LiebesTaumel. Axel Adamitzki. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Axel Adamitzki
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753185163
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es zusammen. Sie wollte nicht reden. Vivian hatte zusehends das Gefühl, einer fremden Frau gegenüberzustehen.

      Ein Graf war ihr Vater. Ein Adliger. Wie konnte das sein? Nie hatte es Kontakte zu dieser völlig fremden Schicht gegeben.

      »Und du willst mir nichts dazu sagen?«, fragte Vivian schließlich.

      Sabine Schreiber presste die Lippen fest aufeinander und schüttelte entschieden den Kopf.

      Vivian war enttäuscht und erbost und wütend – und furchtbar ohnmächtig. Tränen liefen ihr die Wangen herunter, doch ihre Mutter blieb stumm, nahm ein weiteres Handtuch aus dem Korb, hob schließlich den Kopf und sah blicklos durch ihre Tochter hindurch, etwas, das Vivian an ihr nicht kannte, etwas, das sie mutlos und traurig machte.

      »Ich denke, dann habe ich heute hier nichts weiter verloren.«

      Vivian verließ die ›Rumpelkammer‹, drei Schritte später folgte ihre Mutter, noch immer das Handtuch zwischen den Fingern. An der Wohnungstür blieb Vivian noch einmal stehen.

      »Ich bin enttäuscht von dir, Mama. Und wie soll ich dich je verstehen, wenn du nichts sagst. Ich finde es schade. Über alles konnten wir reden. Immer. Nur was meinen Vater angeht, da bist du irgendwie ... wie soll ich es sagen ..., da bist du irgendwie nicht meine Mutter.«

      Zwei Minuten später saß Vivian wieder in ihrem roten Polo und verließ, im Schritttempo des Feierabendverkehrs, Lindau. Sie fuhr am Bodensee entlang, ohne ihn zu sehen, ohne das Glitzern der Frühlingssonne, die sich endlich durch die graue Wolkenwand gekämpft hatte, auf den Wellenkämmen wahrzunehmen.

      Vivian dachte immer wieder nur an ihre Mutter.

      Warum war sie so verschlossen? Warum erzählte sie ihr nichts von ihrem Vater, jetzt, wo er tot war? Jetzt, wo Vivian wusste, wer er war?

      Aber wusste sie denn, wer er war?

      Sie kannte seinen Namen, den sie sich nicht einmal gemerkt hatte, so unwichtig war er ihr in diesem Moment vorgekommen. Wichtig war ihre Mutter, war ihr Schweigen, wichtig war das Gefühl der Abneigung, das sie das erste Mal ihrer Mutter gegenüber empfunden hatte. Sie fühlte sich getrennt von ihr, abgeschnitten. Entfremdet.

       Kapitel 3

      Als Vivian endlich in ihrem Wohnzimmer stand, war es draußen dunkel geworden, und ein feuchter Wind war kühl vom See in den Ort gezogen, hatte bald schon jeden Winkel der Stadt erfüllt, machte deutlich, dass der kalte Winter zwar vorbei war, dass der Frühling aber noch zu kämpfen hatte.

      Clemens hatte in der Zwischenzeit versucht, sie zu erreichen, wollte ihr anscheinend von seinen ersten Eindrücken erzählen, wie er es versprochen und sie erbeten hatte, doch hatte sie das Klingeln des Telefons nicht gehört. Da war sie wohl noch bei ihrer Mutter gewesen. Auch einige SMS hatte er ihr geschickt, und sie las die letzte:

       >Ich freue mich auf dich. Kann es kaum erwarten, dir alles zu erzählen und dich zu küssen. LG.

      Heute Morgen hatte sie es auch kaum erwarten können, ihn zu küssen, aber jetzt?

      Vivian blickte eindringlich auf die SMS. Zu viel war in der Zwischenzeit passiert ... und er war nicht da gewesen. Das erste Mal fühlte sie sich alleingelassen. Nicht nur von ihrer Mutter, auch von Clemens.

      Und so schrieb sie zurück, nicht ganz ehrlich: >Ich kann heute nicht. Ich bin bei meiner Mutter. Vielleicht bleibe ich heute Nacht hier. Ich melde mich. LG.

      Vivian würde ihm das erklären, morgen oder übermorgen. Vielleicht.

      Kurz danach rief er noch einmal an. Sie nahm das Mobiltelefon in die Hand und wartete, bis die Mailbox endlich ansprang. Es tut mir leid, Clemens, aber ich kann jetzt nicht, dachte sie. Ich wüsste nicht, was ich dir sagen sollte. Heute nicht.

      Vivian fühlte sich unendlich ausgegrenzt. Ihre Mutter erzählte ihr nichts, und Clemens dachte nur an seine Karriere. Sicherlich war sie ungerecht, aber war man gerecht zu ihr?

