Curry, Senf und Ketchup. Friedrich Wulf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Wulf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847672227
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etwas auf seinen Notizblock, riss den Zettel ab und reichte ihn Berger.

      „Heugabel“, rief Max, „du bist ja ein…, ich habe es doch immer gewusst. Wofür hat man denn Freunde?“

      „Dass sie nicht die Wahrheit sagen, ist erste Freundespflicht“, sagte Heugabel.

      Natürlich wusste Max, dass er nicht hoffen durfte, hier sprechende Spuren zu finden, flehte aber noch mal: „Ich will Spuren, Spuren und noch mal Spuren.“

      Nicht nur der Betrogene weiß als Letzter, was die schwatzenden Spatzen längst von den Dächern tschilpen, auch den eigenen Spitznamen erfährt man erst, wenn er schon aus der Mode gekommen ist. Das war anders im Falle Spuren-Bergers, der von Anfang an seinen Spitznamen kannte. „Denkt daran“, sagte er gern und lächelte, „alles ist vermittelt, auch die Spuren.“

      Fritz Zippel hatte sich mal den Spaß gemacht und gezählt, wie häufig er den Lieblingsspruch von Max im Monat ertragen musste. Fritz war geschädigt durch einen Geschichtslehrer, der es in einer Stunde auf 99 „nicht wahr“ gebracht hatte oder war es der Englischlehrer, der eimerweise den einen Tropfen Weisheit ausschenkte: „The future does not equal the past.“ Was immer das und Bergers Vernarrtheit in den Spruch „alles sei vermittelt“ bedeuten mochte. „Hegel“, so hatte Max einmal vielsagend hinzugefügt, aber das war in einer torkelnden Nacht um drei oder so, auch kaum zu hören, während eine alternde Combo spielte: „I’m not waiting on a lady, I’m just waiting on a friend.“

      Als Fritz am anderen Tag aufwachte und sein Kopf nach und nach durch den Dunst brach, meinte er sich zu erinnern, dass Berger ihm auf dem Heimweg erklärt hatte, was es mit der Hegelschen Vermittlung auf sich hatte. So sicher, wie man im Traum weiß, wirklich verfolgt zu werden, so sicher war sich Fritz in der Nacht alles verstanden zu haben, aber jetzt, jetzt war nix mehr da. Verdunstet, all das schöne Wissen! Tief, echt tief, hatte er noch gedacht. Vollständig kapierte man so etwas eben nur im Vollrausch. Doch so sicher und fest die Einsicht in der Nacht sich angefühlt hatte, es war nichts mehr da, Leere. Was so auch wieder nicht stimmte, denn die Leere war voller Kopfschmerzen. Wahrscheinlich vermittelt, dachte Fritz und musste auflachen, wodurch sein Herz augenblicklich schneller pumpte und eine Lokomotive polternd durch seinen Kopf dampfen ließ.

      „Spuren Berger“ las Max in den Augenwinkeln von Heugabel und meinte auch dessen Gedanken erlauschen zu können: „Hört, hört, unser Spuren-Berger ist selbst maulwurfsblind, erwartet aber, dass wir Spuren herbeizaubern, der Clown. Wenn du wüsstest, wie Recht ihr habt, dachte Max und blinzelte aus seinen wetterwendischen Augen.

      Sieben

       Die Pistole ist lebendig geworden in meiner Hand wie eine Eidechse, die sich aus der Hand winden will. Es war ruhig im Saal und auf den Stufen. Dunkelheit. Im Spot stand er, maliziös und bös. Er starrte mich an, er glotzte in die Dunkelheit zur Tür, durch die ich erschienen war. Wer im Hellen steht, kann im Dunkeln nichts erkennen. Angst stand in seinen Augen. Oder war es Neugier?

       Was würde ich darum geben, seine letzten Gedanken zu kennen. Hielt er das Ganze für einen Scherz seiner Studenten?

       Ob er meinen ausgestreckten Arm gesehen hat mit der Pistole auf seinen Kopf gerichtet, wie sie kribblig wurde in meiner Faust. Dann der Knall und sein Fall war erledigt. Ad Akta, finito. Liedvogel war ein Ex-Verderber, keiner mehr der Nebel in die Hirne bläst, keiner mehr, der die Wirklichkeit entwertet, keiner mehr, der die Symbole als Täter deklariert.

       Der Gang war leer und hinter mir im Hörsaal blieb es still, kein Tumult oder Aufschrei, als ob nicht nur Liedvogel an einen Streich geglaubt hatte, auch die Studenten. Oder waren sie zu perplex, um sofort zu reagieren? Ich konnte also ganz gemächlich die Treppe hinaufgehen und mich oben in der Halle vor der Bibliothek unters Volk mischen, wo Studenten schwatzten, als wäre nichts passiert.

       Ich bin überrascht, wie einfach es war die Grenzen der Welt zu verschieben. Der erste Vertreter der Weltminderer ist abgeschafft. Das ist doch was, oder?

