David Copperfield. Charles Dickens. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197098
Скачать книгу
zu heißen. Mit dieser Betsey Trotwood-Copperfield soll es im Leben glatt gehen. Mit ihren Gefühlen darf nicht gespielt werden. Armes Kleines. Sie muß gut erzogen und in acht genommen werden, daß sie ihr Vertrauen nicht auf törichte Weise jemand schenkt, der es nicht verdient. Das laß meine Sorge sein.«

      Bei jedem dieser Sätze zuckte Miß Betsey mit dem Kopf, als ob das erlittene Unrecht vergangener Zeiten in ihr wieder lebendig würde und sie einen deutlicheren Hinweis darauf nur mit Überwindung unterdrückte. So vermutete wenigstens meine Mutter, als sie sie beim schwachen Schimmer des Feuers beobachtete, aber zu sehr von ihrem Wesen erschreckt war und innerlich viel zu unruhig und zu verwirrt, um überhaupt irgend etwas klar beobachten zu können.

      »Und war David gut gegen dich, Kind?« fragte Miß Betsey, nachdem sie eine Weile geschwiegen und die Bewegung ihres Kopfs allmählich aufgehört hatte. »Habt ihr euch gut vertragen?«

      »Wir waren sehr glücklich,« sagte meine Mutter. »Mr. Copperfield war viel zu gut zu mir.«

      »Er hat dich also verzogen?«

      »Allein und verlassen zu sein und ohne Stütze in dieser rauhen Welt dazustehen,« schluchzte meine Mutter, »dazu hat er mich wohl nicht erzogen.«

      »Gut. Weine nicht,« sagte Miß Betsey. »Ihr paßtet eben nicht zusammen, Kind, – zwei Menschen können überhaupt nicht zusammenpassen – deshalb fragte ich. Du warst eine Waise, nicht wahr?«

      »Ja.«

      »Und Gouvernante?«

      »Ich war Bonne in einer Familie, die Mr. Copperfield häufig besuchte. Mr. Copperfield war sehr freundlich und aufmerksam gegen mich und machte mir zuletzt einen Heiratsantrag. Und ich sagte ja. Und so wurden wir Mann und Frau,« sagte meine Mutter einfach.

      »Ha! Armes Kind!« murmelte Miß Betsey und sah immer noch grimmig ins Feuer. »Verstehst du etwas?«

      »Ich bitte um Verzeihung, Madame?« stammelte meine Mutter.

      »Von der Wirtschaft zum Beispiel,« sagte Miß Betsey.

      »Ich fürchte, nicht viel. Nicht so viel, wie ich möchte. Aber Mr. Copperfield unterrichtete mich, –«

      »Weil er selber so viel davon verstand,« warf Miß Betsey hin.

      »– und ich glaube, ich hätte bald Fortschritte gemacht, denn ich war eifrig im Lernen und er ein sehr geduldiger Lehrer, wenn nicht das große Unglück – –,« meine Mutter verlor wieder die Fassung und konnte nicht weitersprechen.

      »Schon gut, schon gut,« sagte Miß Betsey.

      »Ich führte mein Wirtschaftsbuch regelmäßig und schloß es mit Mr. Copperfield pünktlich jeden Abend ab,« rief meine Mutter mit einem neuen Ausbruch des Schmerzes.

      »Schon gut, schon gut,« rief Miß Betsey. »Hör endlich auf zu weinen.«

      »Und es war nie ein Wort des Streites dabei oder der Uneinigkeit, außer wenn Mr. Copperfield tadelte, daß meine Dreier und Fünfer einander zu ähnlich sähen, oder daß ich meinen Siebnern und Neunern krause Schwänze gäbe,« begann meine Mutter von neuem und wieder von einer Tränenflut unterbrochen.

      »Du wirst dich krank machen,« sagte Miß Betsey, »Du weißt doch, daß das weder für dich noch für mein Patenkind gut ist. Komm, du mußt das bleiben lassen.«

      Dieses Argument trug einigermaßen dazu bei, meine Mutter zum Schweigen zu bringen, obgleich ihr zunehmendes Übelbefinden die Hauptursache sein mochte. Eine längere Stille trat ein, die nur unterbrochen wurde von einem gelegentlichen »Ha!« Miß Betseys, die immer noch mit den Füßen auf dem Kamin dasaß.

      »David hat sich mit seinem Geld eine Leibrente gekauft,« sagte sie endlich, »und wie hat er für dich gesorgt?«

      »Mr. Copperfield,« sagte meine Mutter mit Anstrengung, »war so vorsichtig und gut, mir die Anwartschaft auf einen Teil davon zu sichern.«

      »Wieviel?« fragte Miß Betsey.

