Böse ist der Mensch, nicht gut?
- Kurzgeschichten -
Von Ekkehard Wolf
Vorbemerkung
Es gibt Situationen im Leben, da muss man sich entscheiden. Sie wissen, wovon ich rede. Jetzt zum Beispiel. Eigentlich sind Sie schließlich ein guter Mensch, oder? Also jedenfalls gelegentlich, nicht wahr? Dass Sie trotzdem ausgerechnet diesen Titel angeklickt haben, ist daher ganz leicht zu erklären. Sie interessieren sich dafür, wie der andere Teil der Menschheit so tickt, richtig? Nun gut, ich denke, dann sind Sie hier prinzipiell richtig. Die kleine Sammlung böser Geschichten wird Ihre Zeit nicht allzu lange in Anspruch nehmen. An der einen oder anderen Stelle werden Sie sich vermutlich fragen, ob das alles so stimmen kann. Machen Sie sich darüber dann bitte nicht allzu viele Gedanken. Es gibt Dinge, die geschehen einfach. Natürlich steht es Ihnen frei den Versuch zu machen, den Wahrheitsgehalt der Geschichten zu recherchieren. Aber lassen Sie sich von den Ergebnissen nicht verunsichern. Das Leben geht bekanntlich weiter – jedenfalls für die diejenigen, die vorsichtig genug waren, zu wissen, wann sie besser die Finger davon lassen sollten. Für die anderen gibt es Nachrufe. Sie werden selbst feststellen, zu welcher Gruppe Sie gehören. Klicken Sie gern auf „kaufen“.
Kapitel:
Todesengel
Schutzengel
Racheengel
Grenzkontrolle
Lustig ist das Studentenleben
Angst
Verzweiflung
Erpressung
Dunkel war’s, der Mond schien helle, als ein Auto blitzesschnelle, langsam um die Ecke fuhr.
Geheimnisverrat
Auf die sanfte Art
Verzögerung I
Verzögerung II
Nachrichtensperre
Steine des Todes
Vorbei
Männer sind Schweine
Treu bis in den Tod
Abgetaucht
Lockvogel
Einkaufsbummel
Oktoberfestgetümmel
Todesengel
Die Augen der jungen Frau waren geschlossen. Obwohl die Sonne bereits aufgegangen war, schlief sie tief und fest. Ihr langes, blondes Haar lenkte den Blick auf ein mädchenhaft wirkendes Gesicht, dessen ebenmäßige Züge für den Betrachter schön anzuschauen waren. Die Rucksacktouristin hatte sich in ihren Schlafsack wie in eine Decke eingehüllt. In unregelmäßigen
Abständen kam ein Knie, ein Fuß oder ein Arm zum Vorschein. Einmal war sogar das entblößte Bein bis zum Oberschenkel zu sehen gewesen. Allem Anschein nach war die junge Frau eher zierlich gebaut. Wenn überhaupt, dann war die an dem schwer zugänglichen, felsigen Abschnitt des Strandes Liegende nur sehr spärlich bekleidet. Vermutlich war die Abgelegenheit des Strandabschnitts der Grund dafür gewesen, dass sie sich hier Menschenseelen allein zum Schlafen niedergelassen hatte. Die stark befahrene Straße mit all ihrem Lärm drang nicht bis zu der kleinen Bucht. Dafür sorgte das Rauschen des Meeres für eine Geräuschkulisse, die einerseits etwas Beruhigendes an sich hatte, zugleich aber auch dafür sorgte, dass leise Schritte am Strand kaum wahrnehmbar waren.