      Plötzlich fiel ihr auch wieder ein, dass sie den Termin mit einem Interessenten in der Akademie verpasst hatte. Nächste Woche würde sie ihn anrufen und sich bei ihm entschuldigen ... Ihr Vater war gestorben. Kaum eine Entschuldigung könnte begründeter sein.

      Vivian machte sich einen Kakao, den sie immer brauchte, wenn sie sich innerlich unwohl fühlte. Er durchwärmte sie mit einem Stück Geborgenheit, der Geruch umhüllte sie mit einem Stück Kindheit, und sie holte dann auch oft ihr Tagebuch hervor, um Gedanken loszuwerden, so auch heute.

      Nach etwa einer halben Stunde hatte sie ihre Einträge beendet, legte sich auf die Couch, im Wohnzimmer, und nahm den Brief heraus.

      ›Notar Dr. Geller‹ stand auf dem Briefkopf. Nächsten Mittwoch um zehn Uhr war die Testamentseröffnung. Um zehn. Hatte sie da überhaupt Zeit? Vivian lächelte gedankenverloren, natürlich hatte sie Zeit.

      Aber wollte sie da überhaupt hingehen? Ihre Mutter wollte ihr all das ersparen. Doch was eigentlich? Was war mit ihrem Vater, mit diesem Hektor Graf zu Hohenberg? Und jetzt fiel es ihr auf. Der Name kam ihr irgendwie bekannt vor, doch woher?

      Das werden wir gleich wissen, dachte sie und sprang so heftig auf, dass ein wenig Kakao auf ihre Jeans schwappte.

      »Scheiße!« Aber egal, dachte Vivian, zog die Jeans aus, warf sie über einen Sessel, setzte sich wieder auf die Couch, zog eine bunte Wolldecke über die nackten Beine und öffnete ihren Laptop.

      Nach einem kurzen Moment war alles bereit, und sie gab den Namen ›Hektor Graf zu Hohenberg‹ in eine Suchmaschine ein.

      Ungefähr 210.000 Ergebnisse wurden angegeben.

      Vivian fing mit seiner Homepage an. Und als sie sein Bild sah, wusste sie wieder, woher sie den Namen kannte: Er war der großzügige Kunstliebhaber gewesen, der im letzten Jahr auf der ›Lindauer Kunstwoche‹ ihre Plastik erstanden hatte. Doch er hatte nur von ›Hohenberg‹ gesprochen, als sie nach seiner Lieferadresse gefragt hatte, daran erinnerte sie sich genau. ›Hohenberg‹ – als sei es ein Name wie Schulze oder Müller. Und natürlich hatte sie sich nichts dabei gedacht, zumal die Lieferung problemlos ablief.

      Vivian betrachtete sein Bild nun genauer. Kanntest du mich? Wusstest du, dass ich deine Tochter bin? Hattest du deshalb einen so großzügigen Scheck über fünfundzwanzigtausend Euro ausgestellt?

      Denn als er sie gefragt hatte, was die Plastik kosten sollte – einen Preis hatte sich Vivian nicht überlegt gehabt, weil sie nicht geglaubt hatte, für ihr Werk einen Käufer zu finden –, wollte sie fünftausend sagen. Für Material und Zeit hatte sie das für hinreichend gehalten, doch war er ihr zuvorgekommen.

      »Ich gebe Ihnen fünfundzwanzigtausend. Ich denke, das ist ein angemessener Preis.«

      Vivian hatte ihn nur sprachlos angesehen. Angemessen? Wann ist welcher Preis für ein Kunstwerk überhaupt angemessen?

      Vivian zuckte auch heute noch die Achseln.

      Und wieder betrachtete sie das Bild ihres Vaters, betrachtete ihn etwas genauer. Das Foto konnte noch nicht alt sein, denn so hatte sie ihn in Erinnerung: graues, volles Haar, leuchtende Augen, kantiges, männliches Gesicht. Er war nicht schlank, doch keineswegs vollschlank und ... er sah gesund aus.

      Vivian hatte ihn auch nicht kränklich in Erinnerung. Wieso war er dann so plötzlich verstorben? Er war ein wenig nach vorn gebeugt gegangen. Das hatte ihn älter aussehen lassen. Aber seine schwarzen Augen hatten sehr lebendig und jung geleuchtet. Ja, sie waren schwarz gewesen. Auf dem Bild seiner Homepage war es nicht genau zu erkennen, aber sie erinnerte sich: schwarz ... wie ihre Augen.

      Ihre Mutter hatte braune Augen. Also hatte sie die Augen von ihm. Und jetzt sah sie noch etwas: Aus seinem Hemdkragen lugte am Hals, auf der linken Seite, das letzte kleine Stück eines Muttermals hervor. Genau an der gleichen Stelle hatte auch sie eines. Warum war ihr das damals nicht aufgefallen?

      Egal. Er war ihr Vater, unverkennbar, hätte sie sonst eine Einladung zu der