Ich starrte ihn an, brannte darauf mehr zu erfahren. Doch er ließ sich Zeit, musterte mich, genoss meine offensichtliche Aufregung.
„Sicher fragst du dich, warum ich dich so dringend herbeordert habe.“
Ein weiteres Mal nickte ich, bekam wieder kein Wort heraus.
„Nun, der Grund ist ein hochbrisanter Neuzugang, der allerdings noch nicht ganz sicher ist.“
Trotz meiner Unruhe wurde ich neugierig. Ein potenzieller Neuzugang also. Freilich nichts besonderes, sondern unser täglich Brot, um das sich normalerweise auch der Chef nicht höchst selbst kümmert. In dem Falle aber schon, was mich reizte.
„Ein Sektenführer und bestenfalls sogar seine Jünger. Einige hundert um genau zu sein.“
Ich prustete beeindruckt Luft aus. Das war aber mal ne Hausnummer.
„Und da kommst du ins Spiel.“
„Ich?“
„Natürlich du“, begann er grinsend. Du bist mein bester Hunter. Ich traue dir diese Aufgabe durchaus zu.“
Das freute mich, machte mich verdammt stolz. Wer hört nicht gerne von seinem Chef, er sei sein bester Mann? Genau.
Jetzt ist es wohl an der Zeit ein paar Worte über unser Geschäftsmodel zu verlieren. Was machen wir? In wenigen Sätzen ist das erzählt. Wie viele andere Unternehmen auch bieten wir eine Dienstleistung an? Gegen einen geringen Obolus, dem Verkauf der eigenen Seele, kann jedermann zu Lebzeiten in Luxus leben, milliardenschwer, ein berühmter Filmstar oder Sportler sein, Playboy, gefragtes Topmodell, was auch immer. Dazu muss man nur seine Seele der Unterwelt verschreiben. Vielleicht schockiert euch das, aber was habt ihr erwartet? Ich bin ein Dämon und mein Boss ist der Fürst der Hölle. Wir gehen auf Seelenfang. Und was soll ich sagen? Unser Geschäft boomt. Der große Teil der Menschheit liebt das schnelle Geld, den schnellen Ruhm. Die wenigsten wollen dafür arbeiten – da kommen wir ins Spiel. Wir erfüllen diese Träume. Im Leben hat alles seinen Preis. Einen Kredit müsst ihr ja auch zurückzahlen, nicht wahr?
Wie dem auch sein, er sprach mich bei meiner Ehre an und ich liebe meinen Job. Wie ein eitler Gockel plusterte ich mich auf. Er hatte mich.
„Okay“, sagte ich. „Wie ist der Status?“
„Anwärter Stufe Eins.“
Ich stutzte. Nur ein Anwärter der Stufe Eins? Ich dachte, der wäre weiter. Für unsere Zugänge haben wir vier Einteilungen. Fangen wir klein an! Zu einem Anwärter der Stufe Eins haben wir noch nicht einmal Kontakt aufgenommen. Ein Anwärter ist, wie der Name schon sagt, noch ohne Vertrag, seine Seele ist also noch sein Eigentum, allerdings stehen wir bereits mit ihm in Verbindung. Ein Aktiver ist jemand, dessen Vertrag unterzeichnet wurde und der zurzeit die Vorzüge seines Handels genießt. Zu guter Letzt gibt es noch den Einlöser, gemeinhin nennen wir den auch Brenner. Ich muss nicht extra erklären warum, oder?
Doch zurück zum eigentlichen! Warum nur einer der Stufe Eins?
Meinen fragenden Blick deutete er richtig und begann zu erklären. „Diesem Burschen ist es bisher ohne unsere Hilfe gelungen. Momentan laufen ihm aber die Jünger davon. In den letzten vierundzwanzig Stunden schrumpfte seine Gefolgschaft um mehr als die Hälfte. Und da kommst du ins Spiel!“ Er wartete einen Augenblick, in dem er sich umdrehte und langsam zu seinem Schreibtisch schlenderte. Dort sank er beinahe theatralisch nieder, ließ die Fingerknöchel knacken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
Ich starrte ihn weiter an, immer noch sparsam mit meinen Worten. Aber längst nicht mehr so nervös wie anfangs.
„Biete ihm das übliche Paket an. Ich glaube, du kriegst ihn, wenn du ihn beim Thema Macht packst.“
Ich nickte zustimmend.
„Was mache ich mit meinen anderen Klienten?“, fragte ich, denn ich hatte freilich nicht nur ein Pferdchen am Laufen.
