Doch das geschah nicht und beinahe ertappte sie sich dabei, dass sie traurig deswegen war, musste sie dadurch doch diesen unmenschlichen Wahnsinn weiter miterleben, der vor ihr ablief.
Zwei Pistolen, eine Kugel.
Und eine der beiden Waffen war auf Jorik gerichtet gewesen. Schonungslos hatte Narrix abgedrückt, ein gefühlloser Henker ohne Gnade und Gewissen. Esha wollte aufschreien, doch ihr ganzer Körper war vollkommen erstarrt, sie konnte sich absolut nicht bewegen. Dann war das Klicken zu hören, als der Schlaghammer nach vorn klappte, aber nur auf die leere Trommel traf und keinen Schuss auslöste. In diesem Moment ging ein sichtbarer Ruck durch Esha und sie erzitterte heftig. Ihre Augen flackerten, sie versuchte die Dunkelheit einer Ohnmacht zu verdrängen.
Dann wurde ihr bewusst, was geschehen war. Kein Schuss war ausgelöst worden, Jorik wurde das Leben geschenkt. Doch schon im selben Moment wurde ihr mit einer solch wuchtigen und eiskalten Erkenntnis klar, was das hieß und was als nächstes geschehen würde, dass ihr Gehirn vollkommen leergefegt wurde und nur noch ein einziger Gedanke haften blieb: Rette Shamos!
Und in dem Moment, da Narrix auf den Wissenschaftler anlegte, spannte sie all ihre Muskeln an und sprang.
Sein Zeigefinger betätigte den Abzug, der Schlaghammer traf auf die Trommel – und es ertönte ein scharfes Klicken – nur!
Doch das war kaum zu hören, denn der Raum war erfüllt von Eshas Aufschrei, mit dem sie sich vor Shamos gehechtet hatte, um die vermeintliche Kugel gegen ihn abzufangen.
In ihrem Kopf ertönte das Klicken wie ein Schuss und fast glaubte sie, einen Schlag auf der Brust zu spüren, doch dann krachte sie zu Boden und spürte plötzlich nichts mehr davon. Stattdessen realisierte sie, dass es keinen Schuss gegeben hatte und eine heiße Woge echter Freude erfasste sie.
Doch nur für einen winzigen Augenblick, dann drehte sie sich zur Seite und schaute hinauf in das breit grinsende Gesicht ihres Widersachers. Und da wusste sie, dass sie einen Fehler begangen hatte und ausgetrickst worden war.
„So!“ Narrix Stimme klang süß und triumphierend. „Haben wir also auch das geklärt!“ Er grinste süffisant und ließ seinen Blick einen Moment auf Esha verweilen, weidete sich an ihrer Erkenntnis und ihrem Schmerz. Dann wurde er plötzlich ernst. „Schafft sie raus! Alle!“ rief er und seine Männer agierten sofort. Auch Jorik wurde auf die Füße gerissen, während Esha in die Höhe gezerrt wurde. „Alle, außer ihn!“ Narrix Worte klangen sehr hart, als er sich Jorik in den Weg stellte und Esha dabei ausdruckslos ansah.
Und da wusste sie, dass sie in ihrem Versuch, den Menschen, den sie so sehr liebte, zu retten, einen wunderbaren Freund ans Messer geliefert hatte. Doch all ihre Schreie und Rufe nutzten nichts, sie hatte nicht die Kraft sich gegen die Männer, die sie zusammen mit den anderen aus dem Raum drängten, zu wehren und musste am Ende ihren Schmerz über ihren schlimmen Fehler sehr qualvoll und tränenreich hinnehmen.
IV
Es war genauso, wie zuvor - Kabus saß wieder auf der Liege, Niuri stand direkt vor ihm und kümmerte sich um seine Wunde.
Und doch war alles ganz anders.
Ganz still saß er da und ließ die junge Frau vor ihm machen, was immer zu tun erforderlich war. Keine Albernheiten mehr, keine Ablenkungen, kein Bedrängen. Kabus war folgsam, ruhig und mithelfend.
Niuri konnte frei agieren und tat dies auch in einer sehr konzentrierten und kompetenten Art und Weise. Kabus hatte nicht den geringsten Zweifel, dass sie genau wusste, was zu tun war und genau das auch tat.
