Karl winkte ab: „Nicht so förmlich, ich bin nicht als Würdenträger hier. Ähm… sagt mir doch bitte, kennt ihr die beiden Wachen, die soeben nach Hause gegangen sind?“
Bjarn zog beide Augenbrauen hoch: „Aber sicher doch, sie sind hier Stammgäste. Das sind Lans und Max.“
Karl nickte: „Und welcher der beiden ist der Ältere?“
„Das wird dann wohl Lans sein. Warum fragt Ihr? Hat das was mit dem Dämonenjäger zu tun?“, Bjarn kam nicht umhin, neugierig zu werden.
Jetzt war es am Richter, fragend drein zu blicken: „Der Dämonenjäger? Wieso?“
Bjarn zuckte mit den Schultern: „Na, der Dämonenjäger hat sich mit ihm und seinen Kumpels ausführlich unterhalten, ich schätze mal wegen der Sache mit dem armen Irren. Aber vor allem mit Lans.“
Der Richter nickte langsam und verlangte nach einem guten, kräftigen Rotwein, den er auch umgehend bekam. Er nahm einen großen Schluck, und sah den Wirt ernst an: „Und hat der Dämonenjäger irgendetwas gesagt, was Lans anging?“
Bjarn schüttelte den Kopf: „Nein, er schien recht zufrieden mit dem Gespräch gewesen zu sein. Stimmt etwas nicht? Ich bin zwar nicht mehr ganz der Alte, aber falls…“
Der Richter leerte den Becher in großen Schlucken und schüttelte den Kopf: „Es ist vermutlich nichts.“
Bjarn beugte sich zu ihm vor und sprach wesentlich leiser: „Und weshalb habt Ihr Euch nach den freien Räumen in meinem Haus erkundigen lassen?“
Der Richter hielt inne und sah Bjarn dann durchdringend an: „Ich denke, Ihr wisst sehr gut, warum.“
Bjarn richtete sich auf und atmete tief durch: „Das gefällt mir nicht.“
Karl seufzte: „Ich denke, das wird hier niemandem gefallen. Es ist gewiss nicht unsere Schuld, was dort drüben passiert“, er deutete mit dem Kopf dezent in Richtung des Klosters, „aber man wird uns gewiss irgendetwas unterstellen. Vielleicht solltet Ihr Eure Frau für eine Weile…“
Bjarns Gesicht verfinsterte sich und er grollte leise: „Meine Frau geht nirgendwohin. Das ist unser Zuhause. Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen…“
„…außer so zu sein wie sie ist“, beendete der Richter leise. „Ihr habt unübersehbar Vorfahren im Norden, sie ist eine Kräuterfrau mit Spuren von Feenblut und Euer Sohn ist demnach auch ein ganz besonderes Früchtchen, wenn Ihr mir den Ausdruck verzeiht. Man wird euch alle ganz besonders genau unter die Lupe nehmen.“
Bjarn verschränkte die Arme vor der Brust: „Dann erwarte ich von Euch, dass Ihr für Gerechtigkeit sorgt, Herr Richter, und die Unschuldigen vor Willkür schützt.“
Karl seufzte erneut: „Glaubt mir, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um die Angelegenheit für unsere Stadt möglichst… ereignislos zu regeln. Aber wir wissen beide, wenn sich die Stadtherren nicht mit dem Orden streiten wollen – wovon ich ausgehe –, dass dann das Kräfteverhältnis eindeutig nicht zu meinen Gunsten ausfallen wird.“
Selbst wenn er die Oberin auf seine Seite ziehen konnte, würde er nicht viel gegen die Macht des Ordens ausrichten können, erst recht nicht, wenn sie mit einem ausreichend großen Trupp bewaffneter und kampfbereiter Männer anrücken würden. Die Schwesternschaft konnte sich zwar im Notfall verteidigen, aber gegen eine Armee konnten sie nicht viel ausrichten. Sie waren Heilerinnen und Seelsorgerinnen, keine Soldaten. Und selbst wenn zusätzlich zur Stadtwache alle Männer und so manche Frau der Stadt mit Waffen ausgerüstet werden würde, wie man es normalerweise nur im Falle eines Krieges tat, gegen die kampferprobten, gut ausgebildeten und bestens ausgerüsteten Ordenskämpfer hatten sie wenig Chancen. Erst recht nicht, wenn diese Kämpfer sich bereits in der Stadt befanden und das Leben der Kinder und die gesamte Existenz der Leute auf dem Spiel stand. Den Zorn der Rächer auf sich zu ziehen hatte noch keiner Stadt gut bekommen.
