Täubchen alla Boscaiola. Martin Schlobies. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Schlobies
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742794741
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vor die Tür trat, herrschte schon das sanfte Licht der Abende hier. Die von der tief stehenden Sonne seitlich beleuchteten Grasflächen lagen wie mit goldenem Sand überzuckert, und zwischen den Pinien, am westlichen Himmel, zeigten sich die ersten zarten Farben des Abendrots, gelblich, orange, gold; während oben zwischen den Kronen der Bäume noch das tiefe dunkle Blau des südlichen Himmels leuchtete. Und nun wurde auch sie selbst innerlich langsam ruhiger, in ihrem hübschen Kleid, mit den eleganten Schuhen, geschützt durch ihre Rüstung aus Schminke, Puder und Lack.

      Behutsam ging sie durch den Garten; und da lag er, ihr Raphael, zwischen den Pinien, auf einem Liegestuhl. Er war also schon zurück von seiner täglichen Fahrt, und genoß offenbar den warmen, stillen Abend. Als er sie kommen sah, sprang er auf und lief ihr entgegen. Kaum wagte sie ihn anzuschauen, so verlegen war sie, und wußte nicht, wie es nun weitergehen sollte, - und sie war doch schon erwachsen!

      Raphael brach zuerst das Schweigen,

      „Ah, da bist du ja!“ Er sah sie prüfend an. - Warum sagte er nichts? - Schließlich lächelte er, „Und so schön gemacht!“ Pauline wurde es heiß, sie fühlte, wie sich ihre Wangen röteten,

      „Die ewige Arbeitskleidung ist langweilig geworden . . . “, murmelte sie kaum hörbar, „Leg dich wieder hin, ich setze mich daneben!“ Doch er schüttelte den Kopf,

      „Nein, nein, ich mag nicht mehr liegen!“

      „Was hast du gemacht, den Tag über?“, fragte sie, „Wo warst du?“

      „Ich war in Catania, bei der Bergbaubehörde.“

      Und er begann, von Catania zu erzählen. Sie sah ihn immer nur an und sagte ab und zu:

      „Achso! Ja, ich verstehe!“ Er blickte sie mit großen Augen an. Warum war sie in Gefahr, in die tiefen Brunnen dieser warm blickenden Augen zu fallen?

      Sie lehnte sich an einen Stuhl, hielt sich dort fest, ihr war plötzlich schwindlig.

      „Du bist blaß, ist dir nicht gut?“, fragte er.

      „Nein, nein! Es ist alles in Ordnung!“

      „Weißt du was?", sagte Raphael unvermittelt, „Wir gehen jetzt essen, aber nicht hier! Wir fahren an die Küste zum Essen. Ich kenne dort ein gutes Restaurant direkt am Meer, etwas oberhalb der Küstenstraße.“

      11. Kapitel

      Das Restaurant zu dem sie fuhren, war ein kreisrunder Pavillon-Bau mit einer zum Meer gewandten Front ganz aus Glas. Es war voll besetzt, und sie blieben unschlüssig an der Tür stehen. - War denn wirklich nichts frei? - Dort! Ein Paar erhob sich und ging. Und da kam auch schon der Kellner. Er begrüßte sie beide wie alte Bekannte, führte sie an das runde Tischchen, das frei geworden war, direkt vor der Fensterfront,

      „Schauen Sie, extra für Sie, der Tisch in der Mitte mit der besten Aussicht!“

      Vor ihnen lag weit und beruhigend das Meer, ohne Begrenzung, ohne Küste, ohne Ende. Der Himmel war klar und hell, nur am Horizont gab es einige flache graublaue Schatten. Schwärme von Seeschwalben jagten niedrig über den Wellen dahin. Vom Meer stieg das bläuliche Licht des frühen Abends zu ihnen hoch.

      Der Pavillon war heiß, durch die Sonne überwärmt, doch ab und zu wurde eine Tür geöffnet und ein Luftzug wehte erfrischend herein und brachte von außen den Geruch trockenen Grases und von Kräutern und Pinien.

      Der Kellner räumte den Tisch ab. Sie konnten bestellen. Raphael durchblätterte flüchtig die Karte und fragte:

      „Haben Sie Täubchen alla Boscaiola?“ Der Kellner seufzte und gestand:

      „Nein! Ich bedauere unendlich! Wir haben heute keine Täubchen im Haus. - Ich kann Ihnen nur Huhn anbieten, ähnlich zubereitet. Wie wäre es damit? Mit Speck und Rosmarin und Salbei gebacken. Nun?“ Doch Raphael bestand auf seinen Täubchen, und da es die nun einmal nicht gab, bestellte er Antipasti und gefüllte Calamare.