Anfangs hatte er dadurch genügend Zeit, sich um seine Freunde die allergrößten Sorgen zu machen. Die Tatsache, dass der Elay allein und noch dazu derart schwer verwundet zurückgekehrt war, gab Anlass zu den schlimmsten Befürchtungen. Wenn Kabus jedoch allzu intensiv darüber nachdachte, spürte er sofort eine unerträgliche Nervosität in sich aufsteigen, die ihm das Herz schwermachte. Doch so unerträglich es auch sein mochte, er musste sich in Geduld üben. Das einzige Lebewesen, das ihm bei der Suche nach Jorik und den anderen helfen konnte, war der Elay – und der war selbst verletzt und wurde von Umuras und einigen anderen behandelt. Bevor das Tier nicht zumindest soweit genesen war, dass es wieder fliegen konnte, war er zum Nichtstun förmlich verdammt.
Doch das stimmte nicht ganz. Er konnte durchaus etwas tun – nämlich dafür sorgen, dass er selbst ebenfalls schnell gesundete. Mehr als Niuris Ratschlägen und Anweisungen zu folgen, blieb ihm jedoch nicht. Dabei allerdings konnte er beständig sehen und auch fühlen, mit welcher Hingabe und Konzentration sie agierte. Ihm war schnell klar, dass sie wusste, wie sehr ihm das ungewisse Schicksal seiner Freunde zusetzte und sich deshalb doppelt und dreifach anstrengte, um ihn gesund zu pflegen, aber er erkannte in ihr auch echte, eigene Sorge um die Menschen, die ihm so wichtig waren.
Und glaubte Kabus anfangs, dieses Gefühl, dass er für Niuri empfand und leichthin beinahe als Liebe bezeichnet hätte, wäre eben genau diese nicht, sondern nur Verlangen und…ja…Geilheit, so wurde ihm mit jedem Blick in ihr Gesicht mehr und mehr klar, dass es doch genau das war. Die Wärme in seinem Herzen war wundervoll, die Ruhe, die ihn umfing grandios, das Funkeln in ihren Augen schlichtweg fantastisch. Kabus spürte es mit jeder Faser seines Körpers: Dort vor ihm, da stand nicht nur eine atemberaubend schöne, intelligente und faszinierende Frau, die man gern um sich hatte und noch lieber spürte, sondern ein Mensch, dessen Wesen so reichhaltig war, dass er sich mehr als gut vorstellen konnte, sein Leben mit ihr zu verbringen – und nicht nur den so widerlich wahrscheinlichen Rest von einigen, wenigen Monaten.
Kurzum: Je länger Kabus sie ansah, desto sicherer war er, dass er sie tatsächlich und wahrhaftig liebte.
„Kabus?“
Er schreckte aus seinen tiefen Gedanken auf und musste feststellen, dass er mit offenen Augen geträumt hatte. Als er wieder ein klares Bild sah, konnte er Niuri erkennen, die mit einem sanften, aber irritierten Lächeln vor ihm stand und ihn mit großen Augen ansah. „Ja, was?“ stieß er hervor.
„Du hast geträumt!“ stellte sie sanft fest und lächelte etwas breiter.
Kabus, sofort wieder gebannt vom Leuchten in ihren Augen, musste ebenfalls lächeln und nicken. „Ein wenig!“
„Okay!“ Sie nickte zurück und schloss dabei ihre Augen. In diesem kurzen Moment war ihr deutlich anzusehen, wie anstrengend die Versorgung seiner Wunde gewesen war. „Ich bin fertig!“
Kabus Lächeln wurde wehmütig. „Ich werde mich wieder hinlegen!“
Jetzt grinste Niuri breiter.
„Was ist?“ fragte er.
„Das brauchst du nicht. Nicht mehr!“ Ihre Augen leuchteten noch intensiver. „Deine Wunde ist verheilt!“
„Was?“ Kabus war erstaunt. „Aber…?“ Er blickte auf den Verband um seinen Bauch, der nicht anders aussah, als sonst.
Niuri verzog die Mundwinkel. „Eine reine Vorsichtsmaßnahme!“
Kabus sah sie an und allmählich machte sich echte Freude in seinem Gesicht breit. Er rutschte von der Liege, zog die junge Frau an sich und drückte sie ganz fest. „Oh, das hast du wirklich toll gemacht!“ Er schob sie sanft von sich und wartete, bis er ihr in die Augen schauen konnte. „Danke!“
„Gern gesch…!“ Weiter kam sie nicht, da waren bereits seine Lippen auf den Ihren und sie spürte seine weiche, warme Zunge. Niuri musste aufstöhnen – halb überrascht, halb vor Lust. Als sie sich wieder trennten, lächelte sie erneut. „Ich habe eine Überraschung für dich!“
„Eine…!“ Kabus runzelte die Stirn. „Was denn?“
„Umuras