Das Veteranentreffen. Peter Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847655077
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gez. Albert Green

      Ein prächtiger Abenteurer alten Schlages, hätte man meinen können (und so nahe dran am Schauplatz seiner machtpolitischen Fieberphantasien! – Bereich Ostasien, Schecküberweisungen … genauer gesagt: Taiwan und die Kurilen – das sind nur mal eben zehntausend Seemeilen). Wenn auch ein wenig närrisch, was sein politisches Urteilsvermögen anbelangte. Und von diesem Schlage war – eher knapp gerechnet – wohl mehr als die Hälfte in Aschs illustrem Agentenpanoptikum.

      Green kam gerade aus der Toilette, leicht hüstelnd und mit bebenden schneeweißen Nasenflügeln von der Feuchtigkeit draußen. Ich hörte förmlich schon seine krachenden Nieser.

      Aber noch unerträglicher waren jene Explosionen seiner Atmungsorgane, die er mit aller Gewalt und verrenkten Händen und Armen zu unterdrücken versuchte.

      Als er mich entdeckte, nahm er mich hinter die Säule an der Rezeption beiseite.

      „Also, Sander, ich denke, wir verplempern hier bloß unsere Zeit. Dieser Asch hat mich wahrhaftig gefragt, ob ich bereit sei, alles auszupacken, was ich über M15 weiß.“

      „Tatsache? Nein – Sie machen Scherze?“

      „Ein streng vertrauliches Gespräch unter vier Augen“, beteuerte er.

      „Und? Was haben Sie ihm geantwortet?“

      „Na, ob wir hier ‘n Veteranentreffen veranstalten würden oder eine neue Art von Fragestunde.“

      „Darauf er …?“, fragte ich.

      „Scheint mächtig viel Langeweile zu haben, der gute alte Asch. Er sagte, einzeln seien wir vielleicht bloß ‘n Haufen altes Eisen. Aber wenn wir unser Wissen in einen Topf würfen, könnte daraus …“

      „Ja?“

      „Tja … dann ließe sich daraus noch manches politische Süppchen kochen.“

      „Er führt also irgendwas im Schilde?“, fragte ich.

      „Na, Sie waren doch immer einer seiner engsten Vertrauten, Sander. So was wie ‘n guter Freund, wenn ich das richtig sehe. Sie müssten doch am ehesten wissen, was Asch mit uns vorhat?“

      „Nein, keinen Schimmer. Ich dachte, wir würden hier ‘n bisschen Ringelpiez mit Anfassen veranstalten. Aber bis jetzt hab ich außer den beiden Zimmermädchen noch nichts Weibliches zu Gesicht bekommen. Und die gehen auch schon locker auf die Fünfundsechzig zu.“

      „Arbeiten halbtags …“

      Er nickte wehmütig und strich sich resignierend durch die Mundwinkel. Der Gedanke an junges Gebein (Hotelfachschule und so weiter), das ihn umhegte und pflegte und ihm die Zigarettenasche vom Hosenbein klopfte, schien ihn für einen Augenblick seiner Fassung zu berauben.

      Die eine passt nachmittags auf ihre Enkelkinder auf, bei der andern machen’s die Gelenke nicht mehr. Wenn Sie sich abends eine Flasche aufs Zimmer kommen lassen wollen, müssen Sie dem Portier schon ‘n hübsches Scheinchen avisieren. Für Silbergeld macht er nicht mal den kleinen Finger krumm. Ich meine: immer vorausgesetzt, dass Sie ihn mit dem Telefon wach bekommen.“

      „Vielleicht sollte man rechtzeitig für Vorrat sorgen? ‘ne kleine Spritztour in die Stadt?“

      „Im Vertrauen gesagt …“ Green schob mich noch ein wenig weiter in den Schatten der Säule. „Asch zahlt unsere Rechnungen. Er sagt:

      ‚Macht euch hier ein paar schöne Tage auf meine Kosten. Freu mich riesig, die ganze alte Garde wiederzusehen.’ Und das allein, Sander …“ – Green hielt krampfhaft seine Hand vor den Mund, aber die Explosion blieb aus – „ist für mich schon ein Grund dafür, anzunehmen, dass mehr dahintersteckt als bloß dieses läppische Veteranentreffen. Wann haben wir Asch jemals so spendabel erlebt?“

      „Hat er denn gar nichts weiter verlauten lassen?“, fragte ich.

