Geliebt wird anders. Kadhira del Torro. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kadhira del Torro
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738080605
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      Es war das erste Mal seit fast vierzehn Jahren, dass sie zu einem Mann freundlich sein und ihn nicht verletzen wollte. Ganz langsam bewegte sie ihre Hand, hob sie an und legte sie in seine. Sie spürte die Wärme, die weiche Haut, den lockeren Griff, mit dem seine Finger ihre umschlossen, sich seine andere Hand darauf legte und sie festhielten.

      „Danke.“

      Sie drehte den Kopf ein wenig, sah auf die Hände, wurde sich bewusst, dass ihre Hand in seiner lag und kribbelte.

      „Nicht alle Männer sind schlecht“, meinte er leise. „Natürlich gibt es schlechte Menschen, Männer wie Frauen. Und der junge Mann, der den Bürgermeister überfallen hat, war auch nicht alleine. Er hatte eine Partnerin. Ein siebzehnjähriges Mädchen. Du hast sie nicht gesehen, weil sie nicht mehr weglaufen konnte. Rico hat ihr in den Fuß und den Unterschenkel gebissen und der Bürgermeister konnte sie festhalten. Die Polizei hat sie ein paar hundert Meter weiter eingesammelt. Wie du siehst, teilt sich die Welt nicht in Mann und Frau, sondern in Gut und Böse.“

      „Ein Mann wurde überfallen. Deswegen musste Rico sterben. Ein Mann hat Rico erschossen. Und es war ein Mann, der mich zu dem gemacht hat, was ich bin.“

      „Aber es war ein männliches Wesen, das dich getröstet und begleitet hat. Rico war dir ein treuer Freund, oder nicht? Er war männlich.

      „Er war kastriert, also war er neutral“, beharrte sie.

      „Hast du dein Gegenüber je gefragt, ob er schwul oder impotent ist? Die wären dann nämlich auch neutral.“

      Sie sah ihn an und lächelte ganz leise. „Vielleicht hätte ich diese Frage wirklich stellen sollen. Und Sie? Sind Sie schwul?“

      „Nein“, lachte er. „Und impotent bin ich auch nicht. Und trotzdem kannst du mir vertrauen.“

      „Kann ich das wirklich?“

      „Die Frage kannst nur du allein beantworten.“ Seine Finger streichelten über ihren Handrücken.

      Sofort versteifte sich Nicoles ganzer Körper und ihre Hand zuckte etwas zurück.

      „Wovor hast du Angst?“

      „Ich will nicht, dass man mir noch einmal so weh tut, wie ...“

      „Wie Ron? Meinst du, jeder Mann dort draußen will dir weh tun?“

      Wieder sah sie ihn an, herausfordernd diesmal, eine Spur von Spott in der Stimme. „Wollen Sie leugnen, dass jeder verdammte Kerl da draußen lieber mit mir ins Bett gehen will, als sich mit mir zu unterhalten?“ Der Spott wurde deutlicher. „Und Sie? Würden Sie nicht auch liebend gern mit mir schlafen?“

      „Ich will nichts leugnen, Nicole. Das hast du selbst schon lange genug getan. Natürlich wollen viele Männer mit dir schlafen. Sieh in den Spiegel. Du bist attraktiv und hast einen schönen Körper. Aber ist es anders rum nicht genauso? Frauen denken doch auch darüber nach, wie sie einen Mann ins Bett bekommen, wenn er ihnen gefällt. Das Geschlecht ist in Sachen Sex vollkommen egal. Beide Seiten denken oft und gern daran. Und das ist bei dir nicht anders. Du denkst auch oft an Sex. Jedes Mal, wenn du einen Mann siehst. Nur verbindest du Sex mit einem sehr schmerzhaften Erlebnis. Aber Sex kann so schön sein. Und genau das leugnest du. Du willst dich nicht davon überzeugen lassen, wie schön die Liebe sein kann, ein Kuss, oder einfach nur eine Berührung. Du willst an deinem Bild festhalten.“

      „Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

      „Ob ich mit dir schlafen will?“ Er sah auf ihre Hände, strich wieder darüber und lächelte, als sie diesmal keine Reaktion zeigte. „Ja, warum auch nicht?“ Nicole zog ihre Hand zurück, aber er hielt sie fest, hatte damit gerechnet und sah ihr in die Augen. „Aber ich werde es nicht tun, weil zwei dazu gehören. Und ich weiß, dass ich nicht der Mann bin, mit dem du gern schlafen möchtest. Ich bin dein Freund, Nicole. Und genau das möchte ich sein. Vergiss Ron. Lass nicht zu, dass er dein ganzes Leben beherrscht. Das ist er nicht wert. Du kannst mit mir reden und du kannst mir hundertprozentig vertrauen. Aber die Bereitschaft dazu muss auch von dir kommen. In den nächsten Tagen wirst du aus dem Krankenhaus entlassen. Aber ich hoffe, dass wir uns trotzdem wiedersehen und miteinander reden. Denn genau das brauchst du. Und ich würde mich freuen, wenn du erkennst, dass du mir vertrauen kannst.“

      Es klopfte und er ließ ihre Hand los, lächelte aufmunternd. „Denk darüber nach, okay?“ Er ging zur Tür, ließ Kim, Luzie, Carol und Pia rein, die vollbeladen mit Teddys, Blumen und Konfekt das Zimmer stürmten, durcheinander redeten und alles wissen und gleichzeitig erzählen und trösten wollten. Nicole umarmte Kim, sah zur Tür – und schenkte Dr. Cooper ein Lächeln.

