Das Rührei schmeckte prima. Es war doch nicht so schlecht, dass die Hühner dageblieben waren.
Es war schon nach zehn Uhr, als wir beschlossen, ins Bett zu gehen. Ich stiefelte im Nachthemd in meinem Zimmer umher und freute mich über die Bilder, die ich bereits angebracht hatte. Die nächsten Wochen würde ich genießen könne, denn es waren Ferien. Ich ließ ich mich auf dem Bett nieder und schüttelte ausgiebig mein Kopfkissen. „Ah!!“ Was war das? Ich sah eine Gestalt an meinem Fenster und musste sofort an die Hexen denken. In Panik warf ich mein Kissen an die Scheibe. Es folgten ein Schrei und dann ein komisches Krachen. Mama stand sofort in meiner Tür. „Was ist!“, rief sie.
„Ich weiß nicht! Eine Hexe war an meinem Fenster.“
„Es könnte alles Mögliche gewesen sein. Aber eins ist sicher, eine Hexe war es nicht, also lass uns nachsehen!“
Meine Mama glaubt nicht an Hexen, Gespenster, Ungeheuer und Kobolde und was es sonst noch alles geben soll. Ich eigentlich auch nicht, aber in dem Moment war ich mir nicht ganz sicher gewesen. Ich klammerte mich an Mamas Rockzipfel und folgte ihr. Gelassen nahm sie ihre Taschenlampe aus der Schublade, dann gingen wir hinaus.
Die Leiter lag unterhalb meines Fensters in den Stachelbeeren und untendrunter lag eine Hexe. Quatsch! Anton war es. Er konnte sich nicht rühren, weil die Dornen vom Busch ihn so sehr stachen. Wir zerrten die Leiter beiseite und halfen ihm hoch.
„Was machst du hier!“, wollte meine Mama wissen. Ihre Stimme klang so bedrohlich, dass ich gleich mit zusammenzuckte.
„Och“, sagte Anton, „ich habe die Leiter gesehen und gedacht, wo geht es denn da hin?“
Mama rollte mit den Augen.
„Also, gut, es tut mir leid, ich wollte euch erschrecken und beweisen, dass es hier Hexen gibt. War ein dummer Streich, kommt nicht wieder vor.“
Mama griff sich an die Stirn. Anton senkte beschämt den Kopf. „Bitte erzählen Sie meinem Großvater nichts!“
Das war nicht nötig. Anton bekam seine Strafe auch so. Mama zog ihm unendlich viele Dornen aus dem Hinterteil. Schade, dass ich nicht zusehen durfte!
3. Hexengerede
Am Morgen wachte ich von einem lauten Hupen auf. Bestimmt ist wieder Stau vorm Haus, dachte ich und blinzelte verschlafen. Doch dann fiel es mir ein. Wir waren ja umgezogen und Stau auf dem Lande gibt es nicht. Was war das dann also? Ich stieg aus dem Bett, um nachzusehen. Mama schlief wohl noch. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst sieben Uhr war. Frechheit! Als ich aus dem Fenster sah, entdeckte ich ein weißes Lieferfahrzeug mit der Aufschrift Bäckerei Mehlwurm. Da es immer noch entsetzlich hupte, ging ich hinunter.
„Na, das wird ja Zeit!“, rief die Verkäuferin. „Ich habe doch nicht den ganzen Tag Zeit.“ Sie musterte mich eingehend. Beinahe versank ich vor Scham im Boden. Ich war nicht gekämmt und nicht gewaschen. Eine eilends übergeworfene Strickjacke verdeckte mein Nachthemd nur notdürftig.
„Dann will ich dir mal die Regeln erklären, junge Dame. Jeder kauft bei mir was, wenn ich komme. Ich fahre schließlich nicht umsonst durch die Gegend.“ Ihre Augen funkelten böse und sie schwenkte eine Gebäckzange hin und her, als wollte sie mich damit zwicken. Also nahm ich vorsichtshalber zwei Brötchen und ein Brot. Mama würde es schon recht sein. Das Problem war nur, ich hatte kein Geld dabei. Mir blieb nichts anderes übrig, als ins Haus zu gehen, um welches zu holen, auch wenn das bedeutete, dass die Verkäuferin noch länger warten musste. Endlich fand ich ein paar Euro auf der Garderobe.
„Na, wenn du so viel Geld hast, dann nimm doch noch einen Hexenhaufen!“
„Was!“ Ich glaubte, hier wären alle verrückt. Aber ein Hexenhaufen, so wurde mir grinsend erklärt, besteht nur aus einem Kuchenteig mit Nüssen, der von feiner dunkler Schokoladenglasur umhüllt ist.
