»Hast du das Schloß gesehen?
Das hohe Schloß am Meer?
Golden und rosig wehen
Die Wolken drüber her –«
ein Zitat, das freilich bei derjenigen, die dadurch günstig gestimmt und für den Plan gewonnen werden sollte, nur den entgegengesetzten Eindruck und nebenher eine halb spöttische Verwunderung hervorgerufen hatte. Denn Holk war ziemlich unliterarisch, was niemand besser wußte als die Gräfin.
»Wo hast du das her, Helmuth?«
»Natürlich aus Arnewiek. Bei deinem Bruder drüben hängt ein Kupferstich, und da stand es drunter. Und ich muß dir sagen, Christine, es gefiel mir ganz ungemein. Ein Schloß am Meer! Ich denke es mir herrlich und ein Glück für dich und mich.«
»Wenn man glücklich ist, soll man nicht noch glücklicher sein wollen. Und dann, Helmuth, daß du gerade das zitieren mußtest. Du kennst, wie ich glaube, nur den Anfang dieses Uhlandschen Liedes... es ist nämlich von Uhland, verzeih..., aber es verläuft nicht so, wie's beginnt, und am Schlusse kommt noch viel Trauriges:
Die Winde, die Wogen alle
Lagen in tiefer Ruh,
Einem Klagelied aus der Halle
Hört ich mit Tränen zu...
Ja, Helmuth, so schließt es.«
»Vorzüglich, Christine. Gefällt mir auch«, lachte Holk. »Und von Uhland, sagst du. Allen Respekt davor. Aber du wirst doch nicht verlangen, daß ich mein ›Schloß am Meer‹ nicht bauen solle, bloß weil aus einem erdichteten Schloß am Meer, auch wenn von Uhland erdichtet, ein Klagelied aus der Halle klang?«
»Nein, Helmuth, das verlang ich nicht. Aber ich bekenne dir offen, ich bliebe lieber hier unten in dem alten Steinhause mit seinen Unbequemlichkeiten und seinem Spuk. Der Spuk bedeutet mir nichts, aber an Ahnungen glaub ich, wiewohl die Herrnhuter auch davon nichts wissen wollen, und werden wohl auch recht damit haben. Trotzdem, man steckt nun mal in seiner menschlichen Schwachheit, und so bleibt einem manches im Gemüt, was man mit dem besten Spruche nicht loswerden kann.«
So war damals das Gespräch gegangen, auf das man nicht wieder zurückkam, ein einziges Mal ausgenommen, wo beide (die Sonne war schon unter) die Düne hinaufstiegen, um nach dem Neubau, der inzwischen begonnen hatte, zu sehen. Und als sie oben waren, lächelte Holk und wies auf die Wolken, die gerade »golden und rosig« über ihnen standen.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte die Gräfin.
»Und...«
»Ich habe mich inzwischen meiner widerstreitenden Wünsche begeben. Damals, als du zuerst von dem Neubau sprachst, war ich trüben Gemüts; du weißt weshalb. Ich konnte das Kind nicht vergessen und wollte der Stelle nahe sein, wo es liegt.«
Er küßte ihr die Hand und gestand ihr dann, daß ihre Worte während ihres damaligen Gesprächs doch einen Eindruck auf ihn gemacht hätten. »Und nun bist du so gut. Und wie schön du dastehst in dem goldenen Abendrot. Ich denke, Christine, wir wollen hier glücklich sein. Willst du?«
Und sie hing sich zärtlich an seinen Arm. Aber sie schwieg.
Das war das Jahr vor Abschluß des Baues gewesen, und bald danach, weil's in dem alten Schloß unten immer unwohnlicher wurde, war Holk mit seinem Schwager übereingekommen, Christine und die Kinder nach Arnewiek zu schicken und sie daselbst bis nächste Pfingsten, um welche Zeit alles fertig sein sollte, zu belassen.
Und das war denn auch geschehen.
Und nun kam Pfingsten heran, und der Tag zur Beziehung des neuen Schlosses war da. Der Garten am Rückabhange der Düne zeigte sich freilich nur halb bepflanzt, und überhaupt war vieles erst im Werden. Aber eines war doch fertig geworden: die schmale, säulenumstellte Front nach dem Meere zu. Hier waren schon Bosquets und Blumenrondels, und weiter hin, wo sich die Düne nach vorn zu senken begann, stieg eine Treppenterrasse zum Strande hinunter und setzte sich unten in einer Stegbrücke fort, die, weit ins Meer hinaus gebaut, zugleich als Anlegestelle für die zwischen Glücksburg und Kopenhagen fahrenden Dampfer dienen sollte.
