Am liebsten hätte sie laut losgeschrien. Natürlich nicht wegen des bevorstehenden Wochenendes. Nein! Es war dieses sichere Gefühl, Menschen richtig einzuschätzen, was wirklich einer langen Übung und eines natürlichen Talents bedurfte. Sie spürte plötzlich auch den Hunger, sich auf den Handymörder einzulassen. Wahrscheinlich war sie momentan die Einzige, welche diesem Dreckskerl das Handwerk legen konnte.
„Mach dich auf was gefasst, mein Lieber!“, sprach sie vor sich hin, während sie, unter dem etwas irritierten Blick des Bildzeitung-Nachbarn das Einkaufszentrum verließ.
7. Zusammenstellen der Fakten
„Ist was mit dir?“ Katrin saß bereits im Büro und beobachtete die neu motivierte Chefin, die ihre Handtasche in die Ecke schleuderte und sich mit breitem Lächeln an den Computer setzte.
„Du wirst es nicht glauben, aber ich hatte gerade eine Erleuchtung. Hast du dieses Wochenende Lust, mit mir mal in die Seebach zu gehen? So als Undercover, einfach mal unser aktuelles Projekt in der Freizeit observieren?“
Jetzt mussten beide lachen.
„Na, wenn das ein Befehl ist, dann werde ich mich natürlich nicht widersetzen. Morgen?“ Freitag wäre sicher ein guter Tag. Vor allem, da sie beide am Samstag keinen Dienst hatten.
„Gebongt!“ Sam war einverstanden und machte sich sofort an den Computer. Vielleicht hatte sich ihr neuer Brieffreund schon wieder gemeldet?
Leider kam nur noch eine Mail vom lieben Steinhauser, in welchem er sich für Freitagmittag ankündigte. Die Begeisterung für dieses Treffen hielt sich in Grenzen, da sie ja immer noch ihren Mailverkehr verheimlichen wollte. Also fing sie noch einmal von vorne an, ihre erste Aufzeichnung zu vervollständigen und in einem kleinen Exposé festzuhalten. Zumindest mal das, was die Akten bis dato Vielversprechendes hergaben:
Mord Ort Name Alter
02.06.20. Hamburg Adelphos Papadopoulus 26
22.06.20. München Günter Gasser 32
02.07.20. Düsseldorf Andreas Lange 51
12.07.20. Leipzig Anton Müller 43
02.08.20. Waldau Thomas Kleiber 29 (Tatort fraglich)
31.07.20. Freiburg Gürkan Güner 23 (Mordversuch)
Kein Zusammenhang bezüglich einer politischen Partei oder eine intensive Tätigkeit im Geschäftsleben.
Schulische Verbindung? Alleine schon vom Alter her nur teilweise möglich. Wurde laut den Akten auch zwischen keinem der Opfer ermittelt.
Familiäre Verstrickungen? Konnten mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden und auf die Zahl Zwei ließ sich ebenfalls bei keinem der Getöteten einen Reim machen.
Mir fiel auf, dass bisher noch nicht nach einer möglichen Verbindung zu einer Sekte gesucht wurde. Dem sollte unbedingt noch nachgegangen werden. Da über solche Verbindungen in der Regel auch das private Umfeld nicht immer Bescheid weiß, gäbe es hier einen neuen Ansatz.
Gibt es vielleicht eine Sekte, die etwas mit der Zahl Zwei zu tun hat?
Was den Mordversuch in Freiburg und die Leiche in Waldau betrifft: Dummer Zufall oder hat der Handymörder vielleicht einen Fehler gemacht? Es bleibt der Verdacht, dass Gürkan Güner tatsächlich geplant war, durch das Einschreiten seiner Kollegen aber misslang. Somit musste Thomas Kleiber kurz darauf vielleicht als Ersatz herhalten? Ich gehe davon aus, dass dieser, wohnhaft in Freiburg, auch dort ermordet wurde und man die Leiche später nach Waldau geschafft hatte. Kleiber wohnte allerdings weit weg von der Karthäuserstrasse, wo Güner angegriffen wurde, weshalb hier erst zu prüfen wäre, ob er eventuell dort in der Nähe gewesen sein könnte.
