Wir blieben mehrere Monate in diesem Törn, der uns allen sehr zusagte, und das nicht nur, weil wir regelmäßig – meist zum Löschen und Laden – den Heimathafen Emden anliefen, sondern auch wegen der lukrativen Schmuggelgeschäfte in den schwedischen Häfen. In Schweden war damals der Alkohol rationiert. Die Zuteilung beschränkte sich auf eine Flasche pro Mann und Monat. Nicht einmal Bier war davon ausgenommen. Wollten die Svenskas in einem Restaurant eine Flasche Öl (das schwedische Wort für Bier) trinken, war das nur in Verbindung mit einem Imbiss möglich.
Vor allem in Stockholm blühte der Handel mit zollfreien Spirituosen und Zigaretten, wobei letztere weit weniger gefragt waren als die Hochprozentigen. Zwar wurde seitens der Schiffsführung darauf geachtet, dass das Ganze nicht ausuferte, aber ich hatte jede Reise vier Flaschen billigen Weinbrand-Verschnitt und zwei Flachen „Hamburger Vorreiter“ – ein Kümmelschnaps – zur Verfügung, für die ein Hafenarbeiter anstandslos je 40 Kronen – umgerechnet 32 Mark – auf die Back blätterte. Noch größer war die Verdienstspanne beim „Eau de Vie“, den wir an Bord als „Rückwärtsbenzin“ bezeichneten. 24 Mark zahlten die Hafenarbeiter für eine Flasche, die im Freilager noch keine zwei Mark kostete. Das Geschäft lief so gut, dass ich mir schon nach der zweiten Reise in Stockholm eine Lederjacke kaufen konnte.
Für mein Schmuggelgut hatte ich zwei gute Verstecke. Bei beladenem Schiff wurde die Ware in zwei leere Farbeimer im Farbenstore unter der Back verstaut, und auf Ballastreisen leistete eine Pütz, die ich mit einem Fleischhaken an eine Eisensprosse im gefüllten Ballasttank hängte, gute Dienste. Beide Verstecke blieben bis zum Schluss unentdeckt.
Ein Risiko: die „schwarze Gang“
Die ganze Schmuggelei war natürlich mit dem Risiko verbunden, von der „schwarzen Gang“, den Zöllnern mit ihren blauen Overalls, geschnappt zu werden. Die Zollstrafen waren nicht von Pappe. Wenn ich mich recht erinnere, durfte man für eine Flasche Schnaps 250 Kronen löhnen. Im Wiederholungsfalle drohte sogar ein zusätzliches Landgangsverbot.
Meine Fahrzeit auf der KATHARINA DOROTHEA FRITZEN ging Mitte August 1954 zu Ende. Drei Monate später musterte ich auf dem Dampfer „ELIZA NÜBEL“ an.
Die „Emder Dampfercompagnie“ verfügte Anfang der 1960er Jahre über neun Frachter, davon sieben Seeschiffe in weltweiter Trampfahrt. Sie trugen alle den Namen „Emden“ als Heimathafen am Heck, und mehr als 300 Beschäftigte wurden vom Kontor in den oberen Räumen der Commerzbank aus gelenkt. Wilhelm Nübel hatte zusammen mit einem Partner die „Emder Reederei AG“, kurz ERA, 1919 gegründet. Nach einigen Problemen musste die ERA aufgegeben werden, und so wurde dann 1923 die „Emder Dampfercompagnie“ gegründet. Das erste Schiff hieß „RADBOD“. Später kamen die „WITTEKIND“ und die „TAGILA“ hinzu. Als Folge des 2. Weltkrieges gingen alle Schiffe verloren. Das erste Nachkriegsschiff mit 4.170 Tonnen war bei den Emder Nordseewerken gebaut worden und trug den Namen des Reeders „WILHELM NÜBEL“. Die „ELIZA NÜBEL“, 7.800 Tonnen tragend, kaufte man in England. Dieses Schiff machte erstaunliche Reisen. Einmal kam es mit Düngemitteln aus Durban in Südafrika nach Liverpool und musste gleich anschließend Nordostkurs fahren. Vorbei an der Eismeerinsel Nowaja Semlja ging es bis zum sibirischen Strom Jenisei, der vom Baikalsee kommt und 3.800 Kilometer lang ist. Hier fuhr man bis Igarka, um Holz zu holen, was aber nur von Juni bis September möglich ist, dann ist wieder alles vereist. Aber dieses Schiff kam heil zurück, wie alle, die nach dem Krieg unter der „Nübel“-Flagge mit den schräggestreiften Emder Farben fuhren. Bei der Emder Schiffswert Schulte & Bruns ließ man vier weitere Schiffe zwischen 1.280 und 1.600 Tonnen bauen. Das erste vom Stapel laufende Schiff war am 8. Juli 1952 die „BERNI NÜBEL“. Bis in den Anfang der sechziger Jahre wuchs die Flotte. Ab 1969 traten, wie bei anderen Reedereien auch, Probleme durch die internationale Frachtenlage ein, denn die Raten wurden bei ständig steigendem Schiffsraumangebot immer niedriger, und so musste man ein Schiff nach dem anderen verkaufen.
