Zahlreiche E-Mails erreichten mich, als ich in „James Bond XXL“ bei der Homosexualität von Mr. Wind und Mr. Kidd aus „Diamantenfieber“ (1971) als Abnormität sprach. Heutzutage ist gleichgeschlechtliche Liebe nichts Besonderes mehr, doch sollte man Wint und Kidd als erstes schwules Pärchen auf der Leinwand vor dem Hintergrund der 1970er Jahre sehen, als Homosexualität strafbar war. Der Kontrast zum Frauenverführer Bond war sehr deutlich, und als Wint und Kidd in ihrer ersten Szene händchenhaltend durch die Wüste spazierten, war jedem Zuschauer klar, dass es sich um Bonds Gegner handelt. Und auch hier stimmt das Muster, nach dem Wint und Kidd durch ihre „Andersartigkeit“ im Vergleich mit 007 Nachteile haben, die zu ihrem Tod führen: Bond erkennt das Parfüm von Wint wieder, als dieser mit einer Weinflasche neben ihm steht: „Riecht ziemlich kräftig. Nicht der Korken. Ihr Aftershave. Zu süß und zu schwul. (...) Ihr Aftershave habe ich schon mal gerochen und beide Male sah ich eine Ratte.“ Die Killer sind enttarnt und werden abserviert. Hinzu kommt, dass Bond Wint zunächst mit einer Bombe die Hoden einklemmt, bevor er ihn tötet, was sich wieder mit dem deckt, worum es in diesem Kapitel geht: Die „Abnormität“ (nach damaliger Ansicht) wird dem Schurken zum Verhängnis.
Über Wint und Kidd kann man heutzutage eher lachen als sie als bedrohlich zu empfinden. In einer repräsentativen BRAVO-Umfrage (Ausgabe 14/1997) heißt es, 25 Prozent aller Jungen zwischen 14 und 17 hätten schwule Erfahrungen gemacht. Zwei Prozent gaben an, sie seien schwul, 68 Prozent hätten nichts gegen Schwule. Der Kinsey-Report400 stufte 1948 zwischen 90 und 95 Prozent der Bevölkerung als „bis zu einem gewissen Grad bisexuell“ ein. Vielleicht sehen wir James Bond - der bekanntermaßen immer der Zeit voraus ist - in einem folgenden Film auch mal einen Mann küssen („Für England, James.“).401
Einen kleinen Schritt in diese Richtung ist man schon gegangen. In „Skyfall“ (2012) beginnt der Schurke Raoul Silva damit, James Bond, der an einen Stuhl gefesselt ist, zu streicheln. Silva meint zu 007: „Irgendwann ist immer das erste Mal.“ Bond reagiert unerwartet: „Wie kommen Sie auf die Idee, das wäre mein erstes Mal?“.
Schon in Flemings Romanen war Homosexualität ein Thema. In „Liebesgrüße aus Moskau“ diskutiert 007 mit Captain Troop darüber, mehr Intellektuelle beim MI6 zu beschäftigen. Troop daraufhin zu Bond: „Sie schlagen also vor, dass wir die Organisation mit langhaarigen Perversen besetzen sollen. (...) Ich dachte, wir wären uns einig, dass Homosexuelle das größtmögliche Sicherheitsrisiko darstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Amerikaner einer Gruppe parfümierter Schwuchteln Atomgeheimnisse anvertrauen würden.“
Bond: „Nicht alle Intellektuellen sind homosexuell. Und viele von ihnen haben eine Glatze.“
(Ian Flemings Nachbar auf Jamaika, Noël Coward402, war homosexuell und hatte eine Glatze.)
Dieses Kapitel will ich nicht abschließen, ohne auf die Leiden einzugehen, die Bond ertragen muss, wenn er mit seinen brutalen Gegnern konfrontiert wird.