      „Doch. Er will beim Abendessen eine kleine Ansprache halten. Denke, dann wird er endlich mit der Sprache herausrücken.“

      „Na also“, sagte ich. „Dann warten wir’s doch einfach ab.“

       3

      Einige von ihnen waren zweifellos Heilige – beseelt von ihrer Mission. Und darunter verstanden sie wie in alten Zeiten: den freien Westen zu stärken, das liberale Lager in Schuss zu halten. Es gegen verknöcherte orthodoxe Marxisten und Leninisten zu verteidigen, die es auch nach den Reformen in der DDR immer noch gab … selbst wenn sich der Sozialismus jetzt so überaus jung und reformwillig gebärdete wie unter Gorbatschow.

      Ich sah Falkner in seinem chromglänzenden Rollstuhl um die Hallensäulen fahren, in der Mulde zwischen seinen Knien, die eine dünne beigefarbene Wolldecke bildete, zwei in Fettpapier eingeschlagene Bücher, und durch das durchsichtige Papier konnte man unschwer erkennen, dass er sich noch immer mit denselben Themen herumschlug wie ehedem:

      „Ist der Marxismus ein Humanismus?“ – Oder: „Lenin – Der gegenwärtige Stand der Dinge in der russischen Sozialdemokratie.“

      Er legte seinen ganzen Ehrgeiz darein, all die volltönenden Versprechungen und Prognosen mit alten Geheimdienstanalysen abzugleichen.

      Und Kuben war ein wandelndes Konversationslexikon der ehemaligen ostdeutschen Innenpolitik unter Honecker.

      Er wurde langsam wunderlich, seine Beine und Augen versagten den Dienst. Seine Stimme erinnerte frappierend an die Geräusche aus einer verstopften Wasserspülung. Aber ein Zitat wie:

      „Von großer Bedeutung waren auch die Beratungen des XII. Bauernkongresses, dem in allen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, sowie volkseigenen Gütern (VEG) Jahreshauptversammlungen und Rechenschaftsablegungen sowie Kreisbauernkonferenzen vorausgegangen waren“ ging ihm noch immer leichter von den Lippen als die Antwort auf die harmlose Frage, wo er sein gestreiftes Jackett gekauft hatte (bei Spandam’s, London, wie alle seine Jacketts).

      Er trug keine blauen Wollsocken mehr, sondern feine englische Strümpfe. Alles Englische war ihm ein Synonym für Gediegenheit, Lebenskultur, vor allem aber für Fairness. Natürlich zitierte er nur so glänzend, um sich anschließend hämisch darüber zu verbreiten, wie nichtssagend das alles war.

      Seitdem ihn ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ziemlich unsanft aus dem Dienst befördert hatte, trauerte er voller nie versiegendem Trotz den alten Zeiten nach. Seine Belesenheit diente ihm als Rechtfertigung, damit bewies er sich jeden Tag aufs Neue, dass er noch auf der Höhe war.

      Sein kleiner grüner Melonenkopf, viel zu unscheinbar für seine massige Gestalt, sann immer auf ein Comeback – sogar ganz ernsthaft, nach meinem Gefühl.

      Aber um ihn mit einer wichtigen Aufgabe zu betrauen, war er schon zu alt. Und man würde niemals vergessen, wie dreist und eigenmächtig er das politische Klima vergiftet hatte.

      Durch meine Arbeit als Arzt kannte ich seine Vergangenheit genauer als jeder andere, ich war mit der Untersuchung seines Falls beauftragt gewesen. Kuben hatte – ohne Auftrag und Rückendeckung – über seinen Hamburger Agentenring ein medizinisches Präparat in den Osten schmuggeln lassen – mit verheerenden Folgen in Moskauer Kliniken.

      Eigentlich hatte es nur jene Medikamente neutralisieren sollen, die Dissidenten und Andersdenkenden in den psychiatrischen Abteilungen der Sowjetunion unter dem wohlfeilen Signum ‚geisteskrank’ verabreicht wurden. Bis sich herausstellte, dass die Biochemiker wieder einmal zu früh grünes Licht gegeben hatten – dass es das Immunsystem schädigte.

      Kuben hatte versucht, den Teufel durch Beelzebub auszutreiben.

      „Sander …“, sagte eine Stimme hinter mir, die mich sofort an den Hindu erinnerte. Ich nannte ihn ‚den Hindu’, weil er sich von Müsli und Körnern ernährte und um jede Ameise am Boden einen weiten Bogen machte. Nichts Lebendes durfte zertreten werden.

      Die albern-freundschaftliche Art, wie er mir auf den Rücken zu klopfen pflegte, stand in krassem Gegensatz