(Nach Wolfgang Gerth am 13. Februar 1992 in der Emder Zeitung)
Von Anfang Oktober 1954 meldete ich mich wieder auf dem „Heuerstall“, wie wir Seeleute die seemännische Heuerstelle in der Brückstraße nannten. Herr Obes war damals der Leiter. Außerdem waren dort Herr Vollrath und Fräulein Behrens beschäftigt. Matrosen wurden gesucht, erfuhr ich. Dagegen hatten Heizer und Trimmer kaum noch Chance, vermittelt zu werden, weil auf deutschen Werften Motorschiffe am laufenden Band vom Stapel liefen und viele Dampfschiffe inzwischen von Kohle- auf Ölfeuerung umgerüstet hatten.
Um bei Kasse zu bleiben und die Wartezeit zu überbrücken, kloppte ich erst einmal Schichten im Emder Hafen. Es dauerte aber nicht lange, bis ein Telegramm der Heuerstelle eintraf.
Als ich nicht sofort reagierte, erschien zwei Tage später der Reederei-Inspektor Eberhard Nannen von der Emder Dampfercompagnie höchst persönlich bei uns zu Hause. Das war zur damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches. Personalchefs anderer Emder Reedereien machten ebenfalls Haus- oder Kneipenbesuche, wenn sie Schwierigkeiten hatten, ihre Schiffe zu bemannen.
Offenes Geheimnis
Meistens waren diese von vielen fälschlicherweise als „Shanghaien“ bezeichnete Werbeaktionen von Erfolg gekrönt, denn es ist ein offenes Geheimnis, dass der in der Regel gutmütige Seemann ganz einfach nicht „nein“ sagen kann.
Ich selber machte da keine Ausnahme. Also packte ich meinen Seesack und fuhr mit dem Emder Matrosen Werner Voss zusammen mit der Bahn nach Kiel-Hotelnau, wo wir in der Schleuse auf dem Dampfer ELIZA NÜBEL einstiegen. Mit einem Matrosen namens Robby aus Eckernförde wurde ich zur 8-12-Wache eingeteilt.
Unser wachhabender Steuermann Ludwig Stühr kam ebenso aus Neermoor wie Kapitän Müller. Das Schiff kam von Stettin und hatte Kohle für Valencia im Bauch. Da das Franco-Regime zur damaligen Zeit keine Handelbeziehungen zu den Ostblockstaaten unterhielt, mussten in Holtenau erst einmal neue Ladungspapiere ausgestellt werden. Papier ist bekanntlich geduldig, und so löschten wir in Valencia Kohle, die nicht aus Polen, sondern aus Deutschland stammte.
Anschließend verholten wir nach Mellila, einem Hafen in Spanisch-Marokko, wo wir Erz für Stettin an Bord nahmen. Auf der Heimreise wurden wir im Oderhaff von einem russischen Eisbrecher auf den Haken genommen. Urplötzlich hatte der Winter zugeschlagen. Nach zwei Wochen Liegezeit in Stettin war die ELIZA NÜBEL wieder klar zum Auslaufen. 8.000 Tonnen Kohle für Barcelona hatten wir an Bord. Dieses Mal kamen in Holtenau nicht nur neue Frachtpapiere, sondern auch Passagiere an Bord. Es waren Kapitän a. D. Förschner, seine jüngere Tochter und Dr. med. Theo Eiben, ein bekannter Emder Arzt. Das Auto, mit dem sie von Barcelona aus die Heimreise antreten wollten, hievten wir in der Schleuse auf Luke Ill. Ich glaube, es war ein Opel Kapitän, den wir sorgfältig abdeckten, mit alten Schwimmwesten polsterten und seefest verzurrten.
Wie fast alle nach lern 2. Weltkrieg aus dem Ausland angekauften Kohlensteamer war auch die ELIZA NÜBEL ein gutes Seeschiff. Allerdings hatte der Dampfer eine Schwachstelle: die Ruderanlage. Das zeigte sich, als das Schiff in der Biscaya so richtig einen auf die Mütze kriegte. All hands an Deck! hieß es, als eines Nachts die Ruderanlage ausfiel, nachdem sich ein Bolzen aus dem Rudergestänge gelöst hatte. Immer wieder krachten Brecher über Deck, und wir standen bis zum Bauch im Wasser. Zwei Matrosen gelang es aber schließlich, mit dem auf dem Achterdeck installierten Notruder das Schiff wieder auf Kurs zu bringen.
Ausweichmanöver
Als sich das Wetter besserte, kamen auch die Passagiere wieder auf die Kommandobrücke. Besonders Dr. Eiben interessierte