      »Hundertundfünf Pfund jährlich.«

      »Er hätte es noch schlimmer machen können,« sagte meine Tante.

      Das Wort paßte gut für den Augenblick. Meiner Mutter ging es soviel schlimmer, daß Peggotty, die eben mit dem Teebrett und Lichtern hereinkam und auf den ersten Blick sah, wie krank sie war, – Miß Betsey hätte es schon eher sehen können, wenn es hell genug gewesen wäre, – sie so rasch wie möglich in die obere Stube hinaufbrachte und sofort Ham Peggotty, ihren Neffen, der seit einigen Tagen ohne Wissen meiner Mutter als Bote für unvorhergesehene Fälle im Hause verborgen gehalten wurde, nach der Hebamme und dem Doktor schickte.

      Diese verbündeten Mächte, die sich im Verlauf weniger Minuten zusammenfanden, waren sehr erstaunt, eine fremde Dame von strengem Aussehen vor dem Feuer sitzen zu sehen, den Hut am linken Arm hängend, und sich die Ohren mit Juwelierbaumwolle zustopfend.

      Da Peggotty nichts über sie wußte und meine Mutter nichts über sie hatte fallen lassen, blieb sie ein ungelöstes Rätsel in der Wohnstube, und der Umstand, daß sie ein Baumwollenmagazin in der Tasche trug und sich die Watte auf besagte Weise in die Ohren stopfte, raubte ihr nichts von ihrem Ansehen.

      Nachdem der Doktor oben gewesen und wieder heruntergekommen war und offenbar vermutete, daß er mit der unbekannten Dame einige Stunden würde zusammenbleiben müssen, bemühte er sich, höflich und gesellig zu erscheinen. Er war der sanfteste seines Geschlechts, der mildeste aller kleinen Männer. Er drückte sich beim Ein- und Ausgehen seitwärts durch die Türen, um möglichst wenig Raum einzunehmen. Er ging so leise wie der Geist des Hamlet aber noch viel langsamer. Er trug den Kopf auf eine Seite geneigt, teils aus Bescheidenheit, teils aus Entgegenkommen. Es wäre zu wenig gesagt, daß er nicht einmal für einen Hund ein böses Wort gehabt hätte. Er hätte nicht einmal einem tollen Hund ein böses Wort sagen können. Höchstens ein sanftes oder ein halbes oder ein Bruchstück davon, – denn er sprach so langsam, wie er ging, – aber er würde nicht grob gegen ihn gewesen sein. Nicht einmal ein rasches, nicht um alles in der Welt.

      Mr. Chillip sah also meine Tante, den Kopf auf die Seite geneigt, sanft an, machte eine kleine Verbeugung und sagte, auf die Watte anspielend, indem er sein linkes Ohr berührte:

      »Lokale Reizung, Madame?«

      »Was?« fragte meine Tante und zog die Baumwolle wie einen Kork aus einem Ohr.

      Mr. Chillip erschrak so sehr über ihr barsches Wesen, wie er später meiner Mutter erzählte, daß es noch ein Glück war, daß er die Fassung nicht verlor. Er wiederholte sanft:

      »Lokale Reizung, Madame?«

      »Unsinn!« antwortete meine Tante und verstopfte sofort das Ohr wieder.

      Mr. Chillip konnte nun weiter nichts tun, als Platz nehmen und sie schüchtern ansehen, wie sie so dasaß und ins Feuer starrte, bis er wieder hinaufgerufen wurde.

      Nach viertelstündiger Abwesenheit kehrte er wieder zurück.

      »Nun?« fragte meine Tante und nahm die Watte aus dem ihm am nächsten liegenden Ohre.

      »Nun, Madame,« antwortete Mr. Chillip, »wir – wir machen langsam Fortschritte.«

      »Ba-a-ah,« sagte meine Tante, den verächtlichen Ausruf förmlich hervorstoßend, und verstopfte sich wieder wie vorhin.

      In der Tat – in der Tat, Mr. Chillip war geradezu bestürzt, – wie er später meiner Mutter gestand; – natürlich bloß vom ärztlichen Gesichtspunkt aus. Aber trotzdem starrte er Miß Betsey fast zwei Stunden lang an, bis er von neuem gerufen wurde. Nach längerer Abwesenheit kehrte er wiederum zurück.

      »Nun?« fragte meine Tante und nahm abermals die Watte aus dem gleichen Ohr.

      »Nun, Madame,« antwortete Mr. Chillip, »wir – wir machen langsam Fortschritte, Madame.«

      »Ja-a-a,« knurrte meine Tante Mr. Chillip derart an, daß er es fürwahr nicht länger mehr aushalten konnte. Es war fast darnach angetan, ihm allen Mut zu