      „Täubchen alla Boscaiola!“, fragte sie, „Was ist das für ein Gericht?“

      „Oh, das Köstlichste, was ich je in Sizilien gegessen habe. Mit Speck und Rosmarin und Salbei gebackene Täubchen. Ich habe es ein einziges Mal vorgesetzt bekommen, bei meiner letzten Reise hierher, in einer kleinen Trattoria in einem Drecksnest irgendwo am Meer, - seitdem nie wieder. Nirgendwo sind sie zu haben, diese wundervollen würzigen Täubchen.“ Er machte dabei ein so betrübtes Gesicht, wie ein Pater, dem man diese Täubchen alla Boscaiola gerade vom Teller gestohlen hatte, und sie mußte lachen.

      Die anderen Menschen im Restaurant, erst jetzt nahmen sie es wahr, verbreiteten ein leises an- und abschwellendes Gemurmel, eintönig wie an einem Strand das Klacken und Klicken der Kiesel, die von den Wellen hin und her geworden werden. Und von draußen kam ganz leise das Rauschen des wirklichen Meeres.

      Der Kellner brachte das Wasser und den Wein.

      „Salute!“, sagte Raphael, hob das Glas, und sie tranken sich zu.

      Raphael erzählte von seiner Arbeit, Pauline versuchte zuzuhören, trank Wein, doch zu schnell und zu viel, strich sich ab und zu die Haare zurück und verschränkte die Finger, bis sie ihr wehtaten. Ihre Augen brannten plötzlich, doch sie konnte nicht an ihnen reiben, um die Schminke nicht zu verwischen. Raphael mußte etwas bemerkt haben,

      „Bist du müde?“, fragte er, „Hast du zuviel gearbeitet heute?“

      „Vielleicht.“

      Raphael überlegte eine Weile. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, dann wurde er wieder ernst, ergriff ihre Hand und fragte sie rundheraus:

      „Sag mir einmal! Warum arbeitest du soviel? Warum bist du nicht zufrieden mit dir, so wie du bist? - Mir gefällst du jedenfalls auch ohne Zeichenstift oder Meißel.“

      „Was meinst du?“, erwiderte Pauline irritiert.

      „Ihr modernen Frauen seid wirklich geplagt! Ständig müßt ihr euch suchen oder finden! Warum müßtihr euch denn alle selbst verwirklichen? Und vor allem wohin? - Denn das Ziel dieser Selbstverwirklichung ist ja völlig unklar! - Nun habt ihr armen Frauen den Fluch, unter dem die Männer heutzutage leiden, auch auf euch gezogen, den Fluch der Männer, die sich ja ständig etwas beweisen müssen.“

      „Es gibt nichts Wichtigeres, als die Kunst;", sagte sie, um etwas darauf zu antworten, „sie ist eine Aufgabe, die ich mir nicht ausgesucht habe!“ Raphael sah sie überrascht an und dachte eine Zeitlang nach.

      „Nein! - Die Menschen sind wichtiger als jede Kunst!“, sagte er - dieser Ingenieur! „Aber ich bewundere dich wirklich!“, fuhr er fort, „Ich bewundere dich und ich mag deine Bilder und deine Skulpturen!“

      „Du bist kein Künstler!“, sagte Pauline leise. Sie war plötzlich ganz erschöpft und mutlos geworden, „Du verstehst ihr Drama nicht, - du verstehst mich nicht!“

      „Nein, ich bin Ingenieur, es gibt kein Drama des Ingenieurs!“ Es klang bescheiden, doch dann fügte er hinzu: „Gott sei Dank!“

      „Ich kann nicht mit jemand die Ferien verbringen, der sich bloß verirrt hat zu mir.“ Diese Worte waren ihr nur herausgerutscht, und sie schämte sich, sie gesagt zu haben.

      „Was meinst du?“, fragte er betroffen.

      „Du lebst nicht in dieser Zeit“, sagte sie und war plötzlich erbittert, „Du hast dich hierher verirrt, du tust, als ob du ein moderner Mensch wärst, aber in Wirklichkeit lebst du in der Technik, in der Vergangenheit, in einem ganz anderen Kunstbegriff!“

      „Ich lebe, wenn ich dich sehe,“, sagte er, und seine Stimme klang so ehrlich, daß sich ihr Herz vor freudigem Schreck zusammenkrampfte, „sonst lebe ich überhaupt nicht, ich habe noch nie gewußt, was das Leben ist. Ich habe immer nur das Leben gespielt. Oder gearbeitet. - Jetzt sehe ich dich; das Leben suche ich bei dir, - aber ich kann nicht daran glauben, daß du es mir geben wirst, - ich wage es nicht einmal zu hoffen!“

      Erschrocken