Opitz, als seine Frau eintrat, stand bereits vor dem kleinen Spiegel mit blankem Glasrand, der, samt einer doppelten Verzierung von Zittergras, über der Kommode hing. Er fuhr sich eben mit der Hand durchs Haar und sah noch halb verschlafen aus seinen geröteten Augen. Ihr Ausdruck aber war mittlerweile doch ein anderer geworden, der Ärger schien mit dem Rausch dahin, und im Spiegel seine Frau gewahrend, trat er auf sie zu, legte den Arm um ihre Hüfte und gab ihr einen Kuß. Die Frau sah verschämt vor sich nieder, denn eigentlich liebte sie ihn und empfand es als einen Gram, daß solche Zärtlichkeiten so selten waren.
»Soll Christine den Kaffee bringen?«
»Versteht sich, soll sie. Und gib mir die Pfeife! Die verdammte Trinkerei bekommt mir nicht, und der Doktor will's auch nicht und droht mir immer mit dem Finger. Aber das Fleisch ist schwach. Auch ein Förster und alter Soldat hat seine schwachen Stunden. Nicht wahr, Bärbel? Und nun gib mir auch Feuer und dann den Kaffee. Aber keine Plempe.«
Bärbel, während Opitz noch so sprach, klopfte mit dem Knöchel an die Wand, was das Zeichen für Christine war, und zündete gleich danach einen Fidibus an, woran Opitz, der sonst in solchen Dingen für das Neue war, eigensinnig festhielt. Er hatte nur zufällig einen Haß gegen Schwefel- und Phosphorhölzer.
Und nun brachte Christine den Kaffee.
»Nu, Christine, laß sehen! Ich hoffe, du hast nicht zuviel Bohnen aus der Mühle springen lassen. Oder hat die Frau gemahlen? Na, na, nur still... Spaß muß sein... In Querseiffen ist heute Tanz. Was meinst du, willst du hin? Die Frau wird es schon erlauben; nicht wahr, Bärbel?«
Die Frau nickte.
»Nun siehst du. Der Lehnert wird auch wohl dasein, und das ist doch die Hauptsache. He? Na, tu nur nich, als ob's anders wär... Und daß ihn Siebenhaar heute angepredigt und ihm den Kopf a bissel gewaschen und seinen Standpunkt klargemacht hat, na, das wird ihn dir beim Schottschen nicht verleiden und noch weniger draußen in der Laube. Tanz ist Tanz, und Kuß ist Kuß. Und ich gönne ihn dir auch, und heute lieber als morgen. Denn du bist eine verständige Person und wirst ihn schon zurechtrücken, besser als Siebenhaar. Und ist er erst aus dem Dünkel heraus und sitzt an der Wiege, vielleicht sind es Zwillinge, was meinst du, Christine? Ja, was ich sagen wollte, sitzt er erst an der Wiege, statt zu paschen und zu wildern, dann werd ich auch gute Nachbarschaft mit ihm halten. Ich bin für Frieden, aber zu gutem Frieden gehören zwei.«
Christine hatte, während Opitz so redete, den linken Schürzenzipfel in die Hand genommen und strich an dem Saum entlang. Als er jetzt schwieg, sagte sie: »Nichts für ungut, Herr Förster, aber wenn sie besser mit ihm wären...«
»... da wär er besser mit mir«, lachte Opitz. »Ja, das glaub ich. Ich soll anfangen und jeden Morgen, wenn ich ihn drüben hantieren seh, meine Kapp abnehmen und über die Brück hinübergrüßen: ›Guten Morgen, Herr Lehnert Menz. Herr Lehnert Menz geruhten wohl zu ruhen. Ach, sehr erfreut. Empfehle mich zu Gnaden...‹ Nein, nein, Christine, Unterschiede müssen sein, Unterschiede sind Gottes Ordnungen. Und nun geh und komme nicht zu spät. All Ding will Maß haben.«
Christine ging. Frau Bärbel aber hatte mittlerweile nach ihrem Strickstrumpf gegriffen und sah verstimmt vor sich hin, weil es ihr gegen die Hausfrauenehre war, daß Opitz sich in ihre Sache gemischt und der Christine, so mir nichts, dir nichts, einen Ausgehetag angeboten hatte. Sie schwieg aber, und erst als Opitz, der heute den Galanten und Rücksichtsvollen spielte, sie mit freundlicher Miene bat, das Licht und den Fidibusbecher vor ihn hinzustellen, weil er sie nicht immer wieder inkommodieren wolle, hielt sie mit ihrer neben allem Ärger herlaufenden Neugier nicht länger zurück und sagte: »Angepredigt hat er ihn? Bist du denn auch sicher? Er wird ihn doch nicht beim Namen genannt haben?«