Christine war voller Bewunderung und Freude, weit über ihr eigenes Erwarten hinaus, und als sie, nach einem Umgang um das Haus, das Flachdach erstiegen hatte, vergaß sie angesichts des sich vor ihr ausbreitenden herrlichen Panoramas alles, was sich auch nach der vorjährigen Aussöhnung mit dem Neubau noch immer wieder von Sorgen und Ahnungen in ihrer Seele geregt hatte; ja, sie rief die Kinder, die noch unten an der Terrasse standen, herbei, daß sie mit teilnehmen möchten an ihrer Freude. Holk sah ihre tiefe Bewegung und wollte sprechen und ihr danken. Sie kam ihm aber zuvor und sagte:
»Bald ist es ein Jahr nun, Helmuth, daß wir zuletzt hier auf der Düne standen und du mich fragtest, ob ich hier glücklich sein wolle. Ich schwieg damals...«
»Und heute?«
»Heute sag ich ja.«
Drittes Kapitel
Pastor Petersen und seine Enkelin Elisabeth, vielleicht weil das Licht sie blendete, bemerkten von dem ihnen geltenden Gruße nichts, aber um so deutlicher sah man oben, von Terrasse und Vorhalle her, die unten am Strand immer näher Kommenden. Der Alte, seinen Hut in der Hand (so daß der Wind mit seinem dünnen, aber langen weißen Haare spielte), ging ein paar Schritte vorauf, während Elisabeth sich nach den Holz- und Borkenstückchen bückte, die zwischen dem Seetang umherlagen, und sie ins Meer warf, um Schnuck, einen wundervollen schwarzen Pudel, danach apportieren zu lassen. Jetzt aber ließ sie davon ab und begnügte sich, ein paar Blumen zu pflücken, die zwischen dem Strandhafer standen. Und so schlendernd, kamen sie schließlich bis an den Pier, wo sie links abbogen, um die Terrasse hinaufzusteigen.
»Sie kommen«, brach Asta in erneutem Jubel aus. »Und Elisabeth bringt ihren Großvater mit.«
»Ja«, sagte Baron Arne. »Vielleicht könnte man auch sagen, der Großvater bringt Elisabeth mit. Aber so seid ihr; die Jugend ist die Hauptsache; wenn man alt wird, ist man nur noch Beigabe. Jung sein heißt selbstsüchtig sein. Aber eigentlich ist es später auch nicht besser. Mein erster Gedanke war, als ich den Alten sah, da kommt unsere Whistpartie. Schwarzkoppen ist freilich nicht für Spiel, aber Gott sei Dank auch nicht dagegen, und würde, wenn er Katholik wäre, wahrscheinlich von einer, ›läßlichen Sünde‹ sprechen. Und das sind mir die liebsten. Im übrigen bewundere ich diesen Pudel, wie heißt er doch?«
»Schnuck«, sagte Asta.
»Richtig, Schnuck: eigentlich mehr ein Name für eine Lustspielfigur. Er war schon dreimal oben und immer wieder zurück. Offenbar freut er sich ganz unbändig. Und nun sage, Asta, worauf freut er sich, auf dich oder auf die Kunststücke, die er machen darf, oder auf den Zucker, den er dafür kriegt?«
Zwei Stunden später war es still unter der Säulenhalle; der Abend war hereingebrochen, und nur am Horizont lag noch ein roter Widerschein. Alles hatte sich in das Wohn- und Empfangszimmer zurückgezogen, das, in gleicher Größe wie der Eßsaal, unmittelbar hinter diesem lag und den Blick zunächst auf einen wohlgepflegten, mit Treibhäusern besetzten Vorgarten hatte, der weiter hin in große, bergabsteigende Parkanlagen überging.
Das Wohn- und Empfangszimmer war reich möbliert und hatte doch Raum genug zu freier Bewegung. Neben dem Flügel, in der geschütztesten Ecke, stand ein großer runder Tisch, mit einer Moderateurlampe darauf. Hier saßen die Gräfin und ihre Freundin, die Dobschütz, die vorlesen sollte, während Asta und Elisabeth dicht neben ihnen auf zwei Fußbänken Platz genommen hatten und abwechselnd leise plauderten oder den Pudel zu dessen eigener sichtlicher Freude Kunststücke machen ließen. Aber zuletzt wurde er müde von der Anstrengung und schlug, weil er die Balance nicht mehr halten konnte, mit einer