Mulaule. Rita Renate Schönig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita Renate Schönig
Издательство: Bookwire
Серия: Seligenstädter Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748562429
Скачать книгу
an. Jedes Mal, wenn Staatsanwalt Hagemann die zulässigen Höchststrafen durchsetzen konnte, hatte ein Richter namens Friedhelm Hanke den Vorsitz … ein ehemaliger Unteroffizier. Auch er war für seine strengen Urteile bekannt, wie aus den Unterlagen hervorgeht. Ich würde meinen … ein eingespieltes Team.“

      „Na gut. Man könnte sagen, Hagemann war ein harter Hund“, replizierte Nicole. „Aber, warum sollte ihn jemand deswegen und erst jetzt, nachdem er schon lange im Ruhestand ist, töten? Ich nehme mal an, darauf willst du hinaus?“

      „Genau“, antwortete Lars. „Ich dachte mir, mit dieser Auszeichnung, die Hagemann erhalten sollte, ist das Fass übergelaufen, wie man so sagt. Irgendwer zog die Reißleine. Vielleicht jemand der jetzt erst seine Strafe abgesessen hat.“

      „Gar nicht so verkehrt.“ Harald nickte nachdenklich.

      „Dann fangen wir mit den schweren Jungs an, die Hagemann für längere Zeit hinter Gitter brachte und die nun wieder auf freiem Fuß sind. Einen anderen Ansatz haben wir zurzeit sowieso nicht“, schlug Nicole vor und setzte sogleich nach.

      „Trotzdem, vergesst nicht, erfahrungsgemäß ist der Mörder im unmittelbaren Umfeld des Opfers zu suchen. Nachdem jetzt die Identität zu 95% feststeht, kümmert euch um die Familienverhältnisse, Freunde, Bekannte und so weiter. Die Vereine nicht zu vergessen, in denen er tätig war. Ach ja, ganz wichtig, der Richter. Wie war noch sein Name?“

      „Friedhelm Hanke“, antwortete Lars, wie aus der Pistole geschossen. „Aber den können wir von der Liste der Verdächtigen streichen. Der hat sich bereits 1998 von dieser schönen Erde verabschiedet.“

      Nicole nickte. „Dann rufe ich den Doc an. Vielleicht liegen die Ergebnisse des Zahnabgleichs schon vor und wir haben die absolute Bestätigung, dass unser Opfer Heinz Hagemann ist. Nicht, dass ich an deinen Recherchen zweifeln würde, Lars“, fügte sie hinzu.

      Gleichzeitig deutete sie auf seinen Schreibtisch. „Beseitige die Schweinerei, bevor dort ein Biotop entsteht.“

      Lars rollte mit den Augen, holte aber sofort eine Rolle Küchenpapier aus seiner Schublade.

      „Verdammt!“, fluchte er, keine drei Sekunden später.

      „Was ist los?“, fragte Harald. „Hat sich die Mayonnaise schon in die Tischplatte geätzt? Oder hast du dir den Daumen eingezwängt?“

      „Dass ich nicht sofort daran gedacht habe“, murmelte Lars und wühlte hektisch in den Mappen der unerledigten Fälle, die noch immer hinter ihm auf dem Schrank lagen.

      „Hier ist es. Der Akte des vermissten Jungen aus Seligenstadt. Das ... kann ... kein ... Zufall sein!“

      „Was meinst du?“

      Mit wenigen Schritten stand Harald neben seinem Kollegen. Das Erste, was er sah, war das Foto, rechts oben. Es zeigte einen Jungen mit einem auffällig zarten Gesicht mit graublauen Augen.

      Jeder für sich, überflogen die Kommissare, den Text.

      Der 17-Jährige hieß Daniel Hagemann, Sohn von Heinz und Maria Hagemann, wurde am 18. Oktober 2001 als vermisst gemeldet, und zwar von seiner Mutter. Tagelang suchte die Polizei fieberhaft die Umgebung ab. Schließlich wurde die Kriminalpolizei eingeschaltet, weil man ein Sexualverbrechen, einen Mord oder beides nicht ausschließen konnte. Aber alle Anstrengungen – auch der Einsatz von Spürhunden – blieben erfolglos.

      „Wieso hat nur die Mutter den Jungen als vermisst gemeldet? Wieso stehen da nicht die Namen beider Elternteile?“, stellte Harald mehr sich selbst die Frage.

      „Ja, ist allerdings merkwürdig“, stimmte Lars ihm bei.

      „Was ist merkwürdig?“ Nicole hatte sich hinter ihren Mitarbeitern postiert. „Habt ihr etwas gefunden?“

      „Allerdings. Hier, die Vermisstenanzeige eines Jungen aus Seligenstadt, Oktober 2001“, setzte Harald seine Chefin in Kenntnis.

