Deus Blue. Mario Degas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mario Degas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847695301
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und kalt an. Das Logo war teilweise verdeckt, von etwas, das nach blauer Farbe aussah, die bereits zur Gänze eingetrocknet war und sich nicht mehr abkratzen ließ.

      Der Alte sprach weiter: »Sie kamen an einem Zwölften; Polizeimänner. Sie stürmten das Gebäude, in dem ich mich zu der Zeit mit meiner Frau Mel aufhielt.«

      Bei der Aussprache des Namens blickte er nach oben hoch zu den Wolken, wobei sein Adamsapfel sichtbar auf und ab hüpfte.

      »Sie war schwanger. Der Zwölfte war der Tag, an dem sie unsere Tochter gebar. Ich war auf dem Weg zu ihr, um sie zu ermuntern und ihr bei der Geburt beizustehen, wurde aber aufgehalten.« Er deutete auf die Marke in meiner Hand. »Allein Mels Schreie trieben mich voran. Ich war verzweifelt und wollte zu ihr, nichts ahnend was mich erwarten würde.«

      Er versuchte eine Träne zu unterdrücken, was ihm aber nicht gelang.

      »Ich kam zu spät.«

      Mir versetzte das Geschilderte einen Stoß. Was blieb, war ein mulmiges Gefühl. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

      »Mel lag bereits im Sterben, als ich sie im Hof fand – blutüberströmt und in Tränen aufgelöst. Wie so oft stand Gott an diesem Tag nicht auf unserer Seite. Er nahm mir den Menschen, den ich über alles liebte. Doch ...« Er fixierte mich so plötzlich, dass mir der Atem stockte. »Unsere Tochter hat es geschafft. Zoe hat es geschafft. Sie lebte.«

      »Zoe ...?« Kaum hörbar sprach ich den Namen aus und schnappte dabei nach Luft.

      Er tat dasselbe. »Wenn der Preis auch hoch war: Drei der apokalyptischen Reiter hatten wir zu diesem Zeitpunkt bereits vertrieben.«

      Im Stillen ging ich sie durch: Sieg, Krieg und Hungersnot, sofern er die ersten drei meinte.

      »Doch dem vierten und letzten Reiter konnten wir nicht entkommen.«

      Furcht, Krankheit, Niedergang; auch genannt: der Tod.

      »Sid.« Ich wusste nicht, warum er mir plötzlich in den Sinn gekommen war.

      Er schaute betreten drein, nur um mich im nächsten Moment mit seinem Blick zu durchbohren. Dieser eine Blick genügte; er machte uns aufs Neue miteinander bekannt.

      »Die Erinnerung, wie!?«

      »Ich wusste, dass da noch etwas ist.«

      »Irgendwann tut man gut daran.«

      Ich versuchte, mehr aus ihm rauszubekommen: »Wo ist sie jetzt? Deine Tochter?«

      Er musste erst wieder seine Abgründe heraufbeschwören: »Ich habe sie überall gesucht. Mein Schutzschild, meine Göttin ...« Konsterniert schüttelte er den Kopf.

      »Du weißt es nicht!?«, stellte ich fest.

      »Nein.« Das Schütteln hörte gar nicht mehr auf. »Die Einheit streckte mich nieder, nahm mir Frau und Tochter und warf mich in eine dunkle Gefängniszelle. Neun Jahre lang aller Hoffnung beraubt, war ich niemands Niemand. Bevor ich ein Vater sein konnte, wurde es schwarz um meine Zukunft. Ich konnte nicht wissen und wusste es auch nicht. Zukunft?« Er stockte, dann: »Gefängnis.« Seine Miene erhellte sich kaum merklich: »Bis heute. Denn jetzt bist du hier.«

      Ich lauschte und wagte es nicht, etwas zu sagen.

      »Ich war mir sicher, dass du hierherkommen würdest. Räuber ließ dich nicht mehr los. Mit der Vergangenheit konnte ich dich ködern und die Vergangenheit ist es auch, die ich von dir will. Du bist hier und ich brauche deine Hilfe.«

      Ich sah die vier Reiter, wie sie wild tobend in Kampfstellung auf mich zugaloppierten.

      »Du glaubst, ich kann sie finden?«

      »Nein, ich glaube es nicht.« Wieder eine Pause. »Ich weiß es. Der Glaube war mir in den letzten Jahren kein treuer Begleiter. Ich konnte mich nicht auf ihn berufen, wenn es darauf ankam, und werde es wohl auch nie können, solange mein Herz noch schlägt. Verlassen kann ich mich nicht auf ihn, noch auf sonst irgendjemanden. Mit einer Ausnahme.«

      Ich wollte auf ihn zugehen, aber er bedeutete mir mit einer Handbewegung, auf Distanz zu bleiben. Ein Hustenanfall begleitete die Geste. »Ich bin krank und langsam aber sicher mit meinem Latein am Ende. Mein Gedächtnis hat nachgelassen und mit der Kraft steht es auch zum Schlechten. Leider werde ich nicht jünger, noch gesünder.« Von seiner Stimme war jetzt kaum mehr als ein Flüstern zu hören.

