„Da wird er sich freuen, wenn er aufwacht und in den Spiegel schaut“, grinste Millie, als wir Erics Haus verließen und uns auf den Heimweg machten.
„Bist du den anhänglichen Typen losgeworden?“, fragte ich belustigt.
Millie verdrehte ihre Augen und stöhnte genervt. „Ich hab mich ungefähr eine halbe Stunde auf dem Klo eingesperrt, damit er dachte, ich wäre schon weg“, meinte sie, „aber es hat nicht geklappt. Er hat mich kurz darauf wieder gefunden und verfolgt.“
Ich lachte. „Du armes begehrtes Mädchen.“
„Man hat’s nicht leicht im Leben“, grinste Millie achselzuckend. „Also bis Montag“, sagte sie an der nächsten Kreuzung, wo sie nach links und ich nach rechts musste.
„Bis dann“, entgegnete ich, winkte ihr noch einmal zu und ging alleine weiter.
Bereits nach wenigen Schritten hatte ich das ungute Gefühl, jemand würde mir folgen, doch jedes Mal, wenn ich über die Schulter sah oder mich ganz umdrehte, war niemand zu sehen. Trotzdem kam es mir so vor, als würde mich jemand beobachten, obwohl ich keine Ahnung hatte, woher dieses Gefühl kam.
Als ich in unsere Wohnsiedlung kam, glaubte ich zweimal, näher kommende Schritte hinter mir zu hören, aber es war keine Menschenseele zu sehen.
Mit schnellen Schritten und rasendem Herzen ging ich weiter und fragte mich dabei unwillkürlich, woher diese plötzliche Paranoia kam. Ich war auch früher schon spät abends alleine nach Hause gegangen und hatte bisher nie etwas Unheimliches erlebt oder Angst gehabt. Hatte das etwa mit der Begegnung dieses mysteriösen Jungen und seiner Rettungsaktion zu tun?
Jetzt dachte ich schon wieder über ihn nach!
Genervt schüttelte ich den Kopf, um ihn aus meinen Gedanken zu vertreiben, doch es gelang mir nicht; er blieb hartnäckig anwesend, vor meinem geistigen Augen sah ich die Explosion und wie er mich vor der drohenden Feuerwelle beschützt hatte, wobei seine blauen Augen mich durchbohrten.
Schnellen Schrittes ging ich die Straße, in der wir wohnten, hinauf, vorbei an den immer größer und protziger werdenden Villen; wir lebten in einem sehr reichen Wohnviertel, das sich vor allem durch unnötig große und teure Villen und unfreundliche arrogante Nachbarn auszeichnete.
Schließlich kam ich vor unserem Haus an, einer großen, im mediterranen Stil erbauten Villa. Unser Grundstück war von einem hohen massiven Eisengitterzaun umgeben, deshalb musste ich kurz an dem großen Tor vor der Einfahrt stehen bleiben, um den Sicherheitscode einzugeben. Das Tor schwang auf und ich trat hindurch auf unser Grundstück. Als ich an unserer Haustür ankam, hielt ich inne und blickte mich noch einmal um.
Das Tor schloss sich hinter mir bereits wieder, aber für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich zu sehen, wie jemand schnell hinter der Hecke auf dem Nachbargrundstück verschwand. Und obwohl ich diesen Jemand nur einen Augenblick lang gesehen hatte und ich mir fast sicher war, dass es sich wieder um eine Halluzination handelte, hätte ich schwören können, dass es der Junge aus dem Einkaufszentrum gewesen war …
3
Den Sonntag verbrachte ich damit, mir fast pausenlos Gedanken über den Jungen zu machen. Wieso hatte er mich an dem Springbrunnen im Einkaufszentrum so eindringlich angeschaut, wieso hatte er kurz darauf nicht mehr auf der Bank gesessen, woher hatte er von der Explosion wissen können, wie um alles in der Welt hatte er mich retten können und wieso hatte er sich danach innerhalb weniger Sekunden aus dem Staub gemacht, ohne auch nur ein einziges Wort zu mir zu sagen? All diese Fragen huschten ununterbrochen durch meinen Kopf und allmählich bereiteten sie mir Kopfschmerzen.
Ich dachte auch daran, dass ich ihn mir gestern Abend zweimal eingebildet hatte, obwohl diese Halluzinationen äußerst real auf mich gewirkt hatten. Doch wieso sollte er auf Erics Party gewesen sein und wieso sollte er mich auf meinem Heimweg heimlich verfolgt haben? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn, ich musste es mir eingebildet haben.
