Ein `Glissando´ war ein kleiner, graubrauner Vogel, einem Spatzen sehr ähnlich, der von den Elfen in Dorémisien als Bote genutzt wurde. Die Vögel waren, wenn man ihnen genaue Anweisungen gab, äußerst zuverlässige Überbringer von Nachrichten.
Gamanziel ließ sich immer von einigen begleiten, wenn sie auf Reisen ging.
Das war zu beiderseitigem Nutzen. Die Tiere wurden gut behandelt und versorgt, während Gamanziel für den Fall der Fälle einen Botenvogel hatte.
Jetzt war es also wieder soweit. Ein `Glissando´ wurde mit einer Nachricht versehen und auf die lange Reise nach Fasolânda geschickt, um die Ankunft des Quartetts anzukündigen.
Bis dahin würde aber noch sehr viel Zeit vergehen.
4 Sinja und `Allegro´ - ein Ausflug
Währenddessen hatte Sinja ihre erste Reitstunde mit `Allegro´.
Sie hatte sehr schnell begriffen, dass der Schimmel genau wusste, was er tat.
Ihre einzige Aufgabe bestand darin, sich in seiner Mähne fest zu krallen um auf seinem breiten Rücken sitzen, oder besser liegen zu bleiben.
Damit war sie aber, zumindest am Anfang vollauf beschäftigt.
Mit dem Kennenlernen entwickelte sich Vertrauen und mit dem Vertrauen eine gewisse Gelassenheit. Sinja ließ geschehen, was geschehen sollte.
`Allegro´ glitt unter seiner Reiterin mit traumwandlerischer Sicherheit, halb galoppierend, halb schwebend, zunächst den Berg hinunter, dann in die weite Ebene. Er achtete auf Wurzeln, auf Schlingpflanzen auf giftige Stacheln und herunterhängende Äste und bewegte sich so durch alle Gefahren, dass Sinja sich schließlich geborgen fühlte. Es war wie ein aufregender Traum.
Sie flogen über kleine Bäche, auf schmalen Wegen durch die bunten Wälder, atmeten die warme, trockene Luft und als `Allegro´ zu einem besonders hohen Sprung ansetzte, hatte Sinja das Gefühl, die Wolken zu berühren und mit den Sonnen zu tanzen.
Sie musste dabei unwillkürlich an die Geschichte des griechischen Halbgottes Phaeton denken, die sie gerade gelesen hatte.
Der hatte im Übermut versucht, den Sonnenwagen seines Vaters Helios, des Sonnengottes zu lenken und war dabei vom Himmel gestürzt.
„Bloß nicht zu hoch fliegen“, dachte Sinja noch, als `Allegro´ schon wieder den Weg nach unten suchte.
„Mit dir zusammen kann mir nichts passieren“, sagte sie leise, als der Hengst in einen kurzen, geschmeidigen Trab verfiel.
Er hielt inne und machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung der Anhöhe, von der sie gestartet waren. Sinja verstand sofort.
„Wir müssen zurück. Die drei fragen sich sicher schon, wo wir bleiben“, sprach Sinja aus, was `Allegro´ ihr mitteilen wollte.
Mittlerweile war der Sonnentanz, so hieß der Ablauf eines Tages in Dorémisien, schon weit über die Himmelsmitte hinaus und da Emelda, Amandra und Gamanziel von einer langen Reise gesprochen hatten, war es jetzt wohl Zeit für die Rückkehr.
5 Ein Streit und eine Entscheidung
„Ah, da sind ja unsere Turteltäubchen“, wurden Sinja und Allegro von Amandra
empfangen.
„Na, wie war der kleine Ausflug?“
„Es war unbeschreiblich“, antwortete Sinja, „du hattest natürlich recht, Emelda, mit dem Rumhopsen auf einem Zirkuspony hat ein Ritt auf diesem Mustang nicht allzu viel zu tun. Und Gamanziel, du solltest ihn nicht Pferdchen nennen!“
Sie lächelte die Elfe an, die natürlich wusste, was Sinja meinte.
„Ja, ich hab’s gemerkt, `Allegro´. Ich habe dich beleidigt, nicht wahr?
