»Hm. Na, lange wird es ja nicht mehr dauern.«
»Und darf ich fragen, wo du heute Abend warst?«
»Ich war mit Nicole wieder im Holo-Kino, habe ich dir noch vor zwei Tagen gesagt.«
»Ach ja, richtig. Habe ich ganz vergessen.« Das hatte Robert nicht, aber er wollte den Coolen spielen. Aus irgendeinem Grund hielt er das gegenüber seinem Klon für nötig. »Und wie war es?«
»Langweilig. Dafür haben wir uns viel unterhalten. Ich glaube, was meine Beziehung zu ihr angeht, werde ich den nächsten Schritt wagen.«
Robert erstarrte. »Den nächsten Schritt?«
»Ja, ich werde ihr sagen, was ich für sie empfinde.«
Robert rang nach Luft und Worten. »Bist du vollkommen übergeschnappt?«
»Wieso? Du bist doch bald weg. Was kümmert es dich?«
»Aber Hendrik hat mir versichert, dass du nichts dergleichen unternehmen wirst.«
»Na, dann hat er sich eben geirrt.« Robert2 sprach die Worte, als handele es sich um eine völlig belanglose Nebensächlichkeit.
»Aber du bist nur ein Klon und sollst unauffällig mein Leben weiterleben. Ohne eine engere Beziehung einzugehen. Sonst könnte deine wahre Identität auffliegen.«
»Was denn für eine wahre Identität? Ich bin du, das hast du selbst gesagt.«
»Dass du aus einem Reagenzglas stammst, meine ich! Stell dich nicht absichtlich dumm.«
»Sorry, aber ich kann machen, was ich will. Dein Leben ist jetzt mein Leben. Du existierst offiziell gar nicht mehr. Schon vergessen, Marvin?«
Robert lief rot an. »Du überschreitest hier eine Grenze, mein Lieber. Wage es ja nicht, mich zu verarschen.«
»Geht das Theater schon wieder los? Ich will nichts von dir. Ich will nur mein Leben leben. Oder besser gesagt: dein Leben.«
Robert tigerte - sich die Haare raufend - im Wohnzimmer hin und her. »Du musst irgendeinen Defekt haben. Irgendetwas stimmt nicht mit dir. Diese ständigen Aggressionen gegen mich, dein irrer Versuch, mit Nicole eine Beziehung einzugehen. Das widerspricht allem, was mir versprochen wurde.«
»Ruf doch bei der Verbraucherzentrale an und beschwere dich. Ach ich vergaß: Einen Klon zu erschaffen, ist ja illegal. Also was willst du jetzt tun?«
Robert blieb stehen und funkelte seinen Klon hasserfüllt an. »Je mehr ich von dir höre, desto mehr gelange ich zu der Überzeugung, dass du nichts, aber auch gar nichts mit mir gemeinsam hast. Ich bin betrogen worden, das ist es!«
»Glaubst du nicht, du übertreibst jetzt?«
»Ganz im Gegenteil. Aber ich kann immer noch die Reißleine ziehen. Robert dachte an die Worte, die seinem Klon auf der Stelle das Licht auspusten würden.«
Sein Klon wusste, dass er mit diesem Gedanken spielte. »Du würdest mich umbringen, nur weil ich deinen hochgesteckten Erwartungen nicht entspreche? Weil dein Selbstbild offensichtlich vollkommen verzerrt ist? Du willst mich für deine eigenen Unzulänglichkeiten, die du in mir siehst, ermorden?«
»Ich würde nur einen dummen Fehler rückgängig machen. Das ist alles.« Wäre Robert wirklich in der Lage, das zu tun? Hätte er den Mut, so weit zu gehen und alles zu riskieren?
Er ließ sich auf die Couch fallen und dachte nach. Eigentlich stimmte es doch, was sein Klon gesagt hatte. Was kümmerte es ihn, welche Art von Leben Robert2 führte, wenn er selbst tausende Kilometer entfernt ein neues und eigenes Leben begann? Trotzdem war er davon überzeugt, dass mit Robert2 etwas nicht stimmte. Er würde zunächst Hendrik zur Rede stellen und dann entscheiden, was er tun würde.