Die Blicke des Motorradfahrers ruhten bereits seit mehreren Minuten auf diesem Bild. Er hatte an der Straße eigentlich nur kurz gehalten, um zu urinieren. Auch er hatte sich für diese Stelle entschieden, weil er hoffte, hier unbeobachtet zu sein. Diese Erwartung hatte ihn nicht getrogen. Weit und breit war keine Menschenseele zu entdecken. Allein die junge Frau lag da unten, verführerisch wie eine unberührte Blume, die darauf wartete, gepflückt zu werden. Unwillkürlich musste er an das kleine Liedchen denken, dass ihm seine Mutter oft vorgesungen hatte. „Sah ein Knab’ ein Röslein stehn, Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heide...“. Der richtige Text fiel ihm nicht mehr ein. Aber an das Ende vom Lied, an das glaubte er sich ganz genau zu erinnern. Der Biker spürte die Wärme der Sonnenstrahlen und zog es vor, seine schwere Ledermontur zunächst ein wenig zu öffnen. Unschlüssig suchte sein Blick wieder und wieder die Umgebung nach etwaigen Zeugen ab, um dann immer wieder auf der unbekleideten, schlafenden, zierlichen blonden Frau dort unten, nur wenige Dutzend Meter vor ihm am Strand haften zu bleiben. Er ertappte sich dabei, wie er unwillkürlich damit begann, sich vorsichtig seiner schweren Ledergarnitur zu entledigen. Seine Bekleidung darunter beschränkte sich auf ein ärmelloses Hemd und Boxershorts. Der Mann war hoch gewachsen und kräftig gebaut. Seine muskulösen Arme wiesen verschiedene, sorgfältig gestochene Tätowierungen auf, doch für diese interessierte sich in diesem Moment natürlich wirklich niemand. Ein weiteres Mal vergewisserte er sich davon, hier allein und völlig unbeobachtet zu sein und entschloss sich schließlich dazu, den weiteren Weg zur Bucht zunächst mit den Augen zu erkunden. Schnell konnte er feststellen, dass der Abstieg kein Problem darstellen würde. Immer noch etwas zögerlich bewegte er sich sodann vorsichtig in Richtung der schlafenden, jungen Frau mit den glänzenden, blonden Haaren. Bereits nach wenigen Metern musste er aber feststellen, dass der Verlauf des Weges ihm den weiteren Blick auf die Bucht versperrte. Er schaute zurück und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass von hier ab auch der Blick zur Straße verwehrt war. Nach Lage der Dinge würde sich das auf dem weiteren Weg zur Bucht auch nicht ändern. Jetzt war sich der Biker endgültig sicher, dass die schlafende, junge Frau ihren Schlafplatz deshalb ausgesucht hatte, weil sie überzeugt davon war, dort unten allein und völlig unbeobachtet zu sein. Auf dem Gesicht des Bikers zeichnete sich ein zufriedenes Grinsen ab, für das sich in diesem Moment aber ebenfalls niemand interessierte. Er selbst spürte statt dessen, wie sich auf seiner Haut kleine Schweißperlen bildeten, die er mit einer schnellen Handbewegung aus seinem Gesicht wegwischte. Gleich hinter der nächsten Biegung hatte er wieder einen freien Blick auf die schlafende Frau unter ihrem zu einer Decke umgewandelten Schlafsack. Der große, kräftige Biker blieb stehen und duckte sich, ohne den Blick abzuwenden von der jungen, zierlichen, blonden Frau. Sie begann etwas unruhig zu werden. Fast erschien es dem fremden Beobachter so, als ob sie im Begriff war zu erwachen. Tatsächlich räkelte sich das Wesen da vor ihm, drehte sich dann aber auf den Bauch und schob die Decke mit einer schnellen Handbewegung von sich, wachte aber nicht auf. Den Augen des Bikers bot sich nunmehr der Blick auf die komplette Rückseite des Körpers der schlafenden jungen Frau. Wie bereits vermutet, war sie bis auf ein kleines Höschen unbekleidet. Bei den sommerlichen Temperaturen an dieser einsamen Bucht war das, wie der Biker fand, nicht besonders ungewöhnlich. Allerdings trug diese Aufmachung entscheidend dazu bei, seine Begierde zu steigern und seine Vorsicht abzuschalten. Er spürte, wie seine Erregung anstieg. Erneut wischte er sich die Schweißperlen aus dem Gesicht. Leise setzte er einen Fuß vor den anderen und näherte sich unaufhaltsam der auf dem Bauch liegenden Frau am kleinen Strand der einsamen Bucht. Für einen Moment drehte sich die Schlafende auf die Seite und gab so den Blick frei auf den vorderen Teil ihres Körpers. Als sie sich gleich darauf auf die andere Seite drehte, erschien es dem nur noch wenige Schritte entfernten, kräftig gebauten Mann so, als ob sie in der Rückenlage einen Augenblick verharrt hatte. Ganz deutlich hatte er wahrgenommen, wie die junge, zierliche Frau ihren Oberkörper nach oben gestreckt und es ihm so erlaubt hatte, einen kurzen Blick auf ihre wohlgeformten Brüste zu erhaschen. Gerade so, als ob sie ihn ermuntern wolle, nur jetzt nicht aufzugeben. Der Biker spürte, wie sein Atem schneller ging, aber er machte sich deshalb keine großen Sorgen. Ein weiteres Mal vergewisserte er sich, mit der schlafenden Frau direkt vor ihm allein und unbeobachtet an dieser uneinsehbaren und vom Lärm der nahen Straße abgeschirmten, kleinen Bucht zu sein. Inzwischen ging sein Atem so schwer, dass er Sorge hatte, die Frau vor ihm könnte von dem Geräusch erwachen. Die letzten Meter legte er daher jetzt ganz schnell zurück. Angekommen am Objekt seiner Begierde verzichtete er auf jede weitere Vorsichtsmaßnahme. Wortlos stürzte er sich auf die zierliche, junge Frau, die sich genau in diesem Augenblick mit weit aufgerissenen Augen auf den Rücken drehte. Erstaunt nahm er noch zur Kenntnis, dass aus