      „Hey, das ist aber ein sehr, sehr gutaussehender Arzt“, meinte Luzie und grinste breit. „Passiert da etwa gerade was, das du uns erzählen willst?“

      „Er ist Arzt“, meinte Nicole, kurz bevor sie die Tür ins Schloss fallen hörte. „Und ich gebe zu, ein sehr guter“, fügte sie etwas leiser hinzu, ignorierte das fröhliche Johlen ihrer Freundinnen und winkte ab, als es nicht enden wollte. „Erzählt mir lieber, was im Büro los ist.“

      Nicole konnte nicht schlafen. Sie dachte darüber nach, was ihre Freundinnen erzählt hatten. Zumindest wollte sie das. Aber ihre Gedanken schweiften immer wieder ab und sie fragte sich, warum sie damals überhaupt einen Rüden zu sich genommen hatte. Der ganze Wurf bestand aus Weibchen, Rico war der einzige Rüde. Damals wollte sie ein männliches Wesen um sich haben, das sie beherrschen konnte. Sie hatte ihn kastrieren lassen, um ihm die Lust zu nehmen, sich Hündinnen zu nähern und das zu tun, was ihr weh getan hatte. Aber sie hatte ihn von Anfang an geliebt, ihn geradezu vergöttert. Ihre Termine und Bürozeiten wurden nach Ricos Bedürfnissen ausgerichtet. Es blieb immer genug Zeit für lange Spaziergänge und selbst beim schlechtesten Wetter war sie mit ihm durch den Park gelaufen. Sie hatte viel Zeit auf dem Hundeplatz verbracht, hatte zugesehen, wie er mit anderen Hunden spielte und glücklich war. Und genau das hatte ihr Freude gemacht. Und nun war Rico nicht mehr da. Ausgelöscht. Nichts weiter als ein Haufen Asche, den der Bürgermeister in eine hübsche Urne hatte stecken lassen, verziert mit dem Abbild eines Dobermanns und einem netten Spruch. Rico war im Moment der berühmteste Hund in der Stadt. Kim und Pia hatten Zeitungsausschnitte gesammelt und mitgebracht. Einen ganzen Schuhkarton voll. Auch über sie wurde geschrieben und darüber, dass der Presse keine Auskunft über ihren Gesundheitszustand gegeben wurde. Es gab viele Leute, die ihr einen neuen Hund schenken wollten, nicht nur Dobermänner. Aber Nicole würde keinen annehmen. Rico war einzigartig und nicht zu ersetzen. Und sie selbst würde wohl nie wieder so eine Beziehung zu einem Hund zulassen. Das wollte sie keinem Tier antun. Das hatte kein Tier verdient.

      Ihr Leben hatte sich von einem Moment auf den anderen verändert. Sie würde ohne Rico joggen gehen, nie wieder aus Versehen ein Wassernapf mit der Schuhspitze anstoßen, dass ein fürsorglicher Kellner unter dem Tisch platziert hatte, zusammen mit einem leckeren Knochen, den Rico prinzipiell ignorierte. Und sie hatte mit einem Mann geredet. Und diese Gespräche gingen zweifellos über seinen Auftrag als Arzt hinaus, denn er war kein Psychiater. Er war ein Freund. Erstaunlicherweise war sie gern mit ihm zusammen und freute sich bereits darauf, dass er wiederkam, sie die Unterhaltung fortsetzen konnten und er lächelte. Und die Berührung seiner Hand war auch nicht unangenehm. Noch immer fühlte sie das Kribbeln in ihrer Hand, wenn sie daran zurückdachte. Was, wenn mehr passierte?

      Die Tür ging auf, ließ einen schmalen Lichtstreifen auf den Boden fallen, der weiterkroch, das Bett hoch und am Fußende die Bettdecke und ihre nackten Füße aus der Dunkelheit hob. Nicole sah einen menschlichen Umriss, den dünnen Strahl einer Bleistiftleuchte, der über den Boden huschte, bis zu ihrem Bett und darunter verschwand. Sie tastete zum Lichtschalter über ihrem Kopf. Das Licht flammte auf und zeigte ihr als späten Besucher Dr. Cooper, in Jeans und einem weißem T-Shirt, den Kittel über dem Arm.

      Er lächelte. „Entschuldigung. Ich wollte dich nicht wecken.“

      „Ich war wach. Was ist los?“

      „Ich habe meinen Pieper irgendwo verloren und wollte nachsehen, ob er hier liegt. Da ist er ja“, meinte