Kurz dachte er darüber nach. Wirklich nur sehr kurz. „Routinekandidaten kannst du abgeben, wichtige Kundschaft legst du bitte erstmal auf Eis.“
„Aha“. In Gedanken sortierte ich mein Auftragsbuch bereits in Routine und Non-Routine, schob dem einen diesen Fall, dem anderen Kollegen jenen Fall zu. Ich hatte auch eins, zwei Problemfälle und wusste auch da, wem ich die aufs Auge binden konnte. Ja, ihr seht recht, da ist wirklich ein hämisches Grinsen in meinem Gesicht. Da gibt es einen speziellen Kandidaten. Einen Schleimscheißer, einen Arschkriecher. Der soll sich damit rumplacken. Schaut mich nicht so an! Und erzählt mir nicht, ihr habt nicht auch so ein Arschloch in eurer Abteilung! Solche Vögel gibt es überall.
Zurück zum eigentlichen!
Ich starrte ihn über den Schreibtisch hinweg an, hinter dem er eben Platz nahm. Er fläzte regelrecht. Die Hände immer noch hinterm Kopf verschränkt, die Füße auf dem Tisch. Er schien eine Melodie im Kopf zu haben, denn sie bewegten sich rhythmisch hin und her.
„Die Akte“, unterbrach ich seine Entspanntheit. Allmählich wollte ich verschwinden. Auch wenn das Meeting erfreulicher ablief, als viele andere zuvor. Dennoch hielt mich nicht allzu viel hier.
„Richtig, die Akte“, er schaffte es ohne seine Körperhaltung groß zu verändern an seinen Schrank, streckte den Arm aus, schob das Fach auf, fingerte blindlings darin herum, förderte einen fingerdicken Ordner zu Tage, schlug das erste Blatt auf, nickte zustimmend und warf mir dann den ganzen Käse entgegen.
Fangen konnte ich, also nichts wie raus hier!
Nur Minuten später war ich zurück in meinem Büro, verrammelte die Tür hinter mir, ließ das Rollo runter, damit keiner vom Korridor reinlinsen konnte und setzte mich an meinen Schreibtisch. Die letzten Minuten hatten mich sehr ausgelaugt. Ich war fertig und wollte nur noch schlafen. Meine Montage waren immer anstrengend, heute besonders. Montags könnte ich kotzen, sagte ich das schon?
Dennoch nahm ich mir die Akte meines neuen Kunden vor. Neugier? Und ob. Aber auch nicht wenig Bammel vor meinem Chef. Der schien das immer irgendwie zu riechen, wenn man rumtrödelte.
Seite für Seite las ich aufmerksam. Eigentlich nichts außergewöhnliches. Schon hunderte Male gesehen. Freilich interessierte mich nicht sein kompletter Lebenslauf, für uns ist das völlig irrelevant. Aber einen kleinen Ausflug in die Gesetzlosigkeit hier, einen Abstecher da. Daraus kann ich viel mehr lesen, als aus solchen blöden Daten wie Geburtsort, schulischer Werdegang, wo und wie lange was gearbeitet wurde. Mit ein wenig Feingefühl lese ich seinen Charakter, seine Eigenarten. Und mit noch mehr Feingefühl, und das habe ich dank meines jahrhundertlangen Erfahrungsschatzes, erkenne ich daraus, wie ich ihn anzupacken habe.
Also wollte ich mich eine Strategie überlegen, doch das denken fiel mir heute nicht leicht, irgendwie war ich nicht richtig auf dem Damm. Ich werde doch nicht in die Jahre kommen? Zugegebenermaßen bin ich mit meinen knapp achthundert Jahren nicht mehr der frischeste, aber doch noch längst kein alter Sack, oder? Ich kann mich noch auf vier, fünf Jahrhunderte freuen. Woran liegt das also? Ich versuchte mich damit zu beruhigen, dass ich beschissen schlief. Die letzte Nacht war alles andere als erholsam gewesen. Immer angestrengter starrte ich auf die Akte, die einzelnen Blätter verschwommen zu riesigen, hellen Klecksen, die Buchstaben zu unleserlichem Salat. Mir wurden die Augen so schwer, ich konnte sie nur mit Mühe aufhalten.
Irgendwann sprang ich wie von der Tarantel gestochen auf – ich muss kurz eingenickt sein, ein dünner Speichelfaden hing mir am Kinn. Schluss jetzt, so konnte es nicht weitergehen! Ich brauchte einen Muntermacher!
Mit müden Schritten verließ ich mein Büro in Richtung Cafeteria. Wie, ihr glaubt mir nicht? Denkt ihr, nur weil wir Dämonen aus der Hölle sind wären wir nicht kultiviert? Da täuscht ihr euch aber. Auch wir haben diverse Köstlichkeiten hier unten. Kaffee, Kuchen, Pralinen, all so feines Zeugs. Nur mit Eis gestaltet es sich schwierig und dabei könnte ich meine Seele für Stracciatella verkaufen. Aber einen Kaffee