Spätsommer. Helmut H. Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helmut H. Schulz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847675556
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nicht, weshalb ich mich mit dir plage. Ich könnte beispielsweise zu meiner Schwester nach Bremen ziehen.«

      Sie untersuchte die geborgten Eier und stellte fest: »Die werden auch immer kleiner. Möchte wissen, was die Dathe mit ihren Hühnern macht.«

      »Sie hat sie abgeschafft«, sagte Torsten. »Die Eier sind vom Konsum. Seit sie Rentner ist, fehlt ihr die Zeit, sagt sie.«

      »So«, die Johansen winkte ab, »nun frage ich dich, was hat diese Frau den ganzen Tag zu tun? Deshalb kann sie auch am Zaun klönen und einem die Zeit stehlen.«

      »Oma«, Torsten hob den Oberkörper an, dabei rutschte die Decke. Die Johansen stand auf, drückte den Enkel wieder hinunter und deckte ihn zu.

      »Ich würde schon gern essen gehen.« Prüfend sah er ihr in die Augen. Sein Vorschlag fand bei ihr keinen Beifall. Da er befürchten mußte, sie würde ihm jetzt einen langen Vortrag halten, bot er ihr einen Ausweg an.

      »Oder ich esse Omelett?«

      »Mit Konfitüre«, ergänzte die Johansen, erfreut über den Triumph ihrer Voraussicht. »Siehst du, und da kommen uns die Eier von der Dathe zupaß.«

      »Ich will aufstehen.«

      Die Johansen legte die Decken zusammen, brachte sie in ihr Schlafzimmer, schüttelte die Kissen auf und stellte die Ordnung in der Stube wieder her. Dann band sie eine Schürze um und ging in die Küche. Während sie Eier aufschlug und einen Teig mischte, saß Torsten auf einer Bank. Über seinem Kopf baumelten Tiegel und Töpfe.

      »Erzähl was«, bat der Junge.

      »Von Vineta?«

      Das war eins ihrer Spiele. Während sie irgendetwas mit ihren Händen tat, erzählte sie.

      »Der Schoner Vineta hat deinem Urgroßvater gehört, ein Kornsegler, klabusterte so die Küsten längs, aber das Schiff ging auch bis rauf nach Riga, Dann kam die andere Zeit, mit den Seglern war es vorbei. Ich hab die Vineta nur noch als Wrack gesehen, aufriggen wollte es auch keiner mehr. Da war ich ein kleines Kind, so wie du.«

      »Aber Vineta war auch eine Stadt.«

      Mit großer Sicherheit dirigierte er die Großmutter auf ein ergiebiges Thema.

      »Vineta soll eine Stadt gewesen sein, da hast du recht. Sie lag in meiner Heimat, sagt man, und in alter Zeit hat noch mancher ihre Glocken gehört und die Stadt im Wasser gesehen, Häuser, Straßen, Seeleute, Marktfrauen und Soldaten.«

      »Und weiter?«

      »Und weiter«, sie vergaß, den Teig zu rühren, »über allem lag eine sonderbare Stille, eine grausame Heiterkeit, will ich mal sagen, ein Silberglanz von Kampf, Sieg, Untergang. Die langen Sturmfahnen flogen, und das Wasser türmte sich übereinander. Dort lag meine Heimat.«

      »Das ist aber lange her«, sagte Torsten, den die Sage interessierte, aber nicht die ihm unverständliche Frage nach der Heimat.

      »Ich wollte damit sagen«, erklärte die Johansen und nahm ihre Arbeit wieder auf, »daß ein Mensch sein Zuhause nicht so leicht vergessen kann, und wenn er noch so alt wird. Du zum Beispiel wirst dich noch im Alter an dieses Haus erinnern, deine Heimat. Ja, ich fühle mich hier wohl, das stimmt, aber ich habe auch das Empfinden, ich könnte mich noch wohler fühlen, es könnte mir besser gehen. Ich meine nicht, daß es mir an Geld fehlt, ich meine es im Allgemeinen.« Sie schwieg nachdenkend und setzte wieder an: »Denke nicht, ich würde zu meiner Schwester gehen. Das alles ist in mir, eine unklare Sehnsucht, ein Gefühl, mir würde Unrecht angetan. Ich würde mein Haus hier niemals im Stich lassen.«

      »Du würdest es lieber anzünden«, bemerkte Torsten. »Was heißt das? Rede keinen Unsinn! Hat dir deine Mutter diesen Blödsinn erzählt?«

      »Du hast es heute früh selbst gesagt.«

      Sie rieb sich mit dem mehlbestäubten Handrücken die Stirn, wischte eine Strähne Haar nach hinten und sagte leichthin, ohne Überzeugung: »Ich werde eben alt und vergeßlich. - Steck das Gas an.«

      Torsten setzte die beiden Flammen des Propanbrenners in Betrieb. Die Johansen stellte zwei Pfannen auf, in denen sie die Eierkuchen briet. Bei dieser Beschäftigung heiterte sich ihr Gemüt wieder auf.

      »Du mußt mich direkt für verfressen halten. Ich habe erst vor einer Stunde, als du schliefst, gefrühstückt, Kaffee, Brötchen und Wurst und Schinken habe ich gegessen. Ich denke, es verhält sich so mit mir, ich habe deinetwegen einen großen seelischen Kummer gehabt, deshalb mußte ich über das Essen mein Gleichgewicht wiederfinden.«

      »Ja, Oma.«

      »Jetzt werde ich kaum etwas essen können oder nur ganz wenig und mehr dir zuliebe.«

      Sie legte die fertigen Kuchen auf zwei Teller, gab Bestecke heraus und ein Glas mit Marmelade. Dann aßen sie, oder sie wollten essen, da fiel der Johansen etwas ein.

      »Hast du dich überhaupt gewaschen? Natürlich nicht, also bitte. Wenn man nicht dauernd hinter dir her ist. Kaum acht Tage haben gereicht, dich ganz zu verziehen. Na, in ein paar Tagen sind wir wieder im Tritt.«

      Sie half ihm, ihre großen Hände berührten seine warme Haut und Torsten zuckte zusammen. Die Johansen bemerkte oder beachtete es nicht. Der glatte haarlose Kinderkörper war zart, aber doch kräftig.

      »Bist doch mein gutes Kerlchen«, sagte sie zärtlich. Rasch fuhr ihre Hand nach seinem Haar. Torsten duckte sich, als fürchtete er einen Schlag. Und diese Bewegung nahm die Johansen wahr.

      »Hast du Schläge bekommen?« Ihre Stimme bekam einen drohenden, blechernen Klang. Ihre Gestalt richtete sich zu voller Größe auf.

      »Nein«, antwortete Torsten, erstaunt über ihren Ton. Sie sank wieder zusammen. »Ich sehe schon Gespenster, mein Kleiner. Denen traue ich alles zu. Wenn so etwas geschehen sollte ...«, sie brach ab. Im letzten Augenblick fiel ihr ein, daß sie diese Frage nicht vor dem Kind erörtern durfte. Aber ihr Mißbehagen schlug um in körperlichen Schmerz, sie fühlte, wie ihr Herz unregelmäßig schlug.

      »Ich bin fertig«, sagte Torsten.

      »Ich noch nicht«, erwiderte sie barsch, mühsam nach Atem ringend. »Warte gefälligst, bis ich soweit bin. - Es geht mir nicht gut.« Sie kramte in einer Schublade nach einem Medikament, schüttete sich ein paar Tabletten in die Hand und schluckte sie einfach ohne Wasser hinunter. Torsten sah ihr zu.

      »Du hast kein Mitgefühl«, bemerkte die Großmutter feindlich.

      Torsten begann zu essen. Er mochte wissen, daß viel Gerede im Augenblick nichts nutzen würde.

      »Weißt du«, sagte die Johansen wieder mit ihrer normalen Stimme, »ich kann den Eindruck nicht loswerden, irgendetwas ist zwischen uns getreten. Wenn es so ist, mußt du es mir sagen, ich kann Ungewißheit nicht ertragen.«

      Torsten aß weiter, er stopfte sich große Stücke von dem weichen, süßen Eierkuchen in den Mund, schluckte und kaute, während er seine Großmutter ansah.

      »Sie wollen, daß ich, wenn die Ferien zu Ende sind, mit ihnen gehe. Sie wollen es so machen, daß sie in der letzten Augustwoche herkommen, und da wollen sie es dir schon irgendwie beibringen.«

      »Das habe ich geahnt, und warum?«

      »Knut Blinz wird eine Arbeit auf der Reederei bekommen, und da ist er zu Hause. Sie sagen, das ist das Beste.«

      »Für wen das Beste«, meinte die Johansen zornig. »Für sie, für dich? Das fragt sich noch.« Sie rückte energisch ihren Teller heran und wickelte sich einen großen Fetzen von dem Eierkuchen um die Gabel. Beide, Großmutter und Enkel, schlangen um die Wette.

      »Und was hast du gesagt«, fragte die Johansen.

      »Nichts«, erwiderte Torsten, »sie haben mich ja auch nicht gefragt. Meine Schwester hat es mir erzählt, ich darf es gar nicht wissen. Und dir durfte ich es nicht erzählen, so haben sie sich das ausgedacht.«

      Die Johansen stemmte die Hände in die Seiten. »Da siehst du mal, sie scheuen sich,