»Nein«, sagte Opitz, dessen gute Laune durch seiner Frau Neugier eher gesteigert als gemindert wurde, »nein, er nannte keinen Namen. Aber es war so gut, als ob er ihn genannt hätte, denn alles sah nach der Ecke hin, wo die Menzens saßen. Und die Alte nickte mit dem Kopf, als ob sie jedes Wort unterschreiben wolle. Freilich weiß ich, daß es nichts zu bedeuten hat, ihr steckt noch so was Polnisches im Blut, kriecht und scherwenzelt immer hin und her und kann keinem ins Gesicht sehen, und von alldem, wovon der Lehnert zuviel hat, hat sie zuwenig. Alte Hexe, verschlagen und heimtückisch und feige dazu.«
»Sie taugt nicht viel. Aber du wirst doch dem Sohne die Mutter nicht anrechnen wollen?«
»Nein«, lachte Opitz. »Das nicht, und ist auch nicht nötig, denn er trägt an seinem eignen Bündel gerade schwer genug. Er trotzt mir, und weil er, außer der Denkmünze, auch noch das Ding, die Schwimmedaille, hat, ich sage die Schwimmmedaille, denn von Retten war keine Rede, und weil es, Gott sei's geklagt, nahe dran war, daß er das Kreuz kriegte, spielt er sich mir gegenüber auf den Ebenbürtigen und den Überlegenen aus. Ich wette, er wildert bloß, um mir einen Tort anzutun; er könnte die Dummheit sehr gut lassen, bei der ohnehin nicht viel rauskommt, aber es macht ihm Spaß, mir so unter der Nase hin ein Wild wegzuknallen. Das ist es. Aber ich denke, die zwei Monat in Jauer werden ihm gezeigt haben...«
»Du bist zu streng, Opitz.«
»Unsinn! Streng! Was heißt streng? Ich tu meine Pflicht.«
»Zu sehr. Du müßtest auch mal ein Auge zudrücken.«
»Bah, Bärbel, du redest, wie du's verstehst. Auge zudrücken. Dazu bin ich nicht da, dazu bin ich nicht in Dienst und Lohn. Ich sage ›Lohn‹, ein gutes, altes Wort, das die dummen Neumod'schen nicht mehr hören wollen. Ich bin dazu da, die Augen aufzumachen. Und tu meine Pflicht zu sehr, sagst du! Als ob man jemalen seine Pflicht zu sehr tun könnte. Man kann sie falsch tun, am unrechten Fleck, soviel geb ich zu; tut man sie aber am rechten Fleck, so ist von ›zu sehr‹ keine Rede mehr. Die Gesetze sind nicht dazu da, daß Hinz und Kunz mit ihnen umspringen. Das verloddert bloß. Ich bin nicht so dumm, daß ich mir einbildete, wenn der Rehbock geschossen wird, geht die Welt unter. Nein, die Welt geht nicht unter. Aber Ordre parieren geht unter, Ordre parieren, ohne das die Welt nicht gut sein kann. Und heut am wenigsten, wo jeder denkt, er sei Graf oder Herr und könne tun, was ihm beliebt, und sei kein Unterschied mehr. Das ist die verdammte neue Zeit, die das Maulhelden – und Schreibervolk gemacht hat, Kerle, die keinen Fuchs von einem Hasen unterscheiden können, trotzdem sie beides sind. Geh mir damit. Ich weiß, was ich zu tun hab. Und dieser Bengel, dieser Herr Lehnert Menz, gehört auch mit dazu, hat die Glocken läuten hören, schwatzt und quatscht von Freiheit, will nach Amerika gehen und hat keine Ahnung davon, daß sie da drüben noch ganz anders heran müssen als hier, sonst holt sie der Teufel erst recht und lacht sie mit ihrer ganzen Freiheit aus. Ich sage dir, hier ist es am besten, hier, weil wir Ordnung haben und einen König und eine Armee und Bismarcken. Ich sage dir, was die Richtigen sind da drüben, die lachen, wenn sie von Freiheit hören; denn die wissen am besten, daß nichts dahinter ist. Ich bin ein Mann in Amt und Dienst, und meinen Dienst tu ich, und wenn es mir ans Leben geht.«
»Sprich nicht so! Beruf es nicht!«
»Unsinn! Unsere Stunden sind gezählt, und wir können uns keine zulegen und keine wegnehmen.«
»Doch, doch«, sagte die Frau.
Fünftes Kapitel
Der Förster war unter diesem Gespräch ans Fenster getreten und sah auf die hart an seinem Vorgarten vorüberführende Fahrstraße. Jenseits derselben, dem Blick entzogen, floß die tief eingebettete Lomnitz, und man hörte nur ihr Hinschäumen über das Steingeröll. Opitz öffnete das Fenster, um frische Luft zu schöpfen, nahm ein Kissen und wollte sich's eben bequem machen, als er, Lehnerts gewahr werdend, unwillkürlich zurücktrat, aber doch nur so, daß er, von der Straße her, immer noch deutlich gesehen werden konnte. Lehnert sah ihn auch wirklich und hob seinen Zeigefinger nachlässig und wie zu halbem Gruß bis an den Schirm seiner Mütze.
»Wie der Kerl nur wieder grüßt«, rief Opitz seiner Frau zu. »Hast du gesehen, Bärbel?