Eine signifikante Form des Wandels betrifft Kafkas Umgang mit der Zeit. Sie spielt in fast allen Geschichten zweifach eine Rolle: erstens durch direkte oder indirekte Nennung, wie in „Der Prozess“ die Turmuhr und K. Zeitirrtum in der Kirche oder die lebenslange Wartezeit des Besuchers vor dem Türwächter. Zweitens durch Bruch mit der Erzählebene, das Ineinandergreifen von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. „Was die Zukunft an Umfang voraus hat, ersetzt die Vergangenheit an Gewicht und an ihrem Ende sind beide nicht mehr zu unterscheiden.“ Die innere Zeiterfahrung koppelt er an Räume, so werden Stunden zu Zimmern oder der Keller zur Mitternacht.
Es fällt auf, dass die Zukunft räumlich, die Vergangenheit mit Schwere beschrieben wird, die Bilder folglich zwei Ebenen enthalten. Weiter in der Notiz: „So schließt sich fast dieser Kreis, an deren Rand wir entlang gehen. Nur dieser Kreis gehört uns ja, gehört uns aber nur so lange wir ihn halten. Rückten wir nur einmal zur Seite in irgend einer Selbstvergessenheit, in einer Zerstreuung, einen Schrecken, ein Erstaunen, eine Ermüdung, schon haben wir ihn in den Raum verloren.“
Der Kosmos als auch die Zeit in Expansion und Kontraktion wird durch die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse (die Kafka immer verfolgte) neu ausgelegt. Kafka interagiert mit verschiedenen Ebenen und wandelt das Bild innerhalb eines größeren Gebildes (Idee), das er entwickelt.
Wandel besteht auch innerhalb der Sprache wenn sie Ich, Zeit- und Raumerfahrung verknüpft: „Ich bin ja wie aus Stein, wie mein eigenes Grabdenkmal bin ich, da ist keine Lücke für Zweifel oder für Glauben, für Liebe, Widerwillen … nur eine vage Hoffnung lebt, aber nicht besser, als die Inschriften auf den Grabdenkmälern.“65 Die Metapher Lücke verbindet örtliche und temporale Funktionen: ohne Materie (Inschrift) und ohne Schwerlast (Stein) zu sein, Denkmal ist Grabmal und zugleich Metapher für Zweifel. Unmittelbar auf den Traumeintrag folgt die Bemerkung: „Meine Zweifel stehen um jedes Wort im Kreis herum.“ Und: „Meinem Schreiben haftet Leichengeruch an.“
Kafka fasst sein Innenleben in ein Kaleidoskop von Metaphern, die sich wechselseitig erhellen und nicht als Absolutes stehen. Einzelne Erzählungen stehen zumeist im Zusammenhang mit dem Gesamtwerk, zu dem auch die Tagebücher als literarisches Experiment zählen. Für Kafka existieren weder Anfangs- noch Endpunkt, sondern Durchgang, Störung, Neuanordnung. Daher setzen seine Geschichten unmittelbar ein und enden abrupt. Kafka erzeugt im Denken „Selbst-Kannibalismus“ (Sontag). In diesen Verwandlungen regiert der Sinn für das Vergebliche wie die Lösung eines Problems, das gar nicht existiert. „Für solche Störungen müssen eigentlich gar keine Gründe vorhanden sein in den heutigen Verhältnissen entscheidet hier oft ein Nichts.“66
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