Bjarn knurrte leise und nickte: „In Ordnung, ich werde das Thema meiner Frau gegenüber ansprechen. Wenn sie für eine Weile fortgehen will, dann wird Osterik sie begleiten. Wenn nicht, dann hoffen wir, dass Ihr uns alle nicht im Stich lassen werdet.“
Der Richter spürte einen kalten, harten Klumpen in seinem Bauch und nickte: „Wie gesagt, ich werde alles mir mögliche tun. Passt auf Euch auf.“
Mit diesen Worten ließ er einige Münzen auf den Tresen fallen, und verließ eilig das Wirtshaus. Er hasste es, guten Menschen schlechte Nachrichten zu überbringen, und er hasste es, derartiges unvorbereitet tun zu müssen. Er verwünschte den Tag, an dem das Kloster gefallen war, und er verwünschte die Dämonen dafür, dass sie sich ausgerechnet dieses Kloster ausgesucht hatten. Dann fiel ihm auf, dass es beinahe Nacht geworden war, also machte er sich auf den Weg nach Hause. Zu dieser späten Stunde noch den Wachmann aufzusuchen, der nach einem anstrengenden Tag und ein paar Bier sicherlich bereits zu müde für eine Unterhaltung war, hatte keinen Sinn. Und Karl wusste nicht einmal, was er den Mann fragen wollte. Es war wohl besser, den folgenden Tag abzuwarten und sich Gedanken zu machen.
Kapitel 8
Die Stadt kam langsam zur Ruhe. Die meisten ihrer Bewohner waren bereits eingeschlafen, und die Nachzügler kehrten aus den Schenken in ihre Häuser zurück. Die Wolken wichen mehr und mehr dem aufziehenden Wind und das Wetter schien endlich umgeschlagen zu sein. Unter dem Licht des roten und grauen Mondes wirkte der Nachthimmel jedoch unheilvoll und so manches alte Weib wünschte sich die Wolkendecke zurück, die sie vor ihren finsteren, wahnsinnigen Blicken verbergen würde. Die Konstellation war ein düsteres Omen, für alle, die die Zeichen am Himmel in Bezug auf die Ereignisse auf der Erde deuten konnten. Ein merkwürdiger, süßlicher Geruch hing in der Luft, tänzelte mit den Windböhen und Luftzügen herum, in inniger Umarmung mit der Wärme, welche die kommende Zeit der Blüte ankündigte.
So verwunderte es Bjarn nicht, seine Frau in ihrer Kammer vor einem intensiv duftenden Häufchen aus glimmendem Räucherwerk in einer tönernen Schale vorzufinden. Sie kniete auf dem Boden, inmitten eines mit Kreide auf den Holzdielen aufgezeichneten, fünfzackigen Sterns, und umgeben von einem dünnen Kreis aus Salz. Kleine, kreisrunde Schälchen aus Ton standen an den Spitzen des Sterns, gefüllt mit klarem Wasser, warmer Asche, lockerer Erde, Honig und nichts als Luft.
Bjarn blieb im Türrahmen stehen und beobachtete sie. Sie schien nicht auf seine Präsenz zu reagieren, summte leise eine Melodie vor sich hin, die sich hypnotisch in sie hinein wand, wie eine Schlange, die ihren eigenen Schwanz fraß. Er wusste, in solchen Momenten hatte es keinen Sinn, sie anzusprechen. Sie würde ihn in ihrer Versunkenheit nicht hören. Also blieb er geduldig stehen, während sein Gemüt sich immer mehr verfinsterte. Ausgerechnet jetzt den Blutmond zu erblicken, nach den Warnungen des Richters und den unheilvollen Ereignissen im Kloster, das war ihm nicht geheuer. Und zugleich spürte er, wie sich das Blut seiner Vorfahren in ihm regte. Auch wenn Generationen zwischen ihm und seinem legendären Ahnen des Kanidenvolkes Marên lagen, manchmal spürte er das Temperament, den Zorn, die blutrünstige Raserei. Seine Frau war eine der wenigen, die ihn dann zu Sinnen bringen konnte. Sie konnte die Bestie in ihm besänftigen, der er so viele Siege auf dem Schlachtfeld zu verdanken hatte, aber auch so manche unrühmliche Szene abseits davon. Er liebte sie so sehr, dass er niemals die Hand gegen sie erhoben hatte oder je erheben würde. Und nun sollte er sie wegschicken?
Als ob sie spürte, dass seine Gedanken sich um sie drehten, sah sie ihn plötzlich an – doch ohne das besondere Lächeln auf den Lippen, das sie nur für ihn hatte. In ihren Augen standen Sorge und auch der Anflug von Angst. Er hatte noch nie diese Art von Angst in ihrem Gesicht gesehen und das fachte die Glut des Zorns in seinem Inneren weiter an.
„Der Richter sagt, es wäre besser, wenn ich alleine hier bliebe, ohne dich und Rik. Was denkst du?“, grollte er leise in seinem tiefen Bass. An seiner Stimme war klar zu erkennen, dass er in seinem Inneren nach Fassung rang.
Sie