Mords-Kerle. Günther Dümler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günther Dümler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741851032
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war. Die Betonung liegt dabei auf war, denn auf der linken, also der flussabwärts gewandten Seite, klaffte eine deutliche Lücke in der Absturzsicherung. Die Balken waren wohl noch vorhanden, ragten aber zum großen Teil auf den Fluss hinaus, wodurch sie eine Art Absturzschneise bildeten. Sie hingen nur noch an dem sprichwörtlichen seidenen Faden und jeden Moment konnten sie ins mehrere Meter weiter unten vorbeifließende Wasser stürzen. Die Holzbalken waren wie durch einen schweren Aufprall zersplittert, was und da war sich Peter sofort sicher, nicht von einem Moped verursacht sein konnte. Hier hatten wesentlich stärkere Kräfte gewütet. Da wo das Geländer unterbrochen war, konnte man einen deutlichen Blutfleck auf dem darunterliegenden Stützpfeiler erkennen. Der arme Fredi musste kopfüber in die Fluten gestürzt sein.

      „Schaud ganz so aus, als ob der Fredi durch dee Lüggn in der Abschberrung mitsamd sein Mobbed in Fluss neigrumbld iss. Wahrscheinli hodds nern ausn Saddl ghobn und er iss mid an Saldo vorwärds zerschd auf den Pfeiler aufgschlaang und dann gor nundergrumbld ins Wasser.“

      Simons Theorie hatte einiges für sich, zumal man auch mit bloßem Auge das demolierte Moped auf dem Grund des nicht allzu tiefen Flüsschens erkennen konnte. An dem kunstvoll bemalten Tank konnte man gut erkennen, dass es sich um Fredis Fahrzeug handelte. Jetzt war die lebende Legende also auch noch ersoffen, noch dazu in einer von Algen grün gefärbten Brühe, einer Farbe, die Fredi zeitlebens Bauchschmerzen verursacht hatte. Hätte der Fredi noch die Gelegenheit dazu gehabt, dann hätte er angesichts der Situation sicher bemerkt, dass ihm Absaufen immer noch lieber sei als Absteigen, was sowohl aufgrund seines zu Lebzeiten enormen Bierbedarfs, als auch angesichts der gegenwärtig schwierigen sportlichen Lage des FCN nur zu verständlich erschienen wäre. Doch dazu würde er nie mehr in der Lage sein, denn so viel war sicher, die Nachwelt würde für immer auf Fredis platte Scherze verzichten müssen.

      „Auf jedn Fall war der Schadn an dem Gländer scho vurher dou, abber aa widder nunni allzu lang. Dess sichd mer schon allaans an dem zerrissner broffisorischn Abschberrband dou. Schau her Simon, dee Abschblidderung im Holz is nu ganz frisch. Dou verweddi mein Kobf, dass de beschdimmd nu kanne zwaa Dooch ald iss.“

      Und nach einer kurzen Denkpause und einem letzten prüfenden Blick über das Areal fügte Peter hinzu.

      „Also gud, mehr kömmer etz nimmer machen und es wird Zeid, dass mer verschwindn. Lang konns nimmer dauern bis die Bollizei kummd und dann müssd mer denne a nu erglärn, woss mir dou zu suchn homm.“

      Sie überquerten die Brücke vollends, um auf der anderen Flussseite nach Röthenbach zurück zu radeln, was zwar einen kleinen Umweg bedeutete, dafür aber den großen Vorteil bot, dass dass man nicht mehr direkt am Fundort der Leiche vorbei kommen musste und Gefahr lief, von den Polizisten gesehen zu werden.

      Sonntag, 27. Oktober, wenig später

      Die ersten Routinemaßnahmen waren erledigt. Der Polizeiarzt hatte den Toten, so gut dies vor Ort möglich war, untersucht und vorläufig auf Tod durch einen Bruch der Schädeldecke infolge eines heftigen Schlages oder eines Sturzes entschieden. Eine endgültige Beurteilung war ihm natürlich nicht zu entlocken. Darauf mussten die Ermittler bis nach der eingehenden Prüfung durch die Gerichtsmedizin warten, den detaillierten schriftlichen Bericht würden die Herren schon rechtzeitig erhalten. Der Doktor hatte auch schon den einen oder anderen Tatort im Fernsehen verfolgt und den Standardspruch für solche Fälle daher auswendig auf Lager.

      Inzwischen war es bereits acht Uhr. Da eine Fremd-einwirkung zwar noch nicht eindeutig feststand, aber auch nicht mit der nötigen Sicherheit ausgeschlossen werden konnte, wurden die für Gewaltdelikte zuständigen Beamten zugezogen. Die beiden reichlich schläfrig wirkenden Kriminalkommissare Erwin Schindler und Heinz Havranek standen nun schon eine ganze Weile mit den Kollegen vom Kriminaldauerdienst auf der vom Tau feuchten Wiese neben dem Fundort der Leiche beisammen und ließen sich die bisherigen Erkenntnisse vortragen. Alles war jahrelang geübte Routine, bis sie an die Stelle kamen, wo erstmals die Zeugen erwähnt wurden, die den armen Toten aus dem eiskalten Wasser gezogen hatten.

