Mit Gudrun nach Göteborg. Stefan Lage. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Lage
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783753192635
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Treppe an und bedaure einmal mehr, dass ich dies von unten tue. Schön, denke ich, bleibe ich halt unten und schlafe bei Gudrun, mir ist jetzt alles recht. Blöderweise werden in diesem Moment die Türen zum Autodeck abgeschlossen. Jetzt gilt es Ruhe bewahren und nachdenken. Wozu hat man einen überlegenen Geist? Ich rechne mir die Sache durch: Wenn ich die Hälfte des Gepäcks nach oben schleppe, dort ablege, wieder nach unten gehe, die andere Hälfte nach oben bringe, dafür eine kleine Tasche wieder mit nach unten trage, den Proviant darf ich nicht zusammen mit der Regenjacke alleine lassen – nein, so geht`s nicht, ich schweife ab, das war das Rätsel mit dem Fährmann und dem Fluss und den Schafen und dem Wolf – wobei, wieso will eigentlich jemand mit Schafen und Wölfen über einen Fluss und wieso reist er überhaupt mit Schafen und Wölfen, dass macht doch gar keinen Sinn, ich meine, er müsste den Wolf ja auch irgendwie füttern, würde er dafür eines seiner Schafe nehmen? Wäre das Rätsel dann einfacher, wenn ein Schaf schon gegessen wurde? Ich mache mir noch eine kleine Notiz, dass ich da mal drüber nachdenken sollte.

      Aber zurück zu meinem Problem: ich könnte einen Teil nach oben bringen, aber dann müsste ich die Treppe ja nicht nur einmal bewältigen, sondern sogar dreimal! Halt, ich hab`s: Ich bringe einen Teil des Gepäcks nur einen Absatz nach oben, dann hole ich den Rest nur einen Absatz nach oben, dann bringe ich einen Teil wieder einen Absatz nach oben usw. Auf diese Weise brauche ich die Treppe nicht dreimal zu erklimmen. Genial! So mach ich es auch. Komischerweise bin ich oben genauso erschöpft, als wäre ich die Treppe dreimal gegangen. Seltsam.

      Oben angekommen drücke ich auf den lustigen roten Riesenpömpel neben der Tür und die Tür macht: „Zuuuüüüaaaa-zuuuoooohhhhrg-zwooooosch“. Déjà-vu, denke ich, aber nein, nach kurzer Bedenkzeit geht die Tür tatsächlich auf! Ein gutes Omen, denke ich, außerdem bin ich jetzt nicht mehr in der Bahn, sondern auf einem Schiff. Was soll da schon schief gehen? Ich klettere durch die Tür und stehe in einer Art Einkaufspassage, nur dass alles mit einem schicken grün-bräunlichen Teppichboden ausgelegt ist. Klar, denke ich, clever gemacht. Wir sind schließlich auf einem Schiff, da wird dem einen oder anderen schon mal schlecht. Gut, wenn man denn einen Teppichboden hat, auf dem die Folgen nicht so auffallen. Links von mir ist der Fahrstuhl, aus dem gerade eine Dame mit winzig kleinem Handtäschchen steigt. Verweichlicht, die Menschen heute.

      Ich merke mir die Stelle mit dem Fahrstuhl für den Rückweg und mache mich auf die Suche nach meiner Kabine. 7548 steht auf meinem Ticket. Zur besseren Orientierung hängen dicht unter der Decke winzig kleine Schilder mit den Kabinennummern und noch winzigeren Pfeilen daneben. Was dazu führt, dass alle Passagiere mit weit in den Nacken gelegten Köpfen nach oben starren und sich ständig gegenseitig anrempeln. Idioten! Mir reicht ein kurzer Rundumblick und ich weiß, wo ich hin muss. Theoretisch. Leider ist meine Nummer nicht auf den Schildchen. Bei dieser Ziehung nicht dabei, sozusagen. Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue mir alle Schildchen nochmal genauer an, dabei von einem Schild zum anderen wandernd. Gelegentlich stoße ich mit einem der Idioten zusammen, die nicht genügend aufpassen. Kein 7548. Seltsam. Ich beschließe, dass jetzt der geeignete Zeitpunkt ist, meine neu erworbenen Schwedisch-Kenntnisse nutzbringend anzuwenden. „Har dü…kenner dü…Nummern de Kabinskern?“ spreche ich einen besonders schwedisch aussehenden blonden Herren an. „Tut mir leid“ sagt dieser nach einigem Nachdenken „aber ich spreche kein Schwedisch. Zum Glück“ fügt er etwas rätselhaft hinzu. Mist! Natürlich ist mal wieder kein Schwede in der Nähe, wenn man einen braucht! Und das soll ein schwedisches Schiff sein! Wie soll ich denn nun bloß meine Kabine finden? Vielleicht, so überlege ich, sind schwedische Nummern ja gar nicht wie deutsche Nummern. Es könnte ja sein, dass es so wie mit arabisch ist, man denkt, man kann das alles wunderbar lesen, und dann stellt sich heraus, dass man von rechts nach links lesen muss und alles ist ganz anders. Oder Chinesisch, von oben nach unten, und die komischen Zeichen sind gar keine Buchstaben, sondern vielleicht richtige Worte oder ganze Sätze. Da denkt man denn „na, da hat aber jemand ausgiebig seinen Kuli getestet“ und in Wirklichkeit heißt es vielleicht „Die goldene Morgenröte erglüht im sanften Flamingoflügel“. Oder so. Da kommt man schon ins Grübeln. Andererseits sehen schwedische Zahlen genauso aus wie deutsche und Flamingos gibt es hier auch nicht. Schneeeulen vielleicht. Mit wieviel „e“ schreibt man eigentlich Schneeeule? Drei, denke ich, nein, das ist ja grad die Falle, man denkt, haha, drei e hintereinander, da musst du aber früher aufstehen, aber nein, die Falle ist eben, das es dann vier e sind, dass würde bei „Schneeeule“ auch noch funktionieren, während bei „Seeelefanten“ der Plural nochmal ein e beisteuert, also 5.

