist doch schon gebucht. Da kann doch nicht einfach jemand anderes mitfahren“, versuchte meine Mutter ihren Ehemann jetzt zum Einlenken zu bewegen.
Aber Vater winkte lediglich ab: „Ach, ist der Jonathan denn nicht auch ein Lärpers? Natürlich kann der für mich mitfahren. Das kommt mir sogar ganz gelegen, dann verpasse ich wenigstens nicht die zwei wichtigen Fußballspiele.“
Ich konnte sehen, dass meine Mutter den Tränen nahe war. „Aber ich habe mich doch so auf diese Reise gefreut.“ - „Du kannst dich ja auch weiter freuen. Schließlich sagen wir die Fahrt ja nicht ab. Und damit basta!“
Jetzt mischte ich mich ein, denn schließlich ging es ja um meine Person. „Will mich denn jemand auch einmal fragen, ob ich überhaupt verreisen möchte? Und um was für eine Reise handelt es sich denn?“
Mein Vater schaute zufrieden vor sich hin, während meine Mutter rasch einen Reisekatalog hervorkramte.
„Hier, Jonathan. Sieben Städte in vierzehn Tagen. Eine Städte - Bildungsreise. Zwei Tage in jeder Stadt. Feinste Hotels, eine angenehme Reisegruppe und das Ganze im klimatisierten Bus.“
„Alte Leute Reise“, warf mein Vater ein, „wen interessieren denn überhaupt diese ganzen Städte? Mir reicht es schon, wenn ich einmal nach Mönchengladbach muss. Eine Stadt ist wie die andere.“
„Das kannst du aber nicht sagen“, entrüstete sich meine Mutter, „Düsseldorf zum Beispiel bietet viele Sehenswürdigkeiten. Oder Köln, oder …“
„Ja, ja, ja“, unterbrach sie mein Vater, „Jonathan fährt mit und damit Ende der Debatte. Schließlich wohnt er hier und kann auch einmal etwas für seine Familie tun.“
Betreten schauten meine Mutter und ich uns an. Natürlich dürfte ich keinen Rückzieher machen, dann käme Mutter gar nicht zu ihrer Reise. Aber sieben Städte in vierzehn Tagen? „Und wo geht die Reise so hin?“, fragte ich.
„Wir starten in Düsseldorf. Dorthin müssen wir allerdings selbst anreisen. Aber das ist von hier aus ja kein Problem ... Dann geht es weiter nach Köln, Frankfurt, Dresden, Berlin, Hamburg und Düsseldorf.“
„Das sind nur sechs Städte“, stellte ich fest.
„Wieso sechs?“ Meine Mutter zählte die Stationen an ihren Fingern ab. „Ich zähle sieben.“ - „Düsseldorf ist doppelt“, erläuterte ich.
„Das stimmt. Aber am ersten Tag wird die Altstadt besucht und nachher die Königsallee.“
Ich ahnte Schlimmes. „Das sind die Ziele? Altstadt und Kö? Nicht nur, dass wir die ja zur Genüge kennen. Das scheinen mir aber nicht wirklich die Ziele mit Bildungsanspruch zu sein.“
Jetzt mischte sich mein Vater ein: „Du hast ja keine Ahnung, Junge. Bist du überhaupt schon einmal mit offenen Augen durch die Düsseldorfer Altstadt gegangen? Da kannst du nun wirklich nicht mitreden. Außerdem wird der Reiseveranstalter schon wissen, was gut ist. Schließlich war die Reise ja auch teuer genug - ist ja eine Bildungsreise mit deutschsprachigem Reiseführer.“
„Deutschsprachig, aha.“ Mühsam verkniff ich mir ein Lachen. „Gut, dass der Mann nicht chinesisch spricht.“
Ich ignorierte den drohenden Blick meines Vaters. „Mach du dich auch noch lustig darüber. Dabei kannst du mir dankbar sein, dass du mir die Reisekosten in Raten zurückzahlen darfst.“
Ich war perplex. Sollte ich diese Reise jetzt auch noch selbst bezahlen? Ich besaß doch momentan ohnehin kaum einen Cent. „Ich soll diese Reise auch noch selbst bezahlen? Ich habe doch sowieso kein Geld! Und was soll das denn kosten?“
„Deswegen kannst du mir deine Schulden ja in Raten zurückzahlen. Ich denke, du hast ab dem Ersten Achten einen Job in diesem Sportstudio?“
„Ja, habe ich auch. Also, wie viel?“ - „Zweit... achtndet“, nuschelte mein Vater.