      „Kleinlein? Habe ich richtig gehört? Sie haben doch eben Kleinlein gesagt, oder?“

      „Ja genau, Peter Kleinlein und Simon Bräunlein“, las einer der beiden Dauerdienstler aus seinen handschriftlichen Aufzeichnungen vor, „beide aus Röthenbach, das ist ungefähr dreizehn Kilometer von hier entfernt und …“

      Der junge Beamte hätte den neu dazugekommenen Kollegen gerne noch mehr erzählt, wurde aber durch eine eigenartige Reaktion des erfahrenen Hauptkommissars einstweilen davon abgehalten. Verblüfft betrachtete er den Kollegen, an dem offenbar eine seltsame Veränderung stattfand. Dem schien es urplötzlich gar nicht gut zu gehen. Schindlers Kopf hatte innerhalb der letzten zehn Sekunden dreimal die Farbe gewechselt, von dunkelrot über leichenblass bis zu käseweiß und zurück, wobei der Mann so heftig nach Luft schnappte, als wäre er selbst das bedauernswerte Opfer eines Mordanschlags geworden.

      „Kann ich ihnen helfen, Herr Hauptkommissar? Wollen sie sich setzen, dann wird’s vielleicht schneller wieder besser? Ja, wenn man auf nüchternen Magen so früh raus muss, das kann einen schon belasten. Das kenn ich!“

      Gar nichts wusste er, der Jungspund. Schindlers Beinahekollaps hatte einen völlig anderen, geradezu traumatischen Grund.

      „Danke, es geht schon“, erwiderte der immer noch sichtlich angegriffene Kommissar. „Es war nur der erste Schreck. Oh mein Gott, nicht schon wieder dieser Hobbyschnüffler!“

      Die Männer von Dauerdienst zuckten unverständig mit den Schultern. Kriminalobermeister Havranek dagegen, der die letzten drei Begegnungen mit Peter Kleinlein und seinen skurrilen Helfern hautnah miterlebt oder besser gesagt zusammen mit seinem Vorgesetzten durchlitten hatte, wusste genau, weshalb dieser erfahrene Kriminaler derart geschockt auf die Nachricht reagierte. Dicker hätte es nun wirklich nicht kommen können. Schon wieder dieser Kleinlein! Der giftige Stachel der letzten Blamage saß einfach noch zu tief, um das eben Gehörte mit angemessener Fassung wegstecken zu können.

      Dem Hobbydetektiv war es vor nicht einmal einem Jahr gelungen einen vermeintlichen Jagdunfall als gezielten Mordanschlag zu enttarnen und das obwohl die Profis den Fall schon längst als erledigt betrachtet hatten. Ein neuer Wettlauf Hase gegen Igel stand also bevor, wobei man bei genauer Betrachtung zugeben musste, dass der Vergleich sogar gewaltig hinkte, denn angesichts der ungleich besseren und vielfältigeren Möglichkeiten, die der Polizei zur Verfügung standen, müsste das Rennen hier schon eher Hase gegen Schnecke lauten. Trotzdem hatte es bisher jedes Mal so geendet, dass die vermeintliche Schnecke den ungleichen Wettbewerb für sich entschieden hatte. Doch dieses Mal sollte es nicht so weit kommen. Hauptkommissar Schindler war nicht gewillt, sich noch einmal geschlagen zu geben. Entsprechend entschlossen reagierte der leitende Beamte, sobald er sich wieder etwas besser im Griff hatte.

      „Havranek, wir müssen so schnell wie möglich die Umgebung absuchen. Der Fundort der Leiche ist keinesfalls der Tatort, so viel ist sicher. Irgendwo müssen Spuren zu finden sein, die uns hoffentlich helfen, festzustellen, wie der Unglückliche in diesen verfluchten Fluss gekommen ist. Wir haben keinerlei Zeit zu verschenken, wer weiß, was dieser penetrante Amateur schon wieder plant.“

      Das Wort Amateur hatte er ausgespuckt wie eine von Maden befallene Pflaume oder eine versehentlich verschluckte Fliege. Der angesprochene Assistent war in einem ungewohnten Anfall von Diensteifer und in vorauseilendem Gehorsam bereits dabei einen Suchtrupp aufzustellen und sich flussabwärts in Bewegung zu setzen, als ihn sein Chef zornig zurück rief.

      „Mensch Havranek, wollen sie unbedingt, dass wir uns schon wieder blamieren! Denken sie doch erst mal nach, bevor sie einfach blind davonrennen! Glauben sie etwa, dass der Tote entgegen der Strömung den Fluss heraufgeschwommen kam? Also hopp, ab in die andere Richtung und achten sie peinlichst genau auf jeden niedergetrampelten Grashalm oder jedes andere Anzeichen menschlicher Anwesenheit. Müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir diesmal wieder etwas Wichtiges übersehen würden.“

      Der Chef hatte sich offensichtlich einigermaßen erholt und war schon wieder voll in seinem Element. Es dauerte nicht länger als eine gute Viertelstunde bis sein