      Ich merke, dass ich nicht mehr ganz bei der Sache bin. Mittlerweile stehe ich wohl schon ganz schön lange hier herum, recke den Kopf nach oben zu den kleinen Schildchen mit den Zahlen drauf und denke an Seeelefanten. Da erscheint eine – Stewardess? Sagt man das? Oder gilt das nur im Flugzeug? Auf dem Schiff ist es vielleicht eine Hostess? Nein, das sind die von der Olympiade, die immer kleine Häppchen reichen und Getränke und dann den schwedischen König heiraten, wobei, schwedisch passt ja wieder, von daher vielleicht doch Hostess.

      „Wie bitte?“ fragt die Hostess, freundlich, aber doch mit einer Spur Argwohn, wie ich finde. Möglicherweise habe ich den letzten Teil nicht so leise gedacht, wie ich dachte. Also das mit der Hostess. Weswegen sie, wenn man den Argwohn berücksichtigt, vielleicht doch keine Hostess ist. Schaffnerin? Fährerin? Jetzt fragt sie mich was in einer fremden und für mich total sinnlos klingenden Sprache, von der ich kein Wort verstehe. „Was?“ frage ich. „Ah, Sie sind Deutscher. Kann ich Ihnen helfen?“ sagt die Schiffsbegleitpersonalistin. Ich reiße mich zusammen. „Wegen der Kabine. Meine Nummer steht da nicht“ sage ich. „Welche Nummer haben Sie denn?“ „7548“ sage ich und zeige ihr blödsinnigerweise noch mein Ticket, auf dem genau dasselbe steht. Sie guckt trotzdem drauf. „7548“ sagt sie. „Ja“ sage ich „7548“. Jetzt klappt die Verständigung, denke ich, vielleicht gehen wir zusammen essen. Sie zeigt auf ein Schildchen, dann in eine Richtung. „Da lang“. „Da steht aber nichts von 7548“ erkläre ich belehrend. „Da steht nur 7500 und 7599!“. Die Schiffahrtsfährenpassagierbetreuerin schaut mich lange an. Dann zeigt sie wieder auf das Schildchen. „Sehen sie den kleinen Strich?“ „Ja“ sage ich und denke mir, ist das jetzt ein Sehtest oder was. „Der Strich bedeutet „bis“ und da geht es zu den Kabinen von 7500 bis 7599. Da ist 7548 dabei“. „Ja“ sage ich „das wusste ich“.

      Meine Kabine ist sehr schön und hat neben einem winzig kleinen Bett ein noch winzigeres Tischchen zu bieten. Es gibt einen Zigarettenaschebraunen Teppichboden und einen Garderobehaken an der Tür. Daneben ist ein Schild angeklebt, welches einen an all die grauenvollen Gefahren erinnert, die auf hoher See drohen, inclusive Feuersbrunst und nassem Tod. In beiden Fällen, so lese ich, solle man lauthals schreiend wie ein Irrer durch die Gänge rennen und keinerlei Rücksicht auf Frauen und Kinder nehmen. Das steht zwar nicht wortwörtlich da geschrieben, aber als gebürtiger Hypochonder scheint es mir vom Sinn her ungefähr hin zu kommen und ich beschließe, es im Falle eines Falles genau so zu handhaben.

      Außerdem soll hier noch ein Badezimmer mit WC, Waschbecken und Dusche verborgen sein. Aber wo? Ich schlängel mich wieder Richtung Eingangstür und taste die Wände ab. Hohl klingt es überall, das bringt mir noch nichts. Dann entdecke ich in einer Wand verborgen eine Tür und dahinter - ist irgendetwas, ich kann es nur nicht sehen, weil die Tür mir nun die Sicht versperrt. Erst muss die Tür wieder zu, dann schlängel ich mich daran vorbei, Tür wieder auf und – voila! Das Bad. Auf den ersten Blick ist es überschaubar, auf den zweiten Blick auch. Es gibt ein Miniaturwaschbecken und darunter die Toilette. Wenn man sich schräg über die Toilettenschüssel lehnt, kann man sich mit einer Hand gegen den Spiegel stützen und mit der anderen Hand die Zähne putzen. Bei heftigem Seegang vielleicht ganz nützlich, um eventuelle Schräglagen des Schiffes auszugleichen, aber hier im Hafen ist das nichts. Ich benutze lieber die Dusche, die schräg oberhalb der Toilette angebracht ist. Man kann sich einen glibberigen Vorhang mit zweifelhaften Vorbenutzern um den Leib schlingen, um die vollständige Überflutung des Bades zu verhindern, es nützt aber nichts. Ich finde es ganz lustig, mal zu duschen wie auf der russischen Raumstation und probiere es gleich mal aus. Das Wasser riecht nach etwas, was da nicht hineingehört, aber ich werde nass und sauber. Der Rest des Badezimmers wird nur nass.

      Unter der Dusche untersuche ich meinen Körper auf die für Radfahrer typischen weißen Stellen an Oberarmen