       Der Anfang ist gemacht, aber es wird dauern, bis sie begreifen, gesetzt, dass sie begreifen.

       Wenn mehr Helligkeit in die Welt soll, dann müssen die lichtfressenden schwarzen Flämmchen der Verdunkler und Verdummer eben ausgeblasen werden.

       Die metallene Schwere der Pistole gab Sicherheit, fast schoss sie von allein. Das Medium ist die Botschaft, und die Botschaft der Pistole ist eben die Kugel, die schon das Ziel in sich trägt zu töten.

       Ich stand schon vor der Tür, als mich die kühle Luft und ein Gedanke umstimmten. Ich wollte mir das Spektakel ansehen, das jetzt schon im vollen Gange sein musste und schlenderte durch die Gänge zurück zum Hörsaal. Mit Schwung nahm ich die Stufen zur Bibliotheksebene, lehnte mich aufs Brüstungsrohr und blickte zum Eingang des Hörsaals, wo inzwischen Menschen herumstrudelten. „Da ist was passiert“, hörte ich eine Studentin hinter mir. „Ach ist nur ein Prof. Ist zusammengebrochen.“ „Ach so!“ „Wer ist es denn?“ „Weiß nicht.“

       Fünf Minuten später wurde der Eingang von zwei Polizisten freigemacht. Uns Neugierige auf der Aussichtsplattform ließen sie ungestört. Hinter mir änderten sich die Meinungen über den Auftritt der Ordnungsschaffenden. „Da ist einer erschossen worden.“ „Ach komm!“ „Doch doch, ein Prof.“ „Im Ernst?“ „Wer?“ „Liedvogel.“ „Liedvogel, du willst mich wohl verarschen.“ „Von wem?“ „Ein Mann mit Hut.“ „Hast du einen Mann mit Hut gesehen?“ „Trägt doch keiner mehr, Hüte sind out, seit Kennedy.“ „Wieso, seit Kennedy?“ „Der ist auch erschossen worden.“ „Was hat das mit Liedvogel zu tun?“ „Nichts!“ „Aber er hat die Hutindustrie ruiniert.“ „Liedvogel, wieso?“ „Nein, Kennedy.“ „Und deswegen ist er erschossen worden?“ „Nein, weil er zur Mafia gehörte wie Putin.“ „Der wird also auch erschossen.“ „Weiß nicht, lebt er noch?“ „Und Kennedy wurde erschossen, weil er keinen trug?“ „Ja, er hätte einen mit Panzerung tragen sollen.“ „Wurde er denn in den Kopf geschossen?“ „Ja, direkt in den Kopf, aus zwei Metern.“ „Das ist doch Unsinn, Oswald war weit weg.“ „Wer ist Oswald?“ „Na, der Mörder von Kennedy, der angebliche“. „Ich meinte Liedvogel, aus zwei Metern, ich hab’s von jemandem, der dabei war.“ „Was die Leute so erzählen.“

       Gütiger Gott, sei dank, dass ich umgekehrt bin, denn um nichts in der Welt hätte ich die Gespräche des intellektuellen Nachwuchses verpassen wollen und schon gar nicht den Auftritt meines künftigen Jägers. Ich hatte ja keine Ahnung, wen sie auf mich hetzen würden, erkannte ihn aber sofort an der Art, wie er sich Zugang verschaffte zum Hörsaal. War ja inzwischen von Polizisten abgesperrt. Fasziniert von den Gesprächen um mich herum, habe ich ihn leider zu spät gesehen. Würde sein Gesicht gar nicht wiedererkennen, aber jederzeit am Gang, wie er seine Storchenbeine aus den Hüften schwingt, als wollte er die Kniegelenke schonen.

       Aus der Menge heraus leuchtete wohl der lange schmale Kopf mit strohgelben Haaren. Dann war er verschwunden und ich wusste, dass er nicht clever genug war, nicht für mich. Niemand war raffiniert genug für mich. Und hinter mir zwitscherten die Studentinnen und Studenten ihre lustigen Liedchen über einen gewissen Ex-Professor Liedvogel.

      „Du kennst Liedvogel?“ „Klar, Medientheoretiker. Bei dem sind es die Medien, die alles machen.“ „Du meinst, sie machen die Menschen mürbe, bis sie gewalttätig werden wie der Hirni in Oslo. Zu viele Gewaltspiele am Computer.“ „Nein nicht so, die Medien machen das direkter, die Medien machen die Katastrophen.“ „Ich dachte immer die Menschen.“ „Schon lange nicht mehr, wo lebst du denn?“ „Verstehe ich nicht.“ „Das Fernsehen ist Bestandteil des Attentats“, sagt Liedvogel. „Ach was, CBS oder NBC, wer war es bei Kennedy?“ „Ich spreche nicht von Kennedy, sondern vom Elftenseptember.“ „Und das waren die Medien?“ „Ja, es wurden ja Symbole angegriffen, das World Trade Center und das Pentagon.“ „Ach so, wenn man’s so sieht, stimmt, hat was.“ Wer so was unter die Jugend masturbiert, ist nicht