Ich gehe allerdings davon aus, dass der Täter seine Opfer auswählt und somit nicht wahllos ein Ersatzopfer nehmen würde. Der genaue Todeszeitpunkt könnte hier vielleicht weiterhelfen.
Wie weit lagen die beiden Übergriffe zeitlich auseinander?
Gegen Thomas Kleiber lag eine Anzeige wegen Körperverletzung vor und er hatte erst vor wenigen Tagen wegen einer solchen eine Nacht eingesessen. Könnte es sich hier um einen Vergeltungsschlag handeln? Sieht sich der Handymörder vielleicht als Rächer?
Gemeinsamkeiten aller Fälle:
Die Opfer waren unterschiedlich alt und befanden sich laut den Berichten auch in allen Schichten der Gesellschaft gemischt vertreten. Einen rassistischen Hintergrund kann man nicht belegen, da die Angegriffenen selbst verschiedenen Nationalitäten angehörten.
Interessant war, dass nur ein Opfer in einer Beziehung steckte, während die restlichen als Junggesellen lebten, oder gerade eine Beziehungspause hatten.
Allesamt konnten als eher unauffällig und nicht aggressiv beschrieben werden, was allerdings von Freunden und Verwandten meistens nicht objektiv betrachtet wird.
Es handelte sich bei den Opfern ausschließlich um Männer, wobei es keine sexuellen Übergriffe gab. Über das Internet konnte ich herausfinden, dass zwei der Opfer sportlich aktiv waren, das dritte ein begnadeter Schachspieler war und die letzten zwei keine Vereinsaktivität pflegten. Also fällt auch dieser Bereich als Gemeinsamkeit flach.
Samantha verabschiedete sich nach dem Abschluss ihrer Aufstellung erst kurz vor 19 Uhr am Empfang und machte sich direkt auf den Heimweg, wo die Laufschuhe schon ihrem Einsatz entgegenfieberten.
Sie beschloss, mit dem Höhentraining in die Vorbereitung auf den Triathlon einzusteigen und rannte gleich zur Hochfirstschanze hinauf. Es war eine anspruchsvolle Strecke, welche der Kondition einiges abverlangte. Dass sie die knappe Stunde ohne Pause am Stück durchhielt, überraschte sie nach dem letzten sportfreien Jahr selbst ein wenig. Es waren tatsächlich noch die nötigen Grundlagen vorhanden.
Natürlich hatte sie früher viel Sport gemacht. Doch irgendwie fand sie im letzten Jahr keine Motivation, den Hintern überhaupt hoch zu bekommen. Nachdem der Lauf absolviert war, übernahm die Dusche das Massageprogramm, wo sie immer wieder ihre Zusammenfassung überdachte und am Beziehungsstatus der Getöteten hängen blieb.
Im Anschluss in den bequemen Schlabberlook geschlüpft und mit einem Salat bewaffnet vor den Fernseher gesetzt, wurde ihr diese Berieselung jedoch schnell langweilig. Also kramte sie nach dem Tagebuch und ließ die Vergangenheit erneut aufleben. „Wo war ich noch mal stehen geblieben?“
8. wie geht es im Tagebuch weiter?
…….Frauen im Haus, überrage ich diese auch locker um 15 cm. Mit 13 gewann ich, unter Angabe falscher Geburtsdaten, die erste Miss-Wahl in Köln. Ich gewann, da ich meinen älteren Kontrahentinnen in den Kurven schon überlegen war und dazu mit dem wohl unschuldigsten Engelsgesicht und meiner Jugend brillierte.
Im Gegensatz zu meinen beiden eher pummeligen, schwarzhaarigen Schwestern, wo zumindest die Kleine meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, wurde ich schon immer als Prinzessin bezeichnet. Die Lobeshymnen, was ich doch für ein hübsches Kind sei, bereitete mir immer ein schlechtes Gewissen gegenüber den beiden Kleinen. Obwohl mich Claudia und Andrea sicher für meine Makellosigkeit hassten, ließen sie es mich glücklicherweise nie richtig spüren.
Was wiederum nicht zu meinem Wesen passte, waren die Prügeleien, mit welchen ich auf dem Schulhof viel Aufsehen erregte.
Wenn