Als er länger darüber nachdachte, kam ihm die Idee, dass Robert2 vielleicht nur so tat, als würde er mit Nicole ernsthaft über seine wahren Gefühle sprechen wollen. Vielleicht wollte er nur Robert - sein Original - aus seiner Kränkung heraus, eine Kopie zu sein, ärgern. Hendrik hatte es Konkurrenzverhalten genannt.
»Und wann triffst du dich wieder mit Nicole, um ihr deine... Liebe zu gestehen?«, fragte Robert abfällig.
»Nächste Woche vielleicht. Vielleicht sage ich es ihr auch erst, wenn du fort bist.«
Na klar, du Feigling. Habe ich es doch gewusst. Alles nur ein Bluff. Gott, wie sehr ich ihn für sein Verhalten hasse!
Robert irrte sich nicht nur, was das Verhältnis von Nicole und Robert2 betraf. Nein, er hasste in Wahrheit sich selbst für seine eigene Feigheit, die ihm sein Klon durch dessen ausweichende Antwort nur vor Augen geführt hatte.
Kapitel 9: Eskalation
Es kam, wie es kommen musste. Nämlich - wie Robert insgeheim befürchtet hatte - zum Schlimmsten.
Es war der Tag der folgenden Woche, in der Robert Hendrik samt guten Neuigkeiten erwartete. Robert2 ging am Morgen wider Erwarten nicht zur Arbeit.
»Wieso? Bist du krank?«
»Nein, mir geht es bestens. Ich habe mir heute einen Tag frei genommen.«
Robert beschwerte sich erst gar nicht darüber, dass Robert2 ihn darüber nicht vorher informiert hatte.
»Und willst du etwa dafür den ganzen Tag in der Wohnung herumlungern - mit mir?«
»Reg dich nicht gleich wieder auf. Ich werde heute den ganzen Tag mit Nicole verbringen. Heute ist der Tag.«
»Ja, sicher doch. Darauf falle ich nicht noch einmal herein.«
»Denk, was du willst. Ich liebe sie, und sie liebt mich.«
»Das hat sie dir wohl auch schon gesagt, oder was?«
»Nicht mit Worten. Aber.. diese Signale, die sie ausgesendet hat. Du weißt schon.«
Robert antwortete nicht, sondern schwieg wütend mit zusammengepressten Lippen. Er starrte in den Holoprojektor, in dem ein Fußballspiel vom Vortag wiederholt wurde.
»Ich verschwinde dann jetzt. Nicole und ich gehen abends zum Hafen am See und machen noch eine kleine zweistündige Rundfahrt mit dem letzten Schiff. Nur falls Hendrik fragt, wenn er noch heute kommt.«
Robert schwieg und nippte an einem Glas Wasser.
»Also bis nachher. Übrigens, du solltest dich mal wieder rasieren. Du siehst furchtbar aus.«
Als sein Klon die Wohnung verlassen hatte, nahm Robert das Glas und schmetterte es gegen die Wand. Ja, verdammt, er war eifersüchtig! War das nicht sein gutes Recht?
Oder war alles nur gespielt? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Er recherchierte die Abfahrtszeit des Schiffes für die kleine Seerundfahrt. Er könnte hingehen und sie heimlich beobachten.
Nein, das ist viel zu riskant. Ich werde doch jetzt kein Risiko eingehen. Nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel.
Robert beschloss, es bei der Vernunft zu belassen. Er würde zuhause bleiben und auf Hendrik warten. Doch je länger er auf ihn wartete, desto mehr pochte der quälende Gedanke hinter seinen Schläfen. Der Gedanke, dass sich der Klon an Nicole ranmachte. Sie berührte. Sie vielleicht...
Er hielt es nicht mehr aus. Es war sechs Uhr abends. In einer halben Stunde würde das Schiff abfahren. Wenn er sich beeilte, könnte er zu Fuß rechtzeitig dort sein. Jede Spur von Vernunft war weggewischt. Er sah nur noch rot. Er schnappte sich eine Schirmmütze, setzte eine Sonnenbrille auf - zum Glück war der Himmel wolkenlos, so dass er nicht unnötig auffallen würde - und verließ die Wohnung. Das erste Mal seit Wochen.
Robert hatte sich nicht wirklich Gedanken darüber gemacht, wo er auf seinem Weg zur Anlegestelle an der Seepromenade per Computerüberwachung registriert werden könnte. Er