      Ich blendete die Waffe in meiner Hand aus. Einen Feind sah ich nicht vor mir. »Du erinnerst dich noch an so viel«, versuchte ich ihn zu motivieren.

      »Die Erinnerung hat viele Gesichter. Und auf die Perspektive kommt es schon lange nicht mehr an. Deine Mutter? Räuber? Mel? Selbst Zoe?«

      Überraschend setzte er sich in Bewegung und schlurfte zur offen stehenden Tür des Waggons zu seiner Rechten. Ich behielt ihn dabei im Auge. Irgendetwas wurde im Inneren des Waggons angehoben und zur Seite gelegt, nur konnte ich nicht sehen, was es war.

      »Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, kaum dass ich wieder in Freiheit war. Ich dachte auch schon einmal, ich hätte Zoe gefunden – keine zwei Jahre ist dies her.«

      Als er einen Schritt zurücktat, sah ich, dass er etwas in seiner Hand hielt. Nur dieses Mal war es keine Marke.

      »SID«, schrie ich. Panik und Unbehagen schlugen um mich.

      Es war eine Pistole und ich zweifelte nicht eine Sekunden daran, dass sie echt war.

      Ich riss den Arm hoch und legte abermals auf ihn an.

      »Mach jetzt keine Dummheiten.« Er stampfte zu seiner alten Position zurück. »Ich bitte dich, Sid. Leg die Waffe weg.«

      Als er nicht reagierte, rief ich noch einmal lauter: »SID.«

      Der Erfolg war anders, als ich ihn mir erhofft hatte: »Jeder Anfang ist schwer, so wie jedes Ende schwer ist, wenn es denn unausweichlich scheint. Dass das Ende kommt, wissen wir, doch wann es uns heimsucht, wissen wir in der Regel nicht. Das kostete Mel das Leben, so wie es meines veränderte.« Er streichelte behutsam über den Lauf der Pistole. »Hör mir gut zu, Sean.«

      Zitterte ich?

      »Die Lösung liegt zu deinen Füßen, sobald die Gegenwart in die Zukunft übergeht. Sei mein Sturm, werde mein Räuber. Grabe in meinem Innersten, am Ort meines Selbst; nutze die Kunst und finde den Schutz, den ich dir gab. Ich bürdete dir eine Last auf und werde sie dir wieder aufbürden. Diese Last treibt dich weiter zu dem, der du bist. Denn du bist ich. Und du weißt es. Gehe den Weg, den du mit mir gingst. Am Ende wirst du es sehen ...«

      Tausend Fragezeichen schwirrten vor meinem Kopf herum: »Sehen, wer ich bin?«

      »Sehen, was sie sieht. Mit Zoes Augen sehen. Das bist du ihr schuldig. Finde sie, nicht meinet-, sondern ihretwegen. Sie muss wissen, wer sie ist.«

      Ich klammerte mich an einen zerbrechlichen Strohhalm: »Wir werden sie gemeinsam finden, Sid.«

      Er lächelte. »Ja, das werden wir.«

      Ein mir nur allzu bekanntes Rauschen näherte sich mit rasendem Tempo. Es befand sich weit weg und im nächsten Moment fast direkt über uns.

      Sid hatte sich bereits entschieden. Er schloss die Augen und senkte den Kopf. »Verzeih mir, Sean.«

      »NEIN.«

      Ein Licht von oben blendete mich. Im selben Augenblick schrie ich auf, sprintete los, als der Schuss auch schon die Eintracht durchriss. Ich strauchelte, fing mich aber sogleich wieder. Alles geschah so schnell. Im Bruchteil einer Sekunde war es vorbei.

      Als der Kegel des Suchscheinwerfers über mir abzog, sah ich dem Tod ins Antlitz.

      Sid hatte die Waffe gegen sich selbst erhoben. Sein lebloser Körper lag eingesackt zwischen den Schienen. Die Waffe lag rauchend daneben, ihren ehemaligen Inhalt verschossen. Es war nicht schwer, zu erkennen, wo die Kugel steckte: Aus Sids Kopf rann Blut, welches sich unaufhaltsam auf die Steine ergoss und sich mit dem Matsch darunter vermischte.

      Mein Herz raste und