Als ich am Sonntagabend mit Mama und Steven die Nachrichten schaute, wurde auch die Explosion in dem Einkaufszentrum erwähnt; allerdings schien es noch keinerlei Erklärung dafür zu geben. Es wurde berichtet, dass weiter eifrig nach einer Ursache gesucht wurde und dass es „an einer Wunder grenzte“, dass sich niemand dabei verletzt hatte.
Wieder dachte ich an den Jungen, der dieses „Wunder“ vollbracht hatte und fragte mich unweigerlich, ob ich ihn jemals wieder sehen würde.
In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig; immer wieder tauchte der wunderschöne Junge mit den unglaublichen blauen Augen in meinen Träumen auf. Entweder starrte er mich einfach nur an oder er stürzte sich auf mich und rettete mich vor einer Lawine aus Schuhen, manikürten Fingernägeln und Tequilagläsern.
Am Montagmorgen war ich ziemlich durch den Wind und brauchte etwas länger als normalerweise, um mich fertig für die Schule zu machen.
Als ich schließlich fertig war, verabschiedete ich mich von meiner Mutter (Steven war schon längst auf der Arbeit) und verließ unser Haus.
Ich stieg in den silbergrauen Audi A1, den Steven mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte und fuhr aus unserer Einfahrt hinaus. Während ich das Auto vom Hof hinunter bugsierte, dachte ich nach wie vor über den Jungen nach. Das große eiserne Tor schloss sich wieder hinter mir, als ich den Hof verlassen hatte. Ich wollte gerade losfahren, die Straße hinunter, als urplötzlich ein großer schwarzer Geländewagen aus der Einfahrt unserer Nachbarn kam und ich nur durch eine Vollbremsung einen Zusammenstoß verhindern konnte.
Den Fahrer konnte ich nicht sehen, doch ich drückte zweimal wütend auf die Hupe, um ihm klar zu machen, dass er mich zu Tode erschreckt hatte. Er reagierte nicht darauf, sondern fuhr vor mir auf die Straße und brauste dann davon.
Ich schloss für einen Moment die Augen, um mich von meinem Schreck zu erholen, dann stöhne ich genervt und schüttelte missbilligend den Kopf. Als ich weiterfuhr, war der Junge erstmals aus meinen Gedanken vertrieben. Stattdessen ärgerte ich mich weiter über den Nachbarn, der mich fast plattgefahren hätte.
Unglücklicherweise war unsere Wohngegend voller solcher Idioten; in unserer Nachbarschaft lebten nur reiche arrogante Schnösel, die niemanden außer sich selbst leiden konnten und glaubten, die Welt drehte sich bloß um sie, wie das Exemplar, das mir soeben die Vorfahrt genommen und beinahe mein geliebtes Auto zerstört hätte.
Im Vorbeifahren warf ich einen Blick auf das Haus, aus dessen Einfahrt der Geländewagen gekommen war. Das Haus hatte in den letzten paar Wochen leer gestanden, doch ich wusste von meiner Mutter, dass dort dieses Wochenende endlich wieder Leute eingezogen waren.
Offenbar genau die richtige Sorte für unser Wohnviertel, dachte ich genervt.
Ich fuhr unsere Straße hinab an den ganzen furchtbaren Villen vorbei. Je weiter ich wegfuhr, desto kleiner und gewöhnlicher wurden die Villen.
Schließlich hielt ich vor einem großen modern geschnittenen Haus, dessen Fassade aus außergewöhnlich vielen Panoramafenstern bestand, drückte einmal kurz auf die Hupe und wartete, bis Eric herauskam, damit wir gemeinsam zur Schule fahren konnten. Eric wohnte am Rand unserer Wohnsiedlung, weshalb ich auch gut zu Fuß von ihm nach Hause gehen konnte.
Es dauerte nicht lange und er sprang die Steintreppe vor dem Haus hinunter und stieg zu mir ins Auto.
„Hey Kleine“, sagte er und ich drückte wieder aufs Gaspedal.
„Hey“, erwiderte ich lächelnd, während ich mich in den morgendlichen Berufsverkehr einfädelte.
„Danke für die Clownsvisage übrigens“, sagte Eric und verengte seine Augen zu Schlitzen. „Ich vermute einfach mal, dass ich die dir verdanke?“, fügte er sarkastisch hinzu.
Ich