„Klar“, kicherte ich. „Ich nehme einen für Anton.“
„Und weil alles so lange gedauert hat, bringst du dieses Brot zum Einsiedlerhof! Da spare ich mir einen Weg. Du kannst ja den da mitnehmen.“ Sie zeigte mit dem Finger auf Anton, der gerade mit einer Milchkanne, die aus dem Mittelalter stammen musste, über den Zaun geklettert kam.
Das Bäckerauto verschwand vom Hof und wir standen alleine da.
Die Milch war für mich, mit schönen Grüßen von Elfriede. Und weil Anton so nett war, lud ich ihn zum Frühstück ein. Mama stand schon in der Küche und kochte Kaffee. Der Lärm hatte sich doch geweckt.
Sie wollte mich erst nicht zu dem fremden Hof lassen. Mütter haben da ja immer passende Begründungen parat. Anton lief zur Bestform auf. Er versprach, mich zu begleiten und mich vor allen möglichen Ungeheuern zu beschützen und wie seinen Augapfel zu behüten.
Frisch gestärkt, das Brot unter Antons Arm geklemmt, machten wir uns dann auf den Weg zum Nachbarhof. Der Einsiedlerhof lag in einiger Entfernung. Aber es war kein anderer dazwischen, also war die Frau, die dort wohnte, unsere Nachbarin. Anton sagte, dass sie eine Geschichtenerzählerin ist. Frau Hinkebein freute sich über das Brot. Sogleich zog sie uns ins Haus. „Ihr habt doch Hunger?“ Ehe ich Nein sagen konnte, hatte Anton schon geantwortet: „Ja, riesigen Hunger. Wir können uns kaum noch auf den Beinen halten.“ Er blinzelte mir zu. Aha, er wollte Geschichten hören.
Frau Hinkebein war schon etwas älter. Sie hatte sehr helle Haut mit etlichen Leberflecken und schwarz gefärbte Haare, die nicht zu ihr passten. Sie stützte ihre Hände dort auf, wo ihre Hüften gewesen wären, wenn sie nicht wie eine Regentonne geformt gewesen wäre, und erzählte eine gruselige Gespenstergeschichte. Mir blieb ab und zu vor Schreck ein Bissen Brot im Hals stecken. Anton hatte keine Probleme damit, er kannte die Erzählungen wahrscheinlich schon. Na, dem werd ich schon das Gruseln noch beibringen!
„Sagen Sie mal Frau Hinkebein, was wissen Sie über Hexen?“, fragte ich deshalb und bemerkte mit Genugtuung, dass Anton erschrak.
Frau Hinkebein lachte. „Da musst du schon den Anton fragen, sein Großvater ist schließlich Hexenjäger.“
„Was! Hexenjäger? Stimmt das?“ Ich wusste nicht, ob sie das ernst meinte oder ob ich ihr gerade auf den Leim ging. Bestimmt hatte Anton das mal erfunden, um anzugeben.
„Natürlich!“, antwortete Frau Hinkebein, denn Anton war stumm geblieben. „Aber Herr Schrotkorn hat noch keine gefangen.“
Schließlich erfuhr ich die ganze Geschichte: Herr Schrotkorn war nur nach Hexaloz gezogen, weil er der Ansicht war, dass es hier Hexen geben müsse. Er hatte Nächte in Archiven zugebracht und sämtliche alte Zeitungen und Bücher studiert. Er besaß sogar eine Ausgabe des gefürchteten „Hexenbuchs“. Herr Schrotkorn wollte hier jedenfalls tatsächlich Anzeichen für Hexen entdeckt haben und er hoffte, dass ihm eines Tages eine in die Falle gehen würde.
„Dann werden ich und mein Großvater berühmt, dann hört ihr endlich auf zu lästern“, fauchte Anton.
„Ich lästere doch nicht“, protestierte Frau Hinkebein. „Ich glaube an Hexen.“
Na ja, Mama hatte mich ja gewarnt, auf dem Land ist alles anders. Die Menschen sind abergläubisch. Aber Hexen? Ich musste noch mal fragen. „Woran erkennt man denn nun eine Hexe? Ich meine, ich komme aus der Stadt und habe noch nie eine gesehen.“ Ich schaffte es, bei dieser Frage völlig ernst zu bleiben.
„Du musst die betreffende Person genau beobachten, mein Kind! Hat sie dieses unergründliche Glühen in den schwarzen Augen? Hat sie Leberflecke? Warzen? Kichert sie hinterlistig, isst ohne Besteck und schmatzt dabei? Hexen, die sich unter Menschen trauen, müssen eine Perücke tragen, weil man sie sonst an ihren verfilzten Haaren und den Kopfschuppen erkennen würde.“
Also, für mich klang das ja wie ein Märchen. Trotzdem spürte ich, wie mir die Angst langsam den Rücken hochkroch. Frau Hinkebein hatte selbst zwei der Merkmale! Oder nicht?
„Und