      „Welche Vermisstenanzeige?“

      „Ein ungelöster Vermisstenfall; ist scheinbar zwischen die unaufgeklärten Mordfälle gerutscht. Ich wollte Andy die Akte schon zurückbringen, aber dann kam uns der aktuelle Mord dazwischen.“

      „Und warum stöbert ihr zwei jetzt darin herum? Was hat das mit unserer Leiche zu tun?“

      „Unserem Genie ist die Namensgleichung aufgefallen“, schmunzelte Harald.

      „Der Vermisste, damals 17-jährige heißt Daniel Hagemann und unser Opfer – Heinz Hagemann. Klingelt’s?“

      Lars sah Nicole herausfordernd an. Als diese nichts sagte, fuhr er fort: „Er ist … oder war Hagemanns Sohn. Er wurde, fast auf den Tag genau, vor 21 Jahren als vermisst gemeldet. Allem Anschein nach aber nur von seiner Mutter. Die Unterschrift des Vaters, Heinz Hagemann, fehlt auf der Anzeige. Das macht uns stutzig.“

      „Dafür könnte es verschiedene Gründe geben“, warf Nicole ein. „Möglicherweise ein Versehen. Vielleicht war er an dem Tag, als sein Sohn verschwand, gar nicht zu Hause. Und die Unterschrift wurde dann vergessen. Oder er wollte seine Stellung als Staatsanwalt nicht ausnutzen. Ist das denn so wichtig?“

      Harald zuckte mit den Schultern. „Wenn meine Tochter verschwinden würde, egal in welchem Alter, würde ich alle Hebel in Bewegung setzten, um sie zu finden. Und, wenn meine Position als Kriminalbeamter mir dabei hilfreich wäre, würde ich die ohne zu zögern einsetzen.“

      „Da gebe ich Harry recht. Auch, wenn ich keine Kinder habe – jedenfalls nicht wissentlich“, Lars grinste, „finde ich das Verhalten des Staatsanwalts schon sehr merkwürdig. Ich glaube eher, dass in dieser Familie etwas ganz und gar nicht stimmte. Oder sogar etwas verheimlicht werden sollte.“

      Nicole wiegte nachdenklich den Kopf. „Könnte natürlich auch sein. Wir fragen seine Witwe danach. Wir müssen ihr sowieso mitteilen, dass ihr Ehemann Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Der Zahnabgleich hat es bestätigt. Es handelt sich definitiv um Heinz Hagemann.“

      „Ok. Wer überbringt die Botschaft?“, fragte Harald.

      „Lars und ich übernehmen das. Ich bleibe dann auch gleich in Seligenstadt. In der Zwischenzeit kannst du dich tiefer in die familiäre Situation der Familie graben. Ich sehe doch, wie es hinter deiner Denkerstirn brodelt. Ach, und wenn du und Andy schon dabei seid den Staub der letzten Jahre aufzuwühlen, schaut, ob in dem Zeitraum eine unbekannte männliche Leiche aufgefunden wurde; sagen wir mal vorerst im Radius von 200 Kilometern.“

      „Woher weißt du, dass ich ...?“ Harald schüttelte seinen Kopf. „Wieso frage ich eigentlich noch.“

      Mittwoch / 17:05 Uhr

      Mit federnden Schritten rannte Kriminalkommissar Harald Weinert die Treppen hinunter in die Katakomben, wie die Asservatenkammer des Offenbacher Polizeipräsidiums scherzhaft genannt wurde, aber so rein gar nichts mit einer Gruft, im herkömmlichen Sinn, zu tun hatte.

      Im Büro von Andreas Dillinger spendeten zwei große, bodentiefe Fenster reichlich Tageslicht und gaben den Blick auf einen gepflegten Rasen und Begrünung auf Büsche und Sträucher frei. In den hinteren Räumlichkeiten, die nur durch Neonlampen beleuchtet wurden und keine Fensterscheiben hatten, war es zweifellos weniger heimelig.

      „Hallo Andy. Ich brauche deine Hilfe“, rief Harald Weinert, kaum, dass der Summer ertönte und er die Tür geöffnet hatte.

      Der saß an seinem Schreibtisch, blickte auf und zwang sich ein Lächeln ab. „Womit kann ich den Bekämpfern der Kriminalität dienen?“

      „Es geht um diesen Vermisstenfall.“ Harald legte ihm die Akte von Daniel Hagemann vor. „Woher wusstest du, dass der Vermisste der Sohn von unserem neuesten Opfer ist? Und warum so geheimnisvoll?“

      „Wie ... eh, wie kommst du an die Akte?“

      Harald runzelte die Stirn. „Na, die hast du uns doch untergejubelt.“

      Andreas Dillinger