Dass James Bond Schmerzen kennt, kann man sich bei dem, was er in den Filmen und in den Romanen durchmacht, gut vorstellen. Dennoch kann man ihn nicht als Masochisten bezeichnen. Besonders in den Filmen mit Pierce Brosnan ist das Thema Folter gegenwärtig. Als 007 und Xenia Onatopp in „GoldenEye“ (1995) in einem türkischen Bad aneinander geraten, ist die Konfrontation eine Mischung aus sexueller Anmache und Kampf. Beide küssen sich, dann wieder beißt Onatopp Bond die Lippe blutig. 007 sagt danach sogar: „Schluss mit dem Vorspiel.“
Bond kommt später im Film ironisch auf Folter zu sprechen: „Tja, das ist das Problem von heute. Keiner will sich mehr Zeit für ein richtig finsteres Verhör nehmen. Eine verloren gegangene Kunst.“403 Zur Gewaltanwendung kommt es in diesem Film nicht, dafür aber in „Der Morgen stirbt nie“ (1997): Elliot Carver will Bond und Wai Lin dem Folterknecht Stamper überlassen:
Carver: „Mr. Stamper ist Schüler des verstorbenen Mr. Kaufman, der ihn die alte Kunst der Chakra-Folter gelehrt hat.“
Stamper: „Er war für mich wie ein Vater.“
Bond: „Wirklich? Psychologisch sehr interessant.“
Carver: „Nach der asiatischen Philosophie hat der Körper sieben Chakra-Punkte404 - Energiezentren, wie das Herz oder die Genitalien. Der Sinn dieser Instrumente ist es, diese Organe zu sondieren, größtmöglichen Schmerz zuzufügen und das Opfer gleichzeitig so lange wie möglich am Leben zu lassen.“ Wieder kommt es nicht zu brutalen Szenen, wie Carvers Beschreibungen befürchten lassen, Bond und Lin fliehen.405
Der antike Folterstuhl von Elektra King in „Die Welt ist nicht genug“ (1999), eine originalgetreue Nachbildung, erinnert an die Szene aus „Goldfinger“ (1964), als Bond auf Goldfingers Lasertisch festgebunden ist und der tödliche Laserstrahl zwischen seinen gespreizten Beinen nach oben wandert. Bei Elektra King, mit der 007 schon sexuelle Abenteuer erlebt hat, entwickelt sich die Szene anders. Bei der Strangulation meint Bond: „Ich bekomm' einen steifen...Hals.“ (Originalzitat: „One...last...screw.“ ).406 In der Tat ist bekannt, dass es bei einer Strangulation durch die Position, in der sich der Körper beim Todeszeitpunkt befindet und in der er verharrt, zur postmortalen Erektion kommen kann. Der Irrglaube, eine Erektion habe primär mit Strangulation zu tun, kommt daher, dass beide Faktoren oft zusammen auftreten, denn der Mann, der durch Erhängen gestorben ist und in der Todesposition verbleibt, hat durch den ausbleibenden Herzschlag keine gleichmäßige Blutverteilung im Körper. Die Erektion kommt durch einen Stau des abfließenden Blutes zustande. Das Blut sammelt sich an den am tiefsten liegenden Stellen des Körpers zuerst. Dort entstehen Ödeme und Schwellungen. Tiefer gelegene Körperteile wie die Füße füllen sich bis zu ihrer elastischen Belastungsgrenze mit Blut, danach staut sich das Blut die Beine aufwärts bis in die Hüften. Das Blut sammelt sich nun unter anderem im Penis, der in Folge des Bluteinstromes erigiert.
Elektra erfreut sich am Quälen und zeigt damit eine Störung der Sexualpräferenz, den Sadismus. In der Romanliteratur trifft dies auch auf Stamper zu. Er foltert Prostituierte bis zum Tode und filmt dies.407
In „Stirb an einem anderen Tag“ (2002) wird die Verbindung zwischen Lust und Schmerz durch den Titelvorspann von Daniel Kleinman deutlich: Nichtvorhandene, geisterhafte Frauenhände erscheinen als Bond durch Hitze und Kälte quälende Dämonen. In Madonnas Titelsong „Die Another Day“ fällt der Name Siegmund Freud. Der Vater der Psychoanalyse sah in allem einen sexuellen Hintergrund. (Freud wurde schon in „GoldenEye“ (1995) erwähnt:
Bond: „And all so mad little Alec can settle a score with the world 50 years on.“
Trevelyan: „Please, James! Spare me the Freud.“)408
Aber noch immer können Bonds Leiden gesteigert werden. Im Film „Casino Royale“ (2006) peitscht Le Chiffre 007 die Hoden aus. Nachdem Bond seinen ersten Schlag eingesteckt hat, möchte er noch einen weiteren.
007: „Ich hab' so ein kleines Jucken da unten. Hätten Sie wohl die Güte?“ Le Chiffre schlägt zu.
Bond: „Nein, nein, weiter rechts, weiter rechts, weiter rechts.“
Le Chiffre: „Sie sind ein witziger Mann, Mr. Bond.“
Le Chiffre schlägt erneut zu.
Bond: „Ja, ja, ja (lacht) [mit Erregung vergleichbare Ausrufe]. Was ist, wenn die Welt erfährt, dass Sie gestorben sind, als Sie mir die Eier massiert haben?“
Diese Folterszene geht auf den ersten Bond-Roman Flemings zurück, in dem Le Chiffre Bond mit einem Teppichklopfer auf die Genitalien schlägt. Nachdem 007 seinen ersten Schlag erhalten hat:
„Bonds ganzer Körper zuckte in einem unfreiwilligen Krampf zusammen. Sein Gesicht verzog sich zu einem tonlosen Schrei, und seine Lippen gaben die Zähne frei. Gleichzeitig flog sein Kopf zurück, und an seinem Hals traten die kräftigen Muskeln hervor. Für einen Augenblick hatten sich sämtliche Muskeln seines Körpers zu Knoten zusammengezogen, und Zehen wie Finger krümmten sich, bis sie schneeweiß