Das tut mir leid. Ich wollte dir damit nicht auf die Hufe treten“, sagte sie augenzwinkernd in Richtung des Schimmels, der sich daraufhin mächtig schüttelte und ein Wiehern von sich gab, dass aus dem Tal wiederhallte.
Am anderen Ende des Tals, dort, wo die Wälder von `Adagio´ begannen, registrierten einige gespitzte Ohren diesen Ausbruch der Freude sehr genau.
„So Kinder, ich schlage vor, wir ruhen uns jetzt noch ein wenig aus und wenn der Sonnentanz beendet ist, machen wir uns im Schutze der Dämmerung auf den Weg“, sagte Emelda.
„Wozu die Vorsichtsmaßnahmen?“, wunderte sich Sinja.
„Nun“, antwortete Gamanziel, „Emelda hatte ja schon angedeutet, dass Dorémisien keineswegs so friedlich ist, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Es gibt ein paar Gestalten, die unbedingt verhindern wollen, dass du in Fasolânda ankommst und mit Königin Myriana zusammentriffst.“
„Schön, dass ich das auch schon erfahre. Was hab´ ich denen denn getan?“, fragte Sinja zweifelnd.
„Bis jetzt noch nichts, oder sagen wir mal nicht viel, und wenn es nach dem `Unerhörten´ geht, soll das auch so bleiben.
Dabei müssen wir es jetzt erst einmal bewenden lassen.
Den Rest wird dir Königin Myriana selbst erzählen, wenn wir es bis dahin schaffen.“
„Na, na, wer wird denn so pessimistisch sein, Gamanziel“, schaltete sich Emelda ein. Sie hatte Gamanziels letzten Satz mitbekommen, „selbstverständlich werden wir dort ankommen. Du machst unserer Freundin ja Angst.“
„Wäre schön gewesen, ihr hättet mir etwas früher Angst gemacht.
Dann hätte ich wenigstens noch `nein´ sagen und aussteigen können.
Ich vermute mal, dass es dafür jetzt zu spät ist.“
Sinja war sauer. Sie hatte das Gefühl, dass die Elfen ihr immer noch nicht die ganze Wahrheit erzählt hatten.
„Das vermutest du völlig richtig“, sagte Gamanziel mit ein wenig Bedauern in der Stimme, „als der Spiegel dich in den Tunnel gesogen hat, war die Entscheidung gefallen. Es gibt kein Zurück. Es geht nur noch in eine Richtung und ohne unsere Hilfe kommst du nicht mehr nach hause. Du bist also auf uns genauso angewiesen, wie wir auf dich. Es geht um das Überleben unserer Welt. Du bist die Berufene."
Gamanziel machte eine kurze Pause und dachte nach. Dann fuhr sie fort:
"Ach und das Theater mit dem Spiegel mußte leider sein - tut mir leid. Du bist dir wohl vorgekommen wie bei "Alice im Wunderland", aber wir mussten irgendwie dein Interesse wecken und dich hierherbringen und...ahäm.... da haben wir uns diesen kleinen….Trick ausgedacht.
Wenn du die ganze Geschichte kennst, wirst du uns hoffentlich besser verstehen.“
„Ich hoffe, du hast recht“, maulte Sinja vor sich hin,“ bis jetzt habe ich mit dieser blöden Berufung nur Stress und Ärger gehabt und jetzt erfahre ich noch so nebenbei, dass mir jemand an den Kragen will und meine lieben Freundinnen, die Elfen, die mir das Ganze eingebrockt haben, lächeln milde vor sich hin und sagen „hmmmm, sorry das wir dich da mit rein gezogen haben und….“
„Halt die Klappe!“, unterbrach Emelda Sinjas Redeschwall.
Ihr ging das Gejammer auf die Nerven.
„Akzeptiere das jetzt, so wie es ist und versuche, mit uns zusammen die Sache durchzuziehen oder geh und sieh zu, wie du klarkommst, aber hör´ auf, uns hier die Ohren vollzuheulen. Das hält ja kein Schwein aus, was du hier abziehst.
Die Dinge sind jetzt, wie sie sind. Mach etwas draus oder lass´ es.
Es liegt bei dir. Aber hör' auf, hier herumzublöken wie ein Schaf